Rayan - Im Auge des Sturms. Indira Jackson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Indira Jackson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738038460
Скачать книгу
darüber ein hellgraues Sakko, das genauso wenig wie der Rest seiner Kleidung von der Stange zu sein schien.

      „Vielen Dank für Ihre Geduld. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu lange warten lassen“, begrüßte er sie galant. Der Duft seines teuren Rasierwassers stieg ihr in die Nase.

      „So aus der Nähe wirkt er überhaupt nicht gefährlich, was habe ich mir vorhin nur eingebildet“, dachte sie. Dann hatte sie plötzlich wieder eine Erinnerung vor ihrem geistigen Auge – eine Erinnerung an heute Nachmittag. Den wütenden Rayan. Wie er den Kommissar angeschaut hatte. Seine eiskalten Augen. Die Augen eines Mannes ohne Skrupel. Und auf einmal fröstelte sie.

      Prüfend sah Rayan sie an. Ahnte er, was in ihr vorging?

      „Ist Ihnen kalt?“, fragte er sie spöttisch, was ihren Verdacht bestärkte, dass er ihre Gedanken erriet. Und trotzig antwortete sie: „Nein, alles in Ordnung.“ Sie würde das hier hinter sich bringen. Flucht war keine Option. Das käme aufgeben gleich und dazu war sie zu stolz.

      Zufrieden bemerkte Rayan ihre Entschlossenheit und ließ es damit auf sich beruhen. Er nahm ihr gegenüber Platz und orderte die Speisekarte.

      Mit positivem Erstaunen stellte Miriam während des Essens fest, dass es einfach war, sich mit Rayan zu unterhalten. Egal ob Smalltalk oder seine vielen Fragen über ihre Familie, ihr Leben in München, ihre Karriere bei der Polizei – immer hörte er ihr genau zu. Ihre Antworten schienen ihn tatsächlich zu faszinieren – er stellte die Fragen offenbar nicht nur aus Höflichkeit, sondern aus echtem Interesse an ihrem Leben. „Was für ein widersprüchlicher Mann!“, ging es ihr durch den Kopf.

      Die Polizistin in ihr registrierte, dass sie aufgrund seiner Fragen kaum dazu kam, selbst welche zu stellen. Doch sie genoss es, vor allem nach der Schmach heute Nachmittag, viel zu sehr, zur Abwechslung einmal sich selbst reden zu hören, als dass sie daran etwas hätte ändern wollen. Der Grund, warum sie solo war, war, dass sie sich von ihrem egozentrischen, deutschen Freund erst vor kurzem getrennt hatte, weil dieser an nichts anderem als seinem eigenen Wohl interessiert gewesen war. Sie hatte die Nase voll gehabt von dessen „Ich möchte dies“ und „mir ist wichtig, dass …“.

      Bei ihrem Gegenüber konnte sie endlich einmal über ihre eigenen Gefühle sprechen. Ein paarmal fragte sie sich, ob sie naiv war, nach den Erlebnissen des Nachmittags so viel von sich und ihrem Seelenleben zu verraten. Aber der Scheich hatte sie bald überzeugt, dass dies nur eine Rolle gewesen war, die er entgegen seiner inneren Einstellung hatte spielen müssen.

      Viel zu schnell war auch der Nachtisch verspeist.

      Auf einmal sah Rayan sie über den Tisch hinweg eindringlich an. „Du hast nun zwei Möglichkeiten Miriam – deine Wahl, wie versprochen!“ Er lächelte sanft und harmlos.

      „Harmlos?“, fuhr es ihr durch den Kopf. Die Spannung knisterte nur so in ihr! Nervös erwiderte sie seinen Blick und wartete atemlos, was nun folgen würde.

      „Möglichkeit eins: ich zahle nun, begleite dich noch hinunter in die Lobby und wir verabschieden uns dort“, sagte er langsam und deutlich – jedes Wort wirken lassend.

      „Möglichkeit zwei, ich zahle nun, begleite dich hinunter in mein Zimmer und wir verabschieden uns erst später“, er machte eine Pause, „danach“.

      2005 - Alessia - Versuch der Wiedergutmachung

      Leila staunte nicht schlecht, als ihr Hausdiener etwa vier Wochen später den Anwalt Raschid Aziz als Besuch ankündigte. Neugierig bat sie darum, ihn hereinzubringen. Was wollte der Mann wohl von ihr?

      Doch zu ihrem Erstaunen war es nicht der ältere Herr, sondern Taib, der ihrem Angestellten in den Wohnraum folgte. „Hallo Leila. Es tut mir leid, dass ich diesen kleinen Trick anwenden musste. Nachdem du beim letzten Mal so wütend auf mich warst, war ich mir nicht sicher, ob du mich empfangen würdest.“

      Er sah bei diesen Worten derart zerknirscht aus, dass Leila ihm wegen der Täuschung nicht lange böse sein konnte. Sie forderte ihn auf, sich zu setzten.

      „Nachdem es dir offenbar so wichtig ist, mit mir zu sprechen: Was kann ich für dich tun?“, fragte sie ihn, nachdem die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht und Taib mit Tee versorgt worden war.

      „Ich bin deinem Rat gefolgt! Die letzten Wochen, seit wir uns gesehen haben, habe ich nichts anderes gemacht, als mich über deinen Scheich zu erkundigen“, informierte sie Taib.

      Bei den Worten „deinen Scheich“, runzelte Leila die Brauen, ließ ihn aber ausreden.

      „Es ist nicht so leicht, wirklich echte Informationen über ihn herauszufinden, offenbar gibt es da auch jede Menge Mythen und abstruse Geschichten. Aber ich habe ausreichend gefunden, dass ich nun ehrlich davon überzeugt bin, dass ich ihm Unrecht getan habe! Und darum bin ich hier. Wie kann ich ihm meine Entschuldigung zukommen lassen?“

      Diese Offenheit, mit der Taib nun seinen Fehler zugab, erstaunte Leila. Trotzdem antwortete sie knapp: „Überhaupt nicht.“

      Betroffen sah ihr Gast sie an: „Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, ihn zu besuchen?“

      „Natürlich. Du müsstest nur mitten in die große Wüste reiten. Etwa sechs Tagesritte von hier – so habe ich zumindest gehört – liegt Zarifa. Dort wohnt er. Viel Glück bei der Suche“, antwortete sie sarkastisch.

      Doch so leicht gab Taib sich nicht zufrieden: „Du hast ihn doch auch erreicht. Damals, als du von Saras Tod erfahren hast …“ Damit hatte er natürlich ins Schwarze getroffen, doch das konnte Leila nicht zugeben. Ein wenig zu schnell antwortete sie: „Das war Zufall. Da war er ohnehin gerade hier.“

      „Aha. Dann kommt er also regelmäßig hierher?“, konterte Taib.

      „Nein. Nicht regelmäßig. Etwa zweimal im Jahr. Beim nächsten Mal also sagen wir – etwa in 6 Monaten?“, log sie frech.

      Doch auch dafür hatte Taib sich vorbereitet. „Dann lass ihm wenigstens diesen Brief von mir zukommen. Es ist eine schriftliche Entschuldigung von mir. Ähm – er kann doch lesen, oder?!“, fragte er dann verunsichert.

      Leila wusste nun wirklich nicht mehr, ob sie verärgert oder belustigt sein sollte. Ohne die Frage zu beantworten, sagte sie: „Na gib schon her“ und riss ihm den Brief fast aus der Hand.

      „Ich kann ihn ihm ja vorlesen“, fügte sie honigsüß hinzu. Taib schaute sie verwirrt an, er wusste nun wirklich nicht mehr, ob sie das ernst meinte oder ihn gerade auf den Arm nahm.

      Er wollte sich erheben, um zu gehen, als ihm noch etwas einfiel: „Darf ich dich noch um etwas bitten?“

      Und wieder sah er sie so eindringlich zerknirscht an, dass sie gegen ihren Willen lachen musste: „Na sag‘ schon, was willst du noch?“

      „Erzähl mir deine Geschichte!“, platzte er heraus.

      Leila sah ihn einen Augenblick lang zweifelnd an, dann begann sie zu berichten. Von ihrem Verlobten und ihrer Reise, auf der sie eigentlich die Utensilien für ihre Hochzeit hatten kaufen wollen. Von der Ermordung aller ihrer Lieben und der gesamten Karawane. Von den fürchterlichen drei Tagen, in denen man sie missbraucht und misshandelt und schließlich als Sklavin auf einem Markt verkauft hatte. An Rayan! Der im letzten Moment der flehentlichen Bitte ihres Vaters gefolgt und gekommen war, um sie zu retten. Ohne den sie in irgendeinem Harem jämmerlich verrottet wäre und der seitdem stets seine schützende Hand über sie gehalten hatte. Ohne auch nur ein einziges Mal etwas für sich selbst herauszuschlagen.

      Mal abgesehen davon, dass sie seit einigen Monaten miteinander schliefen, aber dieses Detail ließ sie in ihren Erzählungen aus.

      Erstaunt schwieg Taib, nachdem sie geendet hatte. Diese Geschichte hatte ihn noch mehr beschämt und nachdenklich ging er nach Hause.

      Leila jedoch rief Rayan auf seinem Satellitentelefon an, kaum dass er gegangen war. Sie überlegten eine Weile hin und her, was sie nun tun sollten und natürlich las Leila tatsächlich Taibs Brief vor. Nicht, weil Rayan nicht lesen