Die Seele des Zauberlehrlings. Betty Kay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Betty Kay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960895053
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Verbindung steht. Ich kann die Magie fühlen, die sich jetzt in mir sammelt, mich bis in die Zehenspitzen ausfüllt. In mir bündelt sich Wärme, Licht und Kraft. Meine Fingerspitzen prickeln, sodass ich meine Arme hebe und meine Hände die richtige Haltung einnehmen lasse. Währenddessen steigt die Kraft weiter in mir an. Gerade als ich denke, nicht mehr davon ertragen zu können, beginnt die Magie in einem steten Strahl zu fließen. Sie durchströmt meine Arme und verlässt durch meine Finger meinen Körper, während immer neue Kraft nachdrängt. Nur für mich ist dieser Fluss von Energie von mir weg als schnelle Vibration in der Luft sichtbar.

      Die Magie erreicht den Mann, für den sie gedacht ist. Er richtet sich auf und drückt den Rücken durch. Der Hammer gleitet aus seiner Hand und landet direkt neben seinen Zehenspitzen auf dem Boden. Der lange Stiel prallt dabei von seinen Schuhen ab. Bestimmt ist das schmerzhaft, doch der Mann gibt keinen Laut von sich.

      Ich kann sein Gesicht erkennen. Ein verblüffter Ausdruck liegt darauf, bevor er sich langsam in Angst wandelt, weil er nicht in der Lage ist, sich zu bewegen.

      Oremazz befiehlt ihm, den Arm zu heben. Zuerst wehrt er sich dagegen. Vermutlich ist es nicht hilfreich, dass ich Mitleid mit dem armen Mann habe, der nicht weiß, was mit ihm geschieht. Die Verärgerung des Großen Zaubermeisters trifft mich wie ein Peitschenschlag.

      Wieder einmal bin ich dabei, ihn zu enttäuschen. Zwei Sekunden lang schließe ich die Augen, fokussiere mich auf die Macht, die er durch mich strömen lässt. Dann blicke ich zu dem Mann, verstärke den Zauber meines Großvaters, indem ich auch meinen Befehl an unser Opfer schicke, das zu tun, was Oremazz ihm aufgetragen hat.

      Langsam hebt sich der Arm des Mannes. Seine Muskeln zittern vor lauter Anstrengung, der Bewegung zu widerstehen. Doch er hat keine Chance. Schließlich reckt sich seine Hand hoch gen Himmel.

      Ein Hochgefühl nie gekannten Ausmaßes macht mich trunken. Dieser Erfolg ist nur durch mich möglich gewesen. Jetzt hoffe ich nur, mein Großvater triumphiert über diesen Augenblick genauso sehr wie ich.

      Der Mann, der unter unserem Bann steht, gibt einen wimmernden Laut von sich. Er will sich immer noch gegen uns wehren, was ich ihm nicht verdenken kann. Die Magie, die Oremazz durch mich fließen lässt, um die Kontrolle über ihn zu behalten, steigt an. Sie füllt mich bis zum Rand aus, sodass sich ein leichtes Schwindelgefühl in meinem Magen breitmacht. Ganz offensichtlich ist der Große Zaubermeister nicht zufrieden damit, wie der Versuch bis jetzt verlaufen ist.

      Wieder lese ich erst die Gedanken meines Großvaters. Als ich weiß, welche Art von Bewegung ihm vorschwebt, helfe ich mit meiner eigenen Kraft nach. Ganz plötzlich streckt der fremde Mann die Hand zur Seite aus, während er sein linkes Bein anhebt.

      Diese Position kann unmöglich bequem sein. Tatsächlich muss es sogar schwer sein, das Gleichgewicht zu behalten. Dennoch steht er gerade, als wäre sein rechtes Bein im Boden verwurzelt.

      Der Gesichtsausdruck unseres Opfers zeigt seine Panik. Seine Augen huschen von links nach rechts. Der Zauberspruch von Oremazz verhindert, dass der arme Mann den Kopf drehen kann. Er ist nicht in der Lage, herauszufinden, woher die Bedrohung kommt, oder um Hilfe zu bitten. Wieder kommt dieses seltsame, unterdrückte Wimmern von ihm. Dann schickt mein Großvater etwas mehr Magie, und der Mann auf einem Bein verstummt zur Gänze.

      Ich kann den Zauber lesen, den der Große Zauberer plant. Ich verstehe, was er vorhat.

      Die Anziehungskraft der Erde soll keine Wirkung mehr auf den Mann haben. Wenn Oremazz ihm mit einem schnellen Ausbruch der Magie einen Stoß versetzt, wird er abheben und gegen eine der Wände des Innenhofs geschleudert werden. Sein Körper würde das nicht verkraften.

      Verdammt, das kann mein Großvater nicht tun! Dieser arme Mann hat nichts Falsches getan. Er ist bloß zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Er hat nicht verdient, dass man ihn verletzt.

      Mit der Kraft meiner Gedanken sende ich dem Großen Zaubermeister eine Nachricht. »Diesen Sturz wird er nicht überleben. Das können wir nicht riskieren.«

      »Es gibt keine andere Möglichkeit, herauszufinden, ob du als Medium funktionieren kannst.«

      Einen Moment stockt mir der Atem. Hat Oremazz tatsächlich gerade den Tod eines Menschen als notwendiges Opfer abgetan? »Wir haben keine andere Variante versucht.«

      »Sträube dich nicht gegen das Unabwendbare«, befiehlt mein Großvater. »Öffne dich für die notwendige Magie.«

      »Nein.« Ich bin einfach nicht in der Lage, Teil dieses bösen Spiels zu sein. Möglicherweise ist es notwendig, dass wir jemanden als Versuchskaninchen benutzen. Doch diese Person soll dabei nicht zu Schaden kommen. Dieser Mann hat nicht verdient, durch meine Unfähigkeit verletzt zu werden. Ich kann es nicht zulassen. Nun will ich ihn verteidigen. Komme, was wolle.

      Die aufbrandende Wut des Großen Zaubermeisters flirrt spürbar in der Luft. Als ich meine Arme senke, um die Verbindung zu dem Fremden zu lösen, versucht Oremazz, in meinen Verstand einzudringen. Er will mich dazu zwingen, ihn bei dieser grausamen Tat zu unterstützen. Das erste Mal in meinem Leben wehre ich mich gegen ihn. Dieses eine Mal bin ich stärker als er.

      Die überschüssige Magie sucht einen Weg in meinen Körper. Da ich mein Schutzschild hochgefahren habe, überzieht mich die Kraft wie ein schweres Tuch. Sie drängt immer näher, drückt mir die Luft ab. Ich beginne zu zittern, kann dem Druck nur schwer widerstehen, den der Große Zaubermeister auf mich ausübt. Meine Haut beginnt zu prickeln. Elektrische Entladungen tanzen auf meinen Armen. Doch ich bleibe reglos und warte auf den Moment, in dem ich in tausend Stücke zerrissen werde, weil die Macht zu groß wird, um sie zurückzudrängen.

      Tatsächlich wird das Beben meines Körpers stärker. Ich schwanke und muss mich an die Wand lehnen, um nicht zu fallen. Mein Herz rast. Ich schließe die Augen und warte auf das Ende, das mich zweifellos erwartet.

      Noch einmal steigt die Kraft der Magie an, während ich mich dagegen wehre, benutzt zu werden. Schmerz rast durch meinen Körper, weil ich den Fähigkeiten meines Großvaters nichts entgegenzusetzen habe. Angst schnürt mir die Kehle zu. Jetzt ist es so weit. Jetzt werde ich sterben. Aber lieber das, als das Leben eines Unschuldigen in Gefahr zu bringen.

      Plötzlich wird der Energiestrom schwächer. Ein Schauer durchläuft mich. Dann ist der Ansturm der Magie zu Ende.

      Ist es vorbei? Bin ich gestorben? Oder hat Oremazz selbst den Zauber an dem armen Mann im Innenhof angewendet, um mir eine Lektion zu erteilen?

      Ich reiße die Augen auf und sehe mich um.

      Der Mann, den wir als Opfer ausgewählt haben, hat wieder beide Füße auf dem Boden. Sein Arm hängt an seiner Seite hinunter. Auf seinem Gesicht spiegeln sich Schock und Unverständnis. Doch er scheint unverletzt. Kann er sich inzwischen wieder bewegen? Er muss von hier fort. Wenn mein Großvater versuchen sollte, ihn direkt mit seiner Magie anzugreifen, hat der Bauer dem nichts entgegenzusetzen.

      Oremazz wird meinen Wunsch, dem Mann zu helfen, nicht verstehen. Ich verschwende keine Zeit damit, ihn um Erlaubnis oder Gnade anzuflehen. Tatsächlich stelle ich nicht einmal eine Verbindung zu ihm her, um ihn nach seinen Plänen zu fragen. Ich trete aus dem Durchgang hervor, eile vorwärts und laufe auf den Mann zu, der von dem, was mit ihm geschehen ist, immer noch verwirrt scheint.

      »Verschwinde!«, rufe ich. »Weg hier!«

      Der Mann wendet sich mir zu, völliges Unverständnis im Blick. So einfach wird er es mir nicht machen, ihn vor weiterem Unheil zu bewahren.

      Ich wedle mit den Armen, als versuche ich einen Schwarm Flugechsen zu vertreiben. »Du solltest dir irgendwo anders eine Aufgabe suchen«, befehle ich. »Sofort.«

      »Aber die Tonne …« Verwirrt bricht er ab.

      »Willst du noch einmal bewegungsunfähig sein?«, brülle ich. »Lauf endlich!«

      Der Ausdruck in den Augen des Mannes verändert sich. Der Schock scheint endlich nachzulassen. Verspätet wird ihm bewusst, was gerade passiert ist. Er stolpert rückwärts und läuft schließlich los. Erleichtert bleibe ich stehen.

      Hinter mir nähern sich