Die Seele des Zauberlehrlings. Betty Kay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Betty Kay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960895053
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ich ein Feuer in den drei Laternen an der Wand. »Ich habe mich in den letzten Tagen an einigen einfachen Zaubern versucht«, gestehe ich. »Nichts allzu Großes. Doch es ist mir gelungen, Abwehrmechanismen anzuwenden.«

      Der Große Zaubermeister lacht auf. »Lassen wir außer Acht, dass du lieber etwas anderes hättest üben sollen, und widmen wir uns einen kurzen Augenblick dieser ungenauen Aussage. Welchen Zauber hast du gewirkt?«

      »Ich habe einen Schutzschild um mich herum gebildet. Elevander hat mit einem Ball auf mich geschossen, aber der Ball konnte den Schild nicht durchdringen.«

      Wie stolz ich in diesem Augenblick gewesen bin! In den letzten Monaten habe ich nicht einmal den Anflug dieses Glücks empfunden. Oremazz glaubt nicht an mich. Elevander stachelt mich an. Mein bester Freund unterstützt mich bei meinen Übungen. Ihm ist es aufgrund seines Standes nicht erlaubt, Zauberlehrling zu werden, obwohl ich ihn zu gern an meiner Seite hätte. Genau wie sein Vater arbeitet er als Schreiner und ist damit mehr als zufrieden. Ihn dabei zu beobachten, wie geschickt er mit einem Stück Holz umgeht, schenkt mir den Frieden, den ich bei meiner Aufgabe niemals finde. Er tut, wozu er berufen ist, und motiviert mich, an mir selbst zu arbeiten. Durch seine Hartnäckigkeit habe ich meine Hoffnung noch nicht aufgegeben, irgendwann ein großer Zauberer zu werden.

      Oremazz’ Augenbraue hebt sich. »Ein Schutzschild für dich allein? Das lernen Lehrlinge in den ersten Monaten ihrer Ausbildung. Wozu soll dieser Zauber schon gut sein? Willst du ihn in der Schlacht anwenden? Möchtest du dich damit vor unseren Feinden schützen, während um dich herum die Männer fallen?«

      Mir ist bewusst gewesen, dass es sich bei meiner Übung nur um einen kleinen Trick handelt. Natürlich reicht das nicht, um in einem Kampf die Männer, die unser Fürst aus dem ganzen Land einberufen hat, vor Unheil zu bewahren. Trotzdem habe ich gehofft, mein Großvater würde in Betracht ziehen, dass ich hilfreicher als eine Handpuppe sein könnte.

      »Hast du letzte Nacht die Sprüche gelernt, die ich dir aufgetragen habe?«, fragt der Große Zaubermeister streng.

      »Selbstverständlich. Ich würde dich niemals enttäuschen.«

      Oremazz seufzt. »Zeig es mir«, fordert er. »Sag eine der Formeln.«

      Nervosität lähmt mich sofort. Ich weiß, welchen Spruch ich sprechen möchte. Unsichtbar sein. Dabei handelt es sich um eine Fähigkeit, die ich mir immer schon gewünscht habe. Tatsächlich habe ich ihn bereits vor dem Auftrag von Oremazz gelernt. Mehrmals habe ich den Zauber getestet, um mich heimlich mit Elevander wegschleichen zu können. Niemals hatte ich ein Problem damit, ihn richtig umzusetzen. Doch plötzlich ist mein Kopf wie leergefegt. Die Angst, zu versagen, lässt mich noch vor dem Beginn verzweifeln. Ich klammere mich an den Anfangsworten des Spruches fest und trage ihn leise und langsam vor.

      »Mit meiner Seele rufe ich die Macht,

      damit der helle Nebel über mich gebracht.

      Unsichtbar wandle ich auf dieser Welt,

      solange es mir so gefällt.«

      Nichts passiert. Und das ist kein Wunder. Triumph blitzt in den Augen meines Großvaters auf.

      »Du hast in der letzten Zeile ein paar Worte verwechselt«, tadelt Oremazz sofort. »Es heißt: solange mir diese Tarnung gefällt. Du musst darauf achten, die Sprüche fehlerfrei zu kennen. Wenn du unkorrekte Zauber aussprichst, wirst du keinen Erfolg haben. Du bringst damit nicht nur dich in Gefahr. Genau deshalb kann ich dich nicht ohne meine Hilfe zaubern lassen.«

      Scham erhitzt meine Wangen. Dieser Fehler war unverzeihlich. Ich habe versucht, meinen Großvater davon zu überzeugen, sein Vertrauen verdient zu haben. Stattdessen habe ich ihm einen weiteren Grund geliefert, warum ich nicht würdig bin, sein Nachfolger zu werden. Unter Druck versage ich. Möglicherweise hat Oremazz recht, wenn er mir nicht mehr Verantwortung überträgt.

      »Es tut mir leid, dich enttäuscht zu haben«, würge ich hervor.

      »Ich habe nicht erwartet, dass du plötzlich zu einem Meistermagier wirst. Vergiss einfach deine Albernheiten, schlag dir aus dem Kopf, die Zauber allein zu wirken, und konzentriere dich auf die Aufgabe, die du wirklich umsetzen kannst. Bist du dazu bereit?«

      Mehr als ein Nicken gelingt mir nicht.

      »Schön. Dann lass uns nach draußen gehen und nach einem geeigneten Versuchsobjekt suchen.«

      »Einem geeigneten Versuchsobjekt?«, echoe ich.

      »Exakt. Wir werden sofort einen Versuch starten, bei dem ich den Zauber spreche, und du dich auf die Person konzentrierst, bei der sich die Wirkung zeigen soll. Es ist an der Zeit, deine Fähigkeiten zu testen. Ich will sehen, ob du in der Lage bist, meine Kräfte zu kanalisieren.«

      Bisher haben wir uns hauptsächlich darauf beschränkt, an Gegenständen zu üben. In den letzten Wochen hat mein Großvater Freiwillige dazu abgestellt, mich meine Zauber an ihnen testen zu lassen. Wir haben niemanden darüber informiert, dass nicht wirklich ich es bin, der die Magie benutzt. Genau das wollten wir schließlich verhindern. Es hat auch niemand bemerkt, dass wir nur ein Theaterspiel veranstalten, was Oremazz in seinem Glauben bestärkt, dass wir den richtigen Weg beschreiten. Ich weiß nicht, ob ich glücklich darüber bin, so ein guter Schauspieler zu sein.

      Jetzt soll ich jemanden beeinflussen, der nicht ahnt, für meine Zwecke benutzt zu werden. Seit drei Tagen versuchen wir uns an Zaubern, die unsere Gegner außer Gefecht setzen sollen. Das würde bedeuten, dass wir einen Dorfbewohner ohne Vorwarnung handlungsunfähig machen. Nein, wir könnten ihn sogar verletzen. Der Gedanke gefällt mir nicht.

      »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, frage ich. »Was, wenn jemand bemerkt, was wir tun? Was werden die Leute denken, wenn wir unsere Macht nicht auf verantwortungsvolle Weise einsetzen?«

      »So ein Schwachsinn! Hast du vielleicht vor, unsere Feinde um Erlaubnis zu fragen, bevor du sie kampfunfähig machst?«

      »Nein, aber das kannst du nicht vergleichen. Willst du einen unschuldigen Menschen in Angst und Schrecken versetzen …?«

      Mein Großvater stößt einen Laut der Verärgerung aus. Mit dem Blick, den er mir zuwirft, könnte er glühende Kohlen zu Eis verwandeln.

      Oremazz packt eines seiner Bücher – wozu er es benötigt, weiß ich nicht – und verlässt den Raum. Ich folge ihm auf den Gang. Es wäre ein Leichtes für uns, mit einem Zauber innerhalb einer Sekunde in den Hof zu gelangen. Er liebt den großen Auftritt. Doch dafür hat er es nicht nötig, Magie anzuwenden.

      Bei jedem Schritt, den wir im Schloss zurücklegen, halten die Leute ehrfurchtsvoll inne. Die Frauen sinken in einen tiefen Knicks. Die Männer verbeugen sich. Während man ihn grüßt, wird der Name meines Großvaters nur leise gemurmelt. Es scheint, als wolle man ihn nicht abnutzen, als beinhalte er einen Zauber, den es zu bewahren gilt.

      Obwohl ich direkt neben ihm gehe, werde ich keines Blickes gewürdigt. Als sein Enkel könnte ich eine gewisse Sonderstellung in unserer Gemeinschaft einnehmen. Das ändert allerdings nichts daran, dass ich neben Oremazz nicht beachtet werde.

      »Warte hier«, befiehlt der Große Zaubermeister, als wir auf den Innenhof gelangen.

      Eine Frau mit einem Korb voller Wäsche läuft an uns vorbei. Als sie in den Knicks sinkt, steigt sie sich auf den Saum ihres Kleides, das unter der Toga hervorschaut. Ich greife nach ihrer Hand, um sie am Fallen zu hindern. Sie flüstert einen Dank, bevor sie weitereilt.

      Mein Großvater nimmt die Aufregung der Frau gar nicht wahr und eilt über den Hof. Vermutlich macht er sich auf die Suche nach einem geeigneten Opfer für unseren Versuch. In mir brodelt Unwohlsein. Das ist wohl ein schlechter Traum. Gleich wache ich auf. Das kann er doch nicht tun! Sucht er möglicherweise jemanden, der leicht zu manipulieren ist? Oder möchte er mir die Sache nicht zu leicht machen? Ich hätte nichts dagegen, einen kleinen Erfolg vorweisen zu können, auch wenn ich den Gedanken hasse, irgendjemanden gegen dessen Willen zu beeinflussen. Ich will das nicht!

      Beiläufig beobachte ich das Treiben auf der plattgetretenen Fläche, die fünfzig Schritte auf der einen Seite und gut