Meine Nackenhaare stellen sich auf. Ich weiß nicht, was mich erwartet, wenn ich Umock gegenüberstehe. Möglicherweise lacht er mich aus. Unter Umständen glaubt er mir nicht. Vielleicht hält er unsere Bitte für einen Scherz. Egal, wie viel Zuversicht der Große Zaubermeister empfindet, ich fürchte, dass er sich in diesem Punkt irrt. Niemand kann voraussagen, was ein Wesen wie Umock antreibt.
»Wenn ich den Ausdruck auf deinem Gesicht betrachte, beginne ich an meiner Vision zu zweifeln«, brummt Oremazz. »Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass du deine Rolle in dieser Zeit der Gefahr zufriedenstellend spielen kannst.«
»Dann wirst du uns begleiten?«, frage ich und verachte mich für die Hoffnung in meiner Stimme, in dieser Sache nicht allein zu sein.
»Du weißt, dass das nicht möglich ist. Lass uns noch einmal wiederholen, was ich dir über die Nebelseelen beigebracht habe. Nimm dich vor ihnen in Acht. Besonders Umock wird versuchen, dich zu manipulieren. Selbst nachdem er zugestimmt hat, uns zu helfen, darfst du ihm nicht den Rücken zuwenden.«
Ich nicke. Das ist das Erste gewesen, das mein Großvater mir klargemacht hat.
»Glaub ihm nichts, was du nicht überprüft hast. Dieses Wesen der Dunkelheit spricht mit gespaltener Zunge. Sei vorsichtig, wenn du ihm das erste Mal gegenüberstehst. Die Macht, die es besitzt, wird Auswirkungen auf deine Sinneswahrnehmungen haben, wenn du dich nicht davor schützt. Vergiss nicht, den Zauber zu sprechen, den ich dir beigebracht habe. Der wird dafür sorgen, dass Umock dich nicht manipulieren kann. Benutze ihn, bevor die du Sümpfe von Anouk betrittst. Dieses Moor ist gefährlich. Du kennst die Geschichten darüber.«
Wieder spüre ich, wie ein kalter Schauer über meine Wirbelsäule huscht.
Oremazz nickt zufrieden. »Es schadet nicht, gesunden Respekt vor Umock zu haben. Auch wenn er von den Großen Zaubermeistern und den Lichtwesen vor vielen Jahrhunderten in die Sümpfe verbannt worden ist, besitzt er Macht. Durch mich bist du vor ihm in Sicherheit. Schließlich bindet ihn die Magie, die mich zum Großen Zaubermeister gemacht hat. Solange es ihm nicht gelingt, die Fesseln der Zauber abzuwerfen, durch die er zum Schoßhündchen gemacht worden ist, kann er lediglich als unsere Marionette fungieren.«
Ganz ähnlich fühlt sich auch meine Rolle an. Doch ich darf kein Mitgefühl mit Umock empfinden. Er hat es verdient, aus der Reihe der Zaubermeister verstoßen worden zu sein. Ich kenne vage Geschichten der dunklen Zauber, die er gewirkt hat, bevor man ihn in seine Schranken gewiesen hat.
»Wiederholen wir die Details«, fordert Oremazz. »Womit wirst du ihm drohen, damit er uns in unserem Krieg gegen den unbekannten Feind unterstützt?«
»Damit, dass er seine Magie völlig verlieren wird, wenn er sich nicht unserem Willen beugt.«
»Du wirst ihm zeigen, dass es uns damit ernst ist. Während du mit ihm sprichst, kann ich dir nicht beistehen. Der Zauber, der verhindert, dass du zu einem Sklaven seiner Willkür wirst, sperrt auch mich aus deinem Kopf. Du musst deine Sinne beisammenhalten, Junge. Diesen einen Zauber, der Umock zeigt, dass er nicht Herr über dich ist, musst du allein anwenden. Ich habe dir befohlen, ihn zu lernen, bis du ihn im Schlaf beherrschst. Genauso wichtig ist der Spruch, mit dem du ein anderes Wesen unter deinen Bann stellen kannst. Bist du bereit, ihn auszusprechen?«
Erschrocken reiße ich die Augen auf. »Aussprechen?«
»Wie sonst, denkst du, wird er seine Wirkung zeigen?« Oremazz’ Stimme verhöhnt mich.
»Wenn ich ihn anwende, muss ich ihn auf jemanden lenken. Wer sollte die Macht dieses Zaubers zu spüren bekommen?«
Ein grimmiges Lächeln hebt die Mundwinkel meines Großvaters. »Such dir jemanden aus.«
Vehement schüttle ich den Kopf.
»Dir wird nichts anderes übrigbleiben. Du musst sicherstellen, dass du dazu in der Lage bist.«
»Ich habe dir bereits gesagt, dass ich dazu nicht bereit bin.«
»Tu, was ich dir sage!«, befiehlt Oremazz mit einem Knurren. »Du machst dich lächerlich. Einmal hast du bereits versagt. Versuch wenigstens, die Blamage von vorhin auszumerzen.«
Unter seinem Ärger ziehe ich die Schultern ein. Dennoch bewege ich den Kopf langsam von links nach rechts.
Der Große Zaubermeister hebt die Hand und ohrfeigt mich.
Mein Kopf wird zur Seite geschleudert. Diese Brutalität kommt so überraschend, dass es einen Moment dauert, bevor ich begreife, was gerade passiert ist. Noch niemals hat Oremazz Gewalt angewandt, um mich dazu zu bringen, etwas zu tun, was ich nicht wollte. Noch niemals hat er dermaßen die Beherrschung verloren. Noch niemals habe ich mich so gedemütigt gefühlt.
»Du denkst, du hast eine Wahl. Doch da irrst du dich.« Mein Großvater macht einen Schritt auf mich zu und fixiert mich mit finsterem Blick. »Wenn du dich weigerst, meine Forderung zu erfüllen, werde ich dich dazu zwingen.«
»Es ist nicht gerecht, Magie an jemandem anzuwenden, der sich nicht wehren kann.« Weder an mir noch an der Person, die ich mit meinem Zauber verletzen soll. »Große Macht darf nicht für das Böse genutzt werden.«
Oremazz lacht auf. »Soll das unsere Feinde davon abhalten, gegen uns zu kämpfen? Tu, was notwendig ist. Unsere Gegner werden nicht zögern, uns zu vernichten, wenn wir uns nicht angemessen verteidigen.«
Diese Argumentation kann ich nachvollziehen. Doch die Schlussfolgerung, die der Große Zaubermeister daraus zieht, ist falsch. »Einen Unschuldigen werde ich in diese Versuche nicht mit einbeziehen, wenn er oder sie dadurch zu Schaden kommen könnte.«
Eine Augenbraue meines Großvaters schnellt in die Höhe. Seine Lippen bewegen sich zu Worten, die ich nicht verstehe, deren Wirkung ich jedoch sofort zu spüren bekomme.
Ich bin nicht mehr Herr meines Körpers. Obwohl ich all meine Kraft ansetze, um mich gegen den Überfall der Magie zu wehren, bin ich nicht in der Lage, mich zu bewegen. Grauen erfasst mich, als meine Beine sich in Bewegung setzen und mich zum Fenster tragen, das den Blick auf das umliegende Gelände freigibt. Ich will meine Lieder schließen, als könnte ich dadurch das Schlimmste verhindern, doch meine Augen werden durch den Zauber von Oremazz gelenkt. Sie fixieren einen Mann, der auf das Schloss zugeht und eine Kuh am Strick führt.
Nein! Nein, das darf nicht passieren!
Die Worte sind in mir gefangen und finden keinen Weg nach draußen. Wut und Scham brodeln in mir, weil es mir nicht gelingt, mich dem Bann meines Großvaters zu entziehen. Hilflos bin ich gezwungen, meine Arme zu heben. Meine Finger zeigen in die Richtung des Mannes. Ich will schreien, toben, mich an einen anderen Ort transportieren. Ein Teil von mir möchte sogar den Großen Zaubermeister schlagen, obwohl er alles ist, was mir an Familie noch geblieben ist.
Magie erfüllt mich vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Die Kraft ist so überwältigend, dass es meinen Verstand berauscht. Mein Widerstand gegen ihn beginnt aufgrund der Gewalt seines Zaubers zu bröckeln, während das Feuer der Magie, das in mir entzündet worden ist, überhandnimmt. Einen Augenblick lang empfinde ich ein Hochgefühl, das mich alles vergessen lässt. Selbstbewusstsein und Macht in nie gekanntem Ausmaß. Endlich lerne ich eine Kraft kennen, die meine Seele strahlen lässt. Ich habe mir immer gewünscht, so viel Wärme zu spüren.
Die Energie, die sich in meinem Körper gesammelt hat, sucht einen Weg über meinen Arm ins Freie. Meine Hand vollführt eine Bewegung, die ich ihr nicht befohlen habe. Oh, bei allen Göttern! Es beginnt! Gleich wird es passieren! Ich werde Schuld auf mich laden. Das Entsetzen schnürt mir die Kehle zu. Tränen, die ich