Die Seele des Zauberlehrlings. Betty Kay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Betty Kay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960895053
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ich mich noch auf dem Gang befinde, höre ich, dass im Innenhof Unruhe entsteht. Ein Reiter prescht ins Schloss und springt ab, bevor seine Reitechse vollständig angehalten hat. Er bellt Befehle, verlangt, sofort zum Fürsten vorgelassen zu werden.

      Beunruhigt beobachte ich die Aufregung im Innenhof, bevor ich das Studierzimmer betrete. Die Geschehnisse scheinen sich tatsächlich zu überschlagen. Welche Neuigkeiten der Reiter dem Fürsten wohl übermitteln will? Ich befürchte, es handelt sich um keine guten.

      »Es ist noch schlimmer, als ich nach meiner Vision vermutet habe«, sagt Oremazz, als er Stunden später zu mir kommt. Tiefe Furchen verunzieren seine Stirn. Sein Blick ist abwesend, als er auf dem Stuhl an seinem Schreibtisch Platz nimmt.

      Ich klappe das Buch zu, in das ich vertieft gewesen bin, und trete näher. »Aus welchem Teil des Landes hat der Reiter Nachrichten ins Schloss gebracht? Weißt du, was er von unserem Fürsten wollte?«

      »Unsere Feinde sind näher, als ich befürchtet habe. Der Bote hat einen Brief von Pitreu, dem Fürsten des Küstenstaates Nialling, überbracht. Der hat ihn mit Hilfe einer Flugechse an Ethoss geschickt, um ihn zu warnen, und der hat … Egal. Viel wichtiger ist, was in dem Schreiben gestanden hat. Unbekannte Boote haben sich Nialling genähert. Kriegsschiffe mit schwerer Bewaffnung, die außer Reichweite im Meer vor Anker gegangen sind. Auch wenn die Schiffe wieder aus der Sicht der Wachtürme verschwunden sind, werden sie zurückkehren. Bald. Sie werden Soldaten an unsere Küsten bringen, die uns vernichten sollen. Der Krieg steht unmittelbar bevor.«

      »Bei allen Göttern!« Panik verursacht einen harten Knoten in meinem Magen.

      »Die können uns nicht helfen. Die scheinen uns verlassen zu haben, wenn sie die Gefahr nicht abgehalten haben. Wir sind auf uns allein gestellt. Jeder von uns muss jetzt seine Aufgabe kennen, ihr seine Seele widmen und sie ohne Zögern erfüllen.«

      Widerstand regt sich in mir. Das, was er gerade dem armen Mann angetan hat, darf nicht noch einmal passieren. Die Erinnerung an die Vision, die er mit mir geteilt hat, drängt in mein Bewusstsein. Wenn es uns gelingt, mit Zaubern wie diesem unseren Feinden zu schaden, werden wir sie anwenden müssen. Zukünftige Versuche an Unschuldigen werde ich nicht dulden; wenn der Krieg allerdings bald an unsere Haustüre klopft, werde ich mich meiner Aufgabe stellen müssen. Deshalb nicke ich mit bangem Herzen.

      »Zum Glück sind die Verhandlungen mit den Herrschern der angrenzenden Länder bereits so gut wie abgeschlossen. Unser Fürst hat fast alle davon überzeugen können, dass wir nur gemeinsam in den Krieg ziehen können. Leider haben die Mächtigen unseres Kontinents sich nicht darauf einigen können, einen Anführer zu wählen, der die Truppen aller Länder führt. Wenn ich daran denke, welch ein Chaos entstehen könnte, wenn jeder Fürst seinen Soldaten andere Anweisungen gibt … Jemand muss die Männer anführen.«

      »Wenn die Zeit gekommen ist, werden die notwendigen Entscheidungen gefällt werden«, versichere ich ihm. »Jemand wird unsere Völker vereinen. Unser Fürst Manekas wird die richtigen Worte finden.«

      »Er ist bei den Bewohnern von Maëlle beliebt, weil sein Vater als gütiger und gerechter Herrscher bekannt war. Noch hat unser junger Fürst sich nicht beweisen müssen. Ich hoffe, er ist dieser Aufgabe gewachsen.«

      »Wir werden es schaffen«, versuche ich, den Großen Zaubermeister zu beruhigen. »Da wir alle wissen, was davon abhängt, werden wir unser Bestes geben.«

      »Ich dachte, wir hätten mehr Zeit«, murmelt Oremazz. Er klingt entsetzt und hoffnungslos zugleich, während er mich betrachtet. Sein faltiges Gesicht ist eine Maske des Grauens. In seinen blauen Augen lodert die Dunkelheit. So habe ich ihn noch nie gesehen.

      »Wir wussten, dass wir uns beeilen müssen.«

      Mein Großvater schüttelt den Kopf. »Es gibt noch so viel, das du lernen musst. Du bist überhaupt nicht vorbereitet auf das, was vor dir liegt.«

      Da der Große Zaubermeister das regelmäßig wiederholt, habe ich keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Worte. Also nicke ich. »Das wiederholst du ständig. Allerdings frage ich mich, weshalb du nicht vorhergesehen hast, dass die Staubkörner schneller durch die Sanduhr fließen, als du uns mitgeteilt hast. Warum ist dir dieses Detail verborgen geblieben?«

      Ein finsterer Ausdruck huscht über das Gesicht meines Großvaters. »Stell meine Fähigkeiten nicht infrage.«

      »Das tue ich nicht. Meine Frage ist, meiner Meinung nach, durchaus angebracht. Gibt es eine fremde Macht, die zu verhindern versucht, dass wir rechtzeitig Vorkehrungen treffen können?«

      Diese Überlegung scheint Oremazz zu überraschen. Die Verärgerung weicht aus seinen Zügen. Stattdessen runzelt sich seine Stirn grüblerisch. »Eine fremde Macht?«, echot er.

      Ich zucke mit den Schultern. »Es hat einen Grund, weshalb du diese Vorwarnungen erhalten hast. Das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse möchte vermutlich Gerechtigkeit schaffen. Doch wieso macht dir die Magie dann etwas vor, wenn es um den genauen Zeitpunkt geht, an dem die Bedrohung für uns spürbar wird?«

      Mein Großvater richtet sich auf. Die Farbe kehrt in sein Gesicht zurück. Tatsächlich wirkt er plötzlich sehr zufrieden. »Du hast recht. Das erste Mal in deinem Leben überraschst du mich mit deinen weisen Worten. Du hast den Finger an die richtige Stelle gelegt.«

      Ein Kompliment verpackt in eine Beleidigung. Oder umgekehrt. Ich bin mir nicht ganz sicher, welches von beidem zutreffender ist.

      »Eine fremde Macht!«, wiederholt Oremazz. »Unsere Gegner scheinen uns zu manipulieren. Das klingt sehr wahrscheinlich. Natürlich werden sie versuchen, unsere Pläne zu durchkreuzen. Wenn sie bemerkt haben, dass wir vorgewarnt wurden, müssen sie selbstverständlich versuchen, uns aus dem Konzept zu bringen. Gezielte Fehlinformationen. Ich konnte gar nicht richtig interpretieren, wann meine Vorhersage Realität wird. Unsere Feinde haben meine Magie beeinflusst.«

      »Dir unterlaufen fast nie Fehler«, versichere ich dem Großen Zaubermeister.

      »Natürlich nicht. Ich bin unfehlbar.« Er drückt den Rücken durch. »Wir müssen verhindern, dass unseren Feinden durch ihre Manipulation ein Vorteil erwächst. In ein paar Tagen sollten die letzten fehlenden Antworten von den Anführern unserer Verbündeten einlangen. Dann werden unsere Streitkräfte aufbrechen. Das bedeutet für uns, dass wir jede Stunde nutzen müssen, die uns noch zur Verfügung steht.«

      Schon jetzt ist mir aufgrund der Studien nicht viel Freizeit geblieben. Es scheint, als würde ich in den nächsten Tagen auch wenig Schlaf erhalten.

      Oremazz steht auf und tritt an seinen Studiertisch. »Die Kanalisation meiner Kräfte funktioniert gut genug. Wir können nicht noch mehr Zeit damit vergeuden. Es gibt noch so viel, was ich dir beibringen muss. Ich werde dir Bücher zur Lektüre überlassen, damit du deine Wissenslücken füllen kannst. Mir ist klar, dass es nicht ausreichen wird, um dir das notwendige Werkzeug in die Hand zu geben. Doch fürs Erste muss es reichen. Alle anderen Zauber werde ich dich lehren, wenn der Moment gekommen ist, an denen du sie anwenden musst.«

      Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass ich beim Lesen der Zauberbücher mehr erfahre, als ich es durch die einseitige Ausbildung meines Großvaters tue. Während er sich darauf konzentriert, mir die Sprüche einzutrichtern, die ich brauche, um als sein Werkzeug zu fungieren, kann ich nachts die Zauber üben, die ich in den dicken, alten Wälzern lese.

      »Du weißt, welche Aufgabe dich ganz am Beginn dieses Abenteuers erwartet?« Oremazz sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an.

      »Ich muss als Mittelsmann fungieren, damit wir für den großen Krieg einen Verbündeten an unserer Seite haben. Nur dessen Macht wird uns siegen lassen.«

      Mein Großvater nickt. »In meinen Visionen war dieses Detail ganz deutlich zu erkennen. Umock ist der Schlüssel zu unserem Erfolg. Ohne ihn sind wir verloren.«

      Ein Schauer läuft mir über den Rücken. »Und wenn es mir nicht gelingt, ihn dazu zu bewegen, sich uns anzuschließen?«

      »Dann Gnade uns die Magie.« Oremazz’ Stimme klingt dunkel.

      Der