Die Seele des Zauberlehrlings. Betty Kay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Betty Kay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960895053
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Weg stand.

      »Ich wage zu bezweifeln, dass du aus ihm rechtzeitig einen großen Zauberer machen kannst. Dieser Schwächling ist mit Sicherheit nicht in der Lage, unser Volk vor der Bedrohung zu beschützen, die du vorausgesehen hast.«

      Dann bin ich hier wegen einer Vision, die meinen Großvater heimgesucht hat. Der Große Zaubermeister übernimmt keine einfachen Zauber wie die Heilung von Krankheiten der Bürger unseres Dorfes. Er kümmert sich um die Erhaltung der Gesundheit unseres Herrschers. Wichtiger noch: Er ist in der Lage, dem Fürsten Ratschläge zu erteilen, deren Folgen weit in die Zukunft reichen. Oremazz weiß um die Geschehnisse in der näheren Zukunft Bescheid. Nun scheint es, als würde seine Vorhersage über die Nützlichkeit von Handelsabkommen und die Wetterbedingungen hinausgehen.

      »Er wirkt im Augenblick vielleicht nicht, als wäre er der Aufgabe gewachsen …«, setzt mein Großvater an.

      »Nein, ich würde mich nicht wundern, wenn er beim kleinsten Windstoß davongeweht werden würde. Wie kannst du behaupten, dass er die Lösung unserer Probleme ist? Dass er an deine Stelle treten soll?«

      Mein Herz hüpft. Ich soll Oremazz vertreten? Wie kommt mein Großvater auf diese verrückte Idee? Ich habe keinerlei Erfahrung mit der Zauberei.

      »Lasst mich mit ihm arbeiten. Geduldet Euch ein paar Monate. Dann erkennt Ihr in ihm, was ich jetzt schon sehen kann.« Der Große Zaubermeister verteilt kein Lob, erst recht nicht so großzügig wie jetzt. Das erste Mal fühle ich mich von ihm gestärkt.

      Seine Aussage reicht aus, damit ich mehr davon will. Ich möchte ihm gefallen. Darum schlucke ich meine Widerworte hinunter.

      »Einverstanden. Beginnt sofort mit den Vorbereitungen. Uns läuft die Zeit davon.«

      Mein Großvater nickt, während er sich mir nähert. Er beugt sich zu mir und packt meinen Oberarm, um mich hochzuziehen. »Du kommst mit mir.«

      Er murmelt etwas, macht eine Handbewegung, und plötzlich stehen wir in seinem Studierzimmer.

      »Elevander«, sage ich zu spät. »Er steht vor der Tür des Audienzsaales. Wenn der Fürst in seiner Wut auf ihn trifft …«

      »Ich schicke ihn nach Hause«, unterbricht Oremazz ungeduldig.

      Seine Hände bewegen sich durch die Luft. Dann steigen Funken von seinen Händen auf. Er stößt den rechten Arm vorwärts.

      Dann wendet er sich mir zu. »Du hast uns warten lassen. Der Fürst ist nicht für seine Geduld bekannt. Wärst du früher aufgetaucht, hätte ich ihn leichter beschwichtigen können.«

      »Woher hätte ich wissen sollen, dass du ausgerechnet jetzt nach mir rufen solltest?«

      Mein Großvater schnaubt. »Woher hättest du es wissen sollen? Du hättest es fühlen müssen. Würdest du nur einen Funken Talent besitzen, hätte es nicht Sikiwer gebraucht, um dich zu mir zu rufen.«

      Der Tadel schmerzt. So kenne ich meinen Großvater schon eher. Hat er mich tatsächlich mit einem Zauber zu erreichen versucht? Habe ich seinen Ruf überhört? Bin ich so ein schlechter Lehrling? Scham steigt in mir auf.

      »Es tut mir leid«, sage ich. »Heißt das, du hast den Fürsten belogen, als du ihm gesagt hast, ich würde diese geheimnisvolle Aufgabe erfüllen können?«

      »Vielleicht habe ich ihm nicht die ganze Wahrheit verraten.« Ein verschlagener Ausdruck huscht über das Gesicht meines Großvaters. »Du wirst nicht allein tun, was er von dir erwartet. Ich werde es durch dich tun.«

      Bei allen Göttern!? »Erkläre es mir.«

      Mein Großvater nickt und geht zu seinem Schreibtisch, auf dem unzählige Papiere ausgebreitet liegen, darüber verteilt unterschiedliche Bücher. Auf einem Stapel entdecke ich handschriftliche Notizen. Es scheint, als hätte er Stunden über diesen Unterlagen gebrütet.

      »Ich hatte eine Vision von einer Bedrohung, die uns heimsuchen wird und auf die wir uns vorbereiten müssen«, erzählt der Große Zaubermeister. »Es handelt sich um mehr als eine Hungersnot; eine größere Gefahr, als uns durch einen überlangen, harten Winter bevorsteht. Es wird schlimmer, als wenn wir über Monate hinweg in Dunkelheit leben müssten.«

      Der Tonfall, mit dem Oremazz die Worte ausspricht, macht mir Angst. Er klingt besorgt, drängend, besessen. »Ich verstehe immer noch nicht.«

      Er sieht mich mit einem Blick an, dessen Kälte mir bis in die Knochen fährt. »Eine gefährliche Macht bedroht unsere Leben. Das, was wir kennen, wird von Schwärze verschlungen, wenn wir uns nicht für den wichtigsten Kampf vorbereiten, den unser Volk jemals ausgetragen hat.«

      »Wer sind unsere Feinde?«

      »Das, Lesithder, ist eines der Rätsel, die es zu ergründen gilt. Der Macht, die uns überrollen will, sind wir nie begegnet. Es handelt sich um etwas Dunkles, Unheimliches, nicht Menschliches. Schwarze Magie hilft unseren Gegnern. Ich vermute, dass die antreibende Macht hinter dem geplanten Überfall auf unseren Kontinent nicht für uns Menschen begreifbar ist. Ich vertraue dir eine Befürchtung an, von der unser Fürst nichts erfahren darf. Du musst darüber schweigen, verstehst du mich?«

      Gebannt nicke ich.

      Oremazz macht einen Schritt auf mich zu. »Ich glaube, eine fremde Gottheit ist auf uns aufmerksam geworden und will unsere Welt für sich beanspruchen. Du kannst dir vorstellen, was das für uns bedeuten würde.« Er huscht zu einem Regal und zieht ein Buch daraus hervor. Aufgeregt wedelt er damit in der Luft herum. »Wenn ich mich nicht irre, finden sich die Beweise für meine Theorie in einem dieser Bücher.«

      Ich spüre, dass es ihm ernst damit ist und er an diese Dinge wirklich glaubt. Als sein Enkel sollte ich ihm vertrauen, doch da ist eine leise Stimme, die dagegen ankämpft. Es ist kein Geheimnis, dass mein Großvater in die Zukunft sehen kann. Geschehnisse, die sich am selben Tag zutragen, kann er mit Sicherheit voraussagen, wenn er sich darauf konzentriert. Will man erfahren, was in einer Woche geschehen wird, muss man in seinen Prognosen lesen. Alle anderen Visionen beinhalten Andeutungen, Unsicherheiten, unterschiedliche Versionen der Zukunft. Alles befindet sich im Fluss. Denn wenn Menschen erfahren, welchen Schwierigkeiten sie sich gegenübersehen, verhalten sie sich nicht genau so, wie sie es ohne das Wissen um ihr Schicksal getan hätten. Das bedeutete zwangsläufig, dass das dunkle Bild, das ihm Angst gemacht hatte, nicht in dieser Form Wahrheit werden musste.

      »Wann genau soll diese Bedrohung über uns hereinstürzen?«, frage ich.

      Der Große Zaubermeister läuft zu einem Regal und zieht dort ein weiteres Buch hervor, in dem er auf dem Weg zurück zu seinem Schreibtisch zu blättern beginnt. »Meine Visionen reichen weit in die Zukunft hinein. Die weisen Wesen, die uns beistehen, haben meine Fähigkeiten anscheinend verbessert. Es werden noch einige Jahre vergehen, bis das Unausweichliche geschieht. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass meine Version der Zukunft bereits auf uns lauert.«

      Er vertraut so sehr auf seine Vision, dass ihm nicht mehr bewusst ist, dass seine Zauberkräfte Grenzen unterworfen sind. Auf diesen Denkfehler will ich ihn nur ungern hinweisen. »Möglicherweise reicht eine einzige Entscheidung aus, um deine Weissagung nicht wahrwerden zu lassen. Warum glaubst du, dass wir tatsächlich jetzt schon handeln müssen?«

      »Weil ich nicht die Zukunft einer einzelnen Person vorausgesehen habe«, antwortet mein Großvater und legt das aufgeschlagene Buch neben die anderen. »Das, was ich in der Zukunft entdeckt habe, betrifft nicht nur eine Familie. Nicht nur unser Dorf. Die ganze Welt ist bedroht. Niemand wird überleben, wenn die Dunkelheit, die ich gesehen habe, sich über die Erde legt. Wir müssen uns mit anderen Völkern in Verbindung setzen. Wenn ich die Schwingungen richtig deute, die ich aus allen Teilen des Landes empfange, sind auch andere Zaubermeister in Aufruhr. Nicht nur ich scheine von diesen Visionen heimgesucht zu werden. Sie entsprechen unzweifelhaft der Wahrheit.«

      »Vielleicht gelingt es uns, einen Krieg abzuwenden«, gebe ich zu bedenken. »Wenn wir mit dem Anführer der feindlichen Truppen verhandeln, wenn wir klarmachen, dass wir nicht vorhaben, ihnen unser Land freiwillig zu überlassen, geben sie möglicherweise auf.«

      Oremazz