Die Seele des Zauberlehrlings. Betty Kay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Betty Kay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960895053
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Ein Mann stellt sich ihnen entgegen. Seine Aura erinnert mich an … an mich selbst. Was – gelinde gesagt – verwirrend ist.

      Im Körper eines anderen zu stecken und mich selbst zu beobachten, wie ich aus einer Abteilung von Soldaten vortrete, meine Hand in die Luft recke und irgendetwas schreie, bevor ich auf unsere Gegner zulaufe, fühlt sich seltsam an. Ich kann das Bild nicht mit meinem heutigen Ich in Zusammenhang bringen. Sollte ich tatsächlich irgendwann so mutig, so energisch sein, dass mir eine Armee von Soldaten folgt? Was wird passieren, wenn wir auf die Reihen unserer Feinde treffen?

      Die Vision zeigt es mir nicht direkt. Stattdessen verändert sich das Bild. Eine Wolke hat sich direkt über unser Land geschoben. Sie hat alles verdunkelt, bis die Sonne keinen Weg mehr hindurchfindet. Kein Lichtstrahl berührt mehr den Boden.

      Überall entdecke ich Lager unserer Feinde, die sich auf unserem Kontinent ausgebreitet haben. Nur wenige Mitglieder unseres Volkes haben die große Schlacht überlebt. In den Dörfern leben größtenteils noch Alte und Kinder. Alle kampffähigen Männer, die eine Waffe halten konnten, sind in die Schlacht gezogen und mussten ihr Leben lassen. Die Frauen haben versucht, sich unseren Gegnern entgegenzustellen, konnten die feindliche Übernahme unseres Landes jedoch nicht verhindern. Die Eingebung meines Großvaters verrät mir die Details. Die schreckliche Realität durchdringt meinen ganzen Körper. Wir haben versagt.

      Eine dunkle Wolke nähert sich vom Meer aus dem Kontinent. Magieblitze steigen vom Wasser in die Luft, erhellen die schwarze Masse, während sie Energie an das Ungetüm übertragen. In der nebeligen Hülle wächst mit jeder Stunde eine Macht, deren bösartige Gedanken die Welt vergiften wollen. Monster werden darin geboren. Fauliger Regen sammelt sich im Inneren. Blitze wirbeln darin. Die Luft lädt sich mit schwarzer Energie auf, während die Wolke an Größe gewinnt und sich immer näher schiebt.

      Ein kalter Wind überzieht das Land mit seinem eisigen Hauch. Überall gefriert der Boden. Pflanzen sterben ab, werden zu Gerüsten aus Eis, die der Sturm in Tausende Splitter zerbersten lässt. Je näher diese Naturgewalt unserem Zuhause kommt, umso mehr nimmt sie an Kälte ab. Doch bis dahin ist bereits so viel zerstört, dass niemals wieder jemand in dieser Gegend siedeln kann. Die Kälte sickert in den Boden, lässt ihn für Generationen unfruchtbar werden.

      Nach dem Wind schickt die Wolke, die immer noch über dem Meer schwebt, die Ausgeburten der Hölle aus. Krähen, größer als Häuser, fliegen über das Land und suchen sich ihre Opfer aus den verängstigten Menschen, die nicht schnell genug fliehen können. Sie tragen ihre Beute zurück in die Wolke, ohne dass sie jemals wieder zurückkehren. Unheimliche Kreaturen suchen unseren Kontinenten heim. Sie jagen in der Nacht, fallen über Unschuldige her, verspeisen sie im Schutz der Dunkelheit und verstecken sich bei Tag in den Schatten der Berge.

      Durch die Vorboten des dunklen Angreifers verbreiten sich Schrecken und Angst. Keiner der wenigen Menschen, die den Krieg überlebt haben, fühlt sich vor der Gefahr sicher. Das Leben in unserer Welt ist zu einem Albtraum geworden. Die Magie des Feindes zerstört alles, was wir lieben.

      Ob es einen Weg gibt, diese schreckliche Zukunft zu verhindern? Existiert ein Ausweg, um unser Land und seine Menschen zu retten? Kann ich etwas tun, damit unsere Feinde keinen Erfolg haben? Werde tatsächlich ich den Unterschied machen, oder sitzt mein Großvater einem Irrtum auf?

      Ich werde es herausfinden. Daran gibt es für mich keinen Zweifel mehr. Das hier ist mein Schicksal. Ich werde auf dem Schlachtfeld stehen. Davor kann ich nicht davonlaufen. Denn wenn ich mich dem Albtraum nicht stelle, kann ich nicht verhindern, dass unsere Feinde über uns herfallen. Das würde ich mir niemals verzeihen.

      2. Kapitel

      Zwei Jahre später

      »Halte den Zauberstab fester«, befiehlt mein Großvater. »Sobald dir ein Hauch von Gegenwind entgegenbläst, wirst du ihn verlieren.«

      »Ich brauche ihn doch gar nicht mehr. Diese Zauber kann ich auch ohne Hilfsmittel anwenden.«

      »Kommt nicht infrage.« Oremazz schüttelt den Kopf. »Die Sprüche, die ich dir beigebracht habe, kannst du vielleicht in diesen Räumen ohne Probleme umsetzen. Dich erwartet allerdings eine Aufgabe, die weit über diese Fingerübungen hinausgeht. Du wirst als mein Stellvertreter diese Reise antreten. Durch deine Hände wird meine Magie fließen. Wie willst du die Kräfte, die in dir toben werden, unter Kontrolle halten, wenn du dich ausschließlich auf deine unausgereiften Fähigkeiten verlässt?«

      Eine Haarsträhne verdeckt mir die Sicht. Mit einer ungeduldigen Bewegung streiche ich sie hinter mein Ohr. Langsam nicke ich. Der Große Zaubermeister lässt keine Gelegenheit aus, um mich auf meine Unzulänglichkeiten hinzuweisen. Immer noch scheine ich nicht gut genug, um seine Ansprüche erfüllen zu können. Seit zwei Jahren üben wir jeden einzelnen Tag die gleichen einfachen Zauber und Sprüche. Im Gegensatz zu den anderen Zauberlehrlingen erhalte ich zusätzlich Einzelunterricht bei meinem Großvater. Letzte Nacht hat er mich in den frühen Morgenstunden geweckt, um mich auf den Prüfstand zu stellen.

      »Die Übungen in der Lehrstunde mit den anderen Schülern sind gut verlaufen«, erinnere ich meinen Großvater. »Im Vergleich zu den anderen Lehrlingen habe ich mich nicht schlecht angestellt.«

      »Das ist nicht genug. Verstehst du denn nicht, dass deine Aufgabe größer und komplizierter ist als ihre? Nur zwischen uns besteht die Verbindung des Blutes, durch die ich wirken kann. Dadurch hast du Fähigkeiten, die andere vielleicht niemals erreichen können. Doch das ist bei Weitem nicht genug, um es mit den Feinden aufzunehmen, die auf uns warten. Du weißt, dass die Zeit nicht auf unserer Seite ist.«

      »Motivation ist eindeutig kein Grundpfeiler deines Unterrichts«, murmle ich.

      Oremazz runzelt die Stirn und steht plötzlich direkt vor mir. »Wie bitte?«

      Ich senke den Blick und schüttle den Kopf. Meine Worte will ich lieber nicht wiederholen.

      »Du nimmst diese Sache nicht ernst genug«, beschwert sich der Große Zaubermeister. »Seit zwei Jahren versuche ich dir klar zu machen, wie wichtig deine Rolle werden wird.«

      »Als deine Handpuppe.«

      »Was interessiert es dich in ein paar Jahren, was genau du getan hast, um unsere Welt zu retten? Man wird dich als Helden feiern. Niemand wird ahnen, dass es sich nicht um deine eigenen Zauberkräfte gehandelt hat. Zumindest wenn du dich endlich anstrengst und versuchst, meine Magie auf die richtige Art zu kanalisieren.«

      Mein Herz sollte nicht von Bitterkeit zerfressen werden. Ich weiß, dass ich niemals annähernd gut genug sein werde, um so mächtig zu werden, wie mein Großvater es ist. Ehrlich gesagt habe ich die Zauberei in meiner Kindheit tatsächlich nie als mein Schicksal angesehen.

      Das hat sich allerdings geändert, als ich das erste Mal Magie wirken durfte. Noch bevor die Prophezeiung der Gefahr für unser Volk meine Person zu einer Spielfigur des großen Plans gemacht hat, wollte ich alles Notwendige lernen, um den überdimensionalen Fußstapfen meines Großvaters mit kleinen Schritten folgen zu können. Doch jetzt bin ich zu einer Marionette geworden. Oremazz hat nicht einmal in Betracht gezogen, ich könnte als Zauberlehrling genug Entwicklung zeigen, um auch nur einen Teil der Zauber selbst zu wirken.

      »Ich verstehe, wie groß die Gefahr ist, die uns durch die schwarze Wolke droht«, stelle ich klar. »Wir müssen die Vorhut aus unserem Land verjagen, damit die Dunkelheit uns nicht vernichtet. Ich bin bereit, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um das Schlimmste zu verhindern. Lehre mich alle Zauber, die du kennst. Lass mich nicht nur in den Büchern deiner Bibliothek lesen, wie Magie richtig angewendet wird. Erlaube mir, all diese Dinge auszuprobieren.«

      »Eine schlechte Idee. Damit würden wir bloß unnötig Zeit verschwenden. Meine Vision war mehr als deutlich. Wir wissen, ich habe dich gelenkt. Wozu willst du dich mit etwas befassen, das ohnehin niemals eintritt?«

      Obwohl es in seinem Studierzimmer langsam zu dunkel wird, um das Spiel seiner Miene genau deuten zu können, erkenne ich die Missbilligung auf seinem Gesicht. Die Sonne wird viel zu oft von Wolken verdeckt. Die Abstände, in denen es ihr gelingt, die verfinsternde Decke zu durchdringen, werden immer kürzer.