Die Seele des Zauberlehrlings. Betty Kay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Betty Kay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960895053
Скачать книгу
die Energie in Richtung des Mannes vor dem Schloss, der nichts von der Gefahr ahnt, in der er sich befindet. Er wird von der Macht erfasst, mit der der Zauber von Oremazz durch mich strömt. Ganz plötzlich reißt ihn die Magie zurück. Er hebt vom Boden ab und fliegt mehrere Armlängen weit, bis er an den Stamm eines Baumes geschleudert wird.

      Sein Schrei reißt plötzlich ab. Einen Augenblick lang scheint es, als würde der Fremde in zehn Armlängen Höhe am Stamm festgenagelt sein. Dann löst er sich von der Rinde und fällt schlaff zu Boden, wo er reglos liegen bleibt. Die Kuh, die er geführt hat, trottet langsam davon.

      Meine Unfähigkeit, ihn zu warnen, oder das Unheil von ihm abzuwenden, erschüttert mich bis ins Innerste. Es ist nicht meine Entscheidung gewesen, den Fremden zu verletzen. Trotzdem trage ich Schuld daran. Was ist mit dem Mann passiert? Ist er tot? Bin ich jetzt ein Mörder? Noch weigern sich meine Beine, sich in Bewegung zu setzen, um nach ihm zu sehen. Ich muss sichergehen, dass er noch lebt. Auch wenn ich mich gegen die Inbesitznahme meines Körpers gewehrt habe, wäre es ohne mich niemals so weit gekommen. Und das alles nur, weil der Große Zaubermeister meinen Willen brechen wollte. Ich werde Oremazz niemals verzeihen, was er mir angetan hat.

      3. Kapitel

      Die Schritte der zehn Schritte langen Reittiere erzeugen ein gleichmäßiges Geräusch, wenn sie auf dem Boden aufkommen. Es könnte beruhigend sein, würde es sich nicht um so viele handeln, dass die Töne ein Vibrieren in meiner Brust erzeugen. Das Getrappel von ungefähr fünfzig dunkelgrünen Reitechsen mit unterschiedlichen Farbabstufungen klingt wie das erste Donnergrollen vor dem Gewitter. Eine unterschwellige Drohung von Gefahr.

      Ich drehe mich im Sattel um und werfe einen Blick hinter mich. Um am Hinterteil der Reitechse vorbeisehen zu können, muss ich mich weit zur Seite lehnen. Der mit schwarzen Zackenmustern geschuppte Schwanz des Tieres bewegt sich bei jedem Schritt hin und her und verstellt mir dadurch immer wieder die Sicht. Trotzdem ist der Anblick, der sich mir bietet, beeindruckend.

      Zweihundert Soldaten folgen uns in Viererreihen den Weg zwischen den Hügeln hindurch. Sie tragen schwere Lederrüstungen, die eng an ihrem Oberkörper anlegen. Den Rest seiner Streitkräfte hat der Fürst direkt durch das Land geschickt. Alle Männer, die in der Lage sind, eine Waffe zu führen, wurden eingezogen, um die Invasion unserer Feinde zu verhindern. Irgendwo in der Nähe der Küste werden sie vielleicht auf die Krieger stoßen, die in den Schiffen übers Meer getragen wurden, die man in Nialling gesehen hat. Sie werden die erste Schlacht schlagen, bevor wir wieder zu ihnen stoßen.

      Wir anderen haben eine Aufgabe zu erledigen, von der unser Erfolg in diesem Krieg abhängt. So viele Männer, die den Fürsten beschützen, der ein paar Reihen vor mir reitet. So viele Männer, die in Wahrheit mir folgen, weil nur ich dafür sorgen kann, dass wir Hilfe von Umocks Seite erhalten.

      Niemals hätte ich mich freiwillig dafür entschieden, die Verantwortung für den Verlauf dieser Verhandlungen auf meine Schultern zu laden. Ob die Soldaten, die sich hinter mir den Berg hinaufquälen, freiwillig hier sind? Hat man sie gefragt, ob sie diese Mission begleiten wollen, statt sich direkt in die Schlacht zu werfen und unser Land zu verteidigen? Ist ihnen bewusst, wie wichtig unser Auftrag ist?

      Zumindest gibt es eine Person, die fünf Armlängen hinter mir marschiert, weil er in meiner Nähe sein wollte. Elevander hat natürlich dafür gesorgt, dass wir in diesem Krieg nicht getrennt werden, während wir alles in unserer Macht Stehende tun, um unser Volk zu beschützen. Ich muss nicht zu ihm sehen, um zu wissen, dass er mich beobachtet. Ich kann seinen Blick auf mir spüren wie eine Stütze, die mich aufrecht hält.

      Als ich mich wieder umwende, bemerke ich überrascht, dass sich der Fürst hat zurückfallen lassen und nun auf meiner Höhe reitet. Er mustert mich aufmerksam, während sein weiter Mantel sich hinter ihm bauscht. Sofort verbeuge ich mich, was auf dem Rücken meines Reittieres gar nicht so einfach ist. Zum Glück trage ich nur ein helles, langes Hemd und weite Hosen und muss deshalb nicht befürchten, dass eines der Tiere auf meine Kleidung steigt.

      »Ihr wirkt besorgt. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?« Seine tiefe Stimme erzwingt Respekt. Seine Frage verlangt nach einer ehrlichen Antwort.

      »Wer in Zeiten wie diesen nicht von Sorge gequält wird, besitzt kein Herz.« Das entspricht der Wahrheit. Wenigstens jetzt kann ich ehrlich sein. Es gibt so viel, was ich vor ihm verheimlichen und ihm vorspielen muss. Täuschungen liegen mir nicht. Aber für die Rettung der Welt bleibt mir keine andere Wahl.

      »Hattet Ihr ebenfalls Visionen der Bedrohung wie Oremazz?«

      Ich schüttle den Kopf. Vielleicht zu schnell. Misstrauen zeigt sich auf dem Gesicht des Fürsten. »Soweit ich weiß, wurden lediglich die Großen Zaubermeister der unterschiedlichen Völker mit Offenbarungen gesegnet«, erkläre ich schnell. »Die Magie wendet sich immer an den höchsten Zauberer einer Familie.«

      »Aber Ihr könnt in die Zukunft sehen, nicht wahr? Oremazz hat mir versichert, dass Ihr ihn in diesem Krieg würdig vertreten werdet.«

      »Ich kann alles, was mein Großvater kann.«

      Der Fürst nickt. Eine unerwartete Seitenbewegung des Reittiers lässt seinen Mantel flattern, bevor er wieder auf das mannbreite Hinterteil der dunkelgrünen Echse niedersinkt. »Die Verantwortung, die es mit sich bringt, in eine bedeutende Familie hineingeboren worden zu sein, kenne ich gut. Manchmal ist der Druck, Erfolg haben zu müssen, unglaublich belastend.«

      Er hat ja keine Ahnung.

      »Mein Vater hat Großes für unser Volk geleistet«, fährt der Fürst fort. Sein attraktives Gesicht ist auf den Weg vor uns gerichtet. »Ich habe versucht, ihm ein würdiger Nachfolger zu sein. Seine Fußstapfen sind riesig. Es wäre leicht, ihnen einfach nur zu folgen, doch ich habe versucht, seine Arbeit fortzusetzen.«

      »Das tut Ihr mit großer Weisheit und Güte«, versichere ich.

      »Als mein Vater mich zu seinen Lebzeiten auf meine Aufgabe vorbereitet hat, wusste ich noch nicht, wozu ich fähig bin. Mir war klar, welche Erwartungen in mich gesetzt werden. Ob ich diese würde erfüllen können, konnte allerdings niemand voraussagen. Mein Vater hat vor seinen Ratgebern voller Lob von mir gesprochen. Ich hatte jedoch die ganze Zeit das Gefühl, ich wäre ein Betrüger.«

      Mein Herz setzt einen Schlag aus. Hat er mich durchschaut? Bin ich enttarnt? Weiß unser Fürst, dass ich ihn belüge? Ich werde die Scharade so lange wie möglich weiterspielen. Möglicherweise hatten seine Worte einen anderen Hintergedanken.

      Er wirft mir einen kurzen Seitenblick zu. »Manchmal scheint es, als wäret Ihr von der Größe der ersten Aufgabe, die Euch in Eurem Erwachsenendasein erwartet, eingeschüchtert.«

      Ich bin überfordert. Die Angst, zu scheitern, quält mich, seit wir von zu Hause aufgebrochen sind. Seit fast zwei Wochen sitze ich auf dieser unbequemen Reitechse, während nicht nur mein Körper, sondern auch mein Selbstbewusstsein ordentlich durchgerüttelt wird. Nein, ich bin nicht eingeschüchtert. Ich bin starr vor Panik.

      Die Verabschiedung von meinem Großvater hat nicht viel Zeit in Anspruch genommen. Der Fürst hat unseren Aufbruch vorgezogen, als weitere bedrohliche Nachrichten von anderen Küstenländern eingelangt sind. Nur vier Tage nach dem entsetzlichen Versuch, gegen meinen Willen meine Fähigkeiten zu testen, haben wir unsere Reise begonnen. Die Verachtung, die Oremazz während dieser Spanne mir gegenüber gezeigt hat, hat sich in meine Seele eingebrannt. Die klitzekleine Flamme der Hoffnung, dass ich nicht versagen werde, ist vom Großen Zaubermeister erstickt worden. Dennoch kann ich ihm nicht die Schuld an meinem möglichen Scheitern geben. Ich allein trage die Verantwortung für mein Unvermögen.

      Der Mann, an dem wir damals unsere Versuche durchgeführt haben, ist noch am Leben. Allerdings wird er für immer auf die Pflege durch andere Menschen angewiesen sein. Die Angst auf seinem Gesicht verfolgt mich in meinen Träumen. Ich habe seiner Familie heimlich Geld zukommen lassen. Doch das wird niemals meine Schuld ausgleichen.

      »Meine Erfahrungen als Euer Berater mögen gering sein«, presse ich hervor. »Die Mission, für die die Verantwortung auf meinen Schultern lastet, entscheidet über das Schicksal unseres Volkes. Möglicherweise wirke ich