Die Seele des Zauberlehrlings. Betty Kay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Betty Kay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960895053
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lautstark nach der Verlegung der Baustelle fordert.

      Dann verändert sich etwas. Meine Nackenhaare richten sich auf, während mein Herz einen Hüpfer macht. Frieden breitet sich in mir aus. Er ist da.

      Ich nehme seine Aura wahr, bevor er mich anspricht. Gesichter habe ich mir noch niemals gut gemerkt. Sie sind leicht zu verwechseln, austauschbar, verändern sich je nach Laune. Die Aura eines Menschen bleibt allerdings immer gleich.

      »Was tust du hier? Solltest du nicht im Studierzimmer über deinen Büchern brüten?« Elevander bleibt hinter mir stehen.

      Einen Moment lang habe ich Oremazz aus den Augen verloren. Dann entdecke ich ihn an den Stufen, die zum Rundgang im ersten Stock führen. Will er von dort aus den Zauber wirken?

      »Ich soll mich an einem Opfer versuchen, das nichts von der Manipulation ahnt«, gestehe ich. Mein bester Freund weiß über die Täuschung Bescheid, die mein Großvater und ich planen. Ich musste mich jemandem anvertrauen, auch wenn der Große Zaubermeister das bestimmt nicht gutheißen würde.

      »Eigentlich soll ich einen Schrank für die Bibliothek ausmessen. Jetzt lasse ich mir damit noch ein wenig Zeit. Wann geht es los?«

      »Willst du wirklich dabei zusehen, wie ich mich vor allen lächerlich mache?«, frage ich.

      Elevander lacht leise. »Vielleicht solltet ihr nicht nur an deinen Fähigkeiten als Zauberer arbeiten. Es würde nicht schaden, wenn ihr dein Selbstbewusstsein aufbauen würdet.«

      Ich unterdrücke ein trauriges Seufzen. »Dafür haben wir keine Zeit. Mein Großvater gibt mir sehr deutlich zu verstehen, dass ich seine Erwartungen bei den Aufgaben nicht erfülle, die ich unbedingt erlernen muss. Wenn wir uns dann noch bei Nebensächlichkeiten verzetteln, wird das niemals etwas mit meiner Funktion als Simulationszauberer.«

      Mein bester Freund hebt eine Augenbraue. »Das Problem verstehe ich nicht ganz. Warum kann dein Großvater denn nicht an deiner statt diese Reise unternehmen, wenn er der Meinung ist, bei ihm handle es sich um den besten Zauberer für diese Aufgabe?«

      »Er ist nicht mehr jung genug«, zische ich Elevander zu, als ich den intensiven Blick von Oremazz auf mir spüre. Wenn ich mich jetzt nach meinem Großvater umsehen würde, könnte ich ihn nicht entdecken. Er hat sich einen Platz gesucht, an dem er keine Aufmerksamkeit erregt. Ich kann fühlen, wie er auch meine Augen benutzt, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen.

      »Weshalb lässt er dich dann nicht die Zauber lernen, die notwendig sind?«, will Elevander wissen. »Ihr hattet zwei Jahre, um aus dir einen echten Zauberer zu machen. Wieso hat er diese Zeit nicht genutzt?«

      »Weil ich nicht gut genug bin.«

      Elevander legt mir eine Hand auf die Schulter. »Womit wir wieder bei dem Problem deines mangelnden Selbstbewusstseins wären.«

      Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. »Ich danke dir, dass du an mich glaubst. Vielleicht wärest du als Enkel meines Großvaters nicht gescheitert.«

      »Du bist der Bessere von uns«, behauptet mein Freund. »Du wirst deinen Weg gehen. Daran kann der Große Zaubermeister dich nicht hindern. Möglicherweise erkennt er nicht, wozu du fähig bist. Ich allerdings weiß, dass du zu Großem berufen bist.«

      Das plötzliche Kribbeln in meinem Nacken hat seinen Ursprung in Magie, die zu mir durchdringen will. Inzwischen bin ich geübt darin, meinen Schutzwall Oremazz gegenüber hinunterzufahren. Sofort weiß ich, welche Nachricht mein Großvater mir schicken möchte. Er winkt mich heran. Zeit für meinen großen Auftritt. Ich muss das Gespräch mit Elevander beenden, obwohl ich ihm zu gern dabei zuhöre, wie er meine Zukunft in leuchtenden Farben für mich malt. »Ich weiß deinen Versuch zu schätzen, mich aufzumuntern. Wenn du irgendwann meine aufbauenden Worte benötigst, werde ich sie parat haben.«

      Sein Lächeln ist ein warmer Sonnenstrahl an meinem Hinterkopf, der durch Blätter dringt. »Du irrst dich, wenn du denkst, ich würde dir nur einschmeichelnde Komplimente zumurmeln. Ich weiß, dass du uns alle überraschen wirst und zu mehr in der Lage bist, als Oremazz dir zutraut. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dafür sorgen, dass du dich nicht mehr hinter deinem Großvater versteckst. Ich werde dich daran erinnern, an dich zu glauben.«

      »Lesithder! Gehst du endlich zu dem Ort, den ich dir gezeigt habe?« Oremazz schickt mir mit Hilfe von Magie einen bösen Blick.

      »Ich mache mich gleich auf den Weg«, teile ich ihm durch Gedankenübertragung mit, bevor ich mich Elevander zuwende. »Das ist sehr nett von dir.«

      »Erspare mir deine unnötige Dankbarkeit. Deine Zeit wird kommen. Ein Moment, in dem du allen Zweiflern beweist, wozu du wirklich fähig bist. Ich werde mich vor dich stellen und dich dabei unterstützen, wenn es sein muss.«

      Tränen brennen in meinen Augen. Die Zuversicht, die in Elevanders Augen leuchtet, schnürt mir die Luft ab. Wie kann jemand an mich glauben, der mich so oft hat scheitern sehen?

      Ich öffne den Mund für weitere Dankesworte, halte dann aber kopfschüttelnd inne. Es gibt nichts, was ich Elevander nicht schon mehrmals gesagt habe. Er kennt mich gut genug, um zu wissen, was in mir vorgeht.

      Nach einem Kopfnicken in seine Richtung, wende ich mich ab.

      »Geh los«, fordert mein Großvater in meinem Kopf. »Ich weise dir den Weg.« An der gegenüberliegenden Wand befindet sich ein Durchgang, der zu den Räumen der Dienstboten führt. Mein Großvater lenkt meine Beine in diese Richtung. Ich verberge mich im Dunkeln und suche mit dem Blick den Innenhof nach dem Gesicht ab, das Oremazz mir geschickt hat.

      Als ich noch einmal zu Elevander sehe, nickt der mir zu, als hätte er keine Schwierigkeiten, mich auch in der Finsternis zu finden. Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, bevor er sich auf den Weg macht, um seiner Arbeit nachzugehen.

      Ich schiebe mich tiefer in die Schatten und setze meine Suche fort. Endlich entdecke ich den Mann, auf den der Große Zaubermeister es abgesehen hat. Der grauhaarige Kerl macht sich gerade an einer der Tonnen zu schaffen, in denen das Regenwasser aufgefangen wird. Anscheinend hat sich ein Ring gelockert, der die Holzbretter zusammenhält. Der Mann versucht, sie an die richtige Stelle zu rücken und dann mit dem Schlag seines Hammers zu festigen.

      Seine Handlungen will Oremazz also mit meiner Hilfe beeinflussen. Ich werde das Werkzeug sein, mit dem er die Magie in die richtige Richtung lenkt. Jetzt wird sich entscheiden, ob unser Plan in die Realität umgesetzt werden kann.

      Die Aufgabe stellt eine Herausforderung für mich dar. Ich muss mich jede Sekunde konzentrieren, um die Verbindung nicht abreißen zu lassen. Es wäre viel leichter, einfach die Augen zu schließen, meinen Körper ganz meinem Großvater zu überlassen. Wenn er die Kontrolle übernimmt, bemerke ich nicht, was vor sich geht. Es ist, als ob ich in Trance wäre und an einen anderen Ort katapultiert wäre. In einen dunklen Raum, in dem keine Zeit existiert.

      Meine Miene wird dabei allerdings zu einer starren, gefühllosen Maske. Meine Lippen bewegen sich zu Oremazz’ Worten. Doch in meinen Augen fehlen die Lebendigkeit, das Feuer, das mich ausmacht. Jedem Beobachter ist sofort klar, dass etwas mit mir nicht stimmt.

      Deshalb musste ich lernen, wie ich den Willen meines Körpers in dem richtigen Ausmaß an Oremazz übergebe. Er steuert meine Bewegungen, meine Worte, meine Gedanken. Dadurch bemerkt niemand die Täuschung. Niemand kann herausfinden, dass nicht ich die Magie wirke, nicht ich die weisen Ratschläge gebe. Es ist ein Schutz meiner Person, die als Hochstapler gebrandmarkt werden würde, und gleichzeitig die einzige Möglichkeit, das Vertrauen in mich zu stärken. Wenn jemand herausfinden würde, dass Oremazz über meine Fähigkeiten gelogen hat, würde das seine Position als Großer Zaubermeister gefährden. Er ist zu wichtig für unser Volk, als dass ich auch nur den geringsten Zweifel an seiner Position aufkommen lassen kann.

      Jetzt bemühe ich mich um eine ruhige Atmung. Ich fokussiere meine Aufmerksamkeit ganz auf Oremazz. Gleichzeitig lasse ich den Mann nicht aus den Augen, den mein Großvater ausgewählt hat. In ein paar Sekunden werde ich die Worte sprechen, die mir der Große Zaubermeister in den Mund gelegt hat. Gleich werde ich einen Zauber wirken, um zu testen, ob der Fremde meinen Befehlen