Die Seele des Zauberlehrlings. Betty Kay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Betty Kay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960895053
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bleibt Sikiwer stehen und sieht zu mir zurück. »Wenn du die Nerven des Großen Zaubermeisters genauso strapazierst wie meine, besitzt er mehr Geduld als ich. Oder er erkennt etwas in dir, das mir verborgen bleibt.«

      Das hilft mir nicht bei meiner Entscheidung, ob ich ihm tatsächlich folgen sollte.

      »Dir wird nichts geschehen«, sagt der Zeremonienmeister. »Ich schwöre es dir bei all unseren Göttern.«

      »Da die niemand gegen sich aufbringen will, glaube ich Euch. Allerdings werde ich trotzdem nicht allein mit Euch kommen. Elevander wird uns begleiten.«

      Ein fragender Ausdruck huscht über Sikiwers Gesicht. »Von wem sprichst du? Handelt es sich ebenfalls um einen Zauberlehrling?«

      »Nein, er ist mein bester Freund und mit mir hierhergekommen. Ich werde ihn nicht zurücklassen.«

      Der Zeremonienmeister schüttelte den Kopf. »Für den Fürsten sind Nichtmagier im Augenblick nicht von Interesse. Er verlangt, lediglich dich zu sehen.«

      »Ohne meinen Freund gehe ich nirgendwohin«, wiederhole ich.

      »Wegen dir werde ich noch in Schwierigkeiten geraten.« Sikiwer ballt die Hände. Eine Sekunde lang kann ich die Wellen der Frustration spüren, die von ihm ausgehen. Dann hat er die Kontrolle über seine Gefühle zurückerobert. »Noch nie habe ich so lange gebraucht, um einen Auftrag auszuführen. Wir haben keine Zeit, um uns auf die Suche nach einem kleinen, unwichtigen Jungen zu begeben. Die Herrschaften warten nicht gern.«

      »Es dauert nicht lange. Elevander ist bereits hier.« Ich habe bemerkt, wie er sich näher zu uns herangeschlichen hat. Niemand ist so leise wie mein bester Freund. Außer mir hätte ihn bestimmt niemand gehört.

      Sikiwer hebt misstrauisch eine Augenbraue.

      »Elevander!«, rufe ich schlicht. »Zeig dich.«

      Zwei Schritte von mir entfernt raschelt es in den Büschen. Dann erhebt sich mein bester Freund zwischen den Blättern. Er nickt mir ruhig zu. Sein feingezeichnetes Gesicht verrät nichts. Nur in seinen blauen, weisen Augen steht Neugierde, doch er schweigt. Wir wissen beide, dass wir uns gedulden müssen.

      Sikiwers Gesichtsausdruck ist unverändert kühl. »Lasst uns endlich aufbrechen. Soll man sich im Schloss mit deinem Ungehorsam und dem unerwünschten Gast befassen.«

      Zu dritt machen wir uns auf den Weg zum Schloss. Fast eine halbe Stunde marschieren wir durch den Wald. Erst müssen wir uns einen Weg zwischen den riesigen, hochstämmigen Bäumen und großen, fleischigen Pflanzen hindurch suchen. Dann gelangen wir auf einen Pfad, auf dem wir schneller vorwärtskommen. Elevander und ich werfen uns immer wieder neugierige Blicke zu, während wir Sikiwer schweigend folgen. Wir kennen dieses Gebiet wie unsere Westentasche, weshalb ich dem edlen Herrn zweimal den Weg weise. Sikiwer seufzt nur ungeduldig. Schließlich treten wir zwischen den Bäumen hervor.

      Von dem Hügel aus, auf dem der Wald sich befindet, geht es sanft bergab zum Dorf, das sich in das kleine Tal schmiegt. Üblicherweise würden wir jetzt den schmalen Trampelpfad hinunterlaufen, um uns dann im Haus von Elevanders Eltern etwas zu essen aus der Speisekammer zu stibitzen. Wir würden uns noch eine Weile im Stall verstecken, bis wir uns vor unseren Aufgaben nicht mehr drücken können.

      Sikiwer wendet sich allerdings nach links. Wir wandern über den Hügelkamm auf eine Erhöhung zu, auf der sich das Schloss unseres Herrn befindet. Mein Großvater lebt dort schon seit vielen Jahren. Er hat mich bei Elevanders Eltern zurückgelassen, um seine Fähigkeiten ganz in den Dienst des Fürsten stellen zu können. Trotzdem besucht er mich an drei Tagen der Woche und lehrt mich die Dinge, die seiner Meinung nach ein angehender Zauberer können muss. Noch bin ich zu jung, um in den Stand eines Zauberlehrlings erhoben zu werden. Noch drei Monate, dann feiere ich meinen sechzehnten Geburtstag. Danach muss ich das mir bekannte Leben verlassen, um mich unter Oremazz’ Obhut ganz der Magie zu widmen.

      Je länger wir unterwegs sind, umso größer wird meine Unruhe. Ob der Ruf meines Großvaters mit meinem baldigen Studium zu tun hat? Es ist zu früh, um mich in die Schule mit den anderen Anwärtern zu stecken. Will Oremazz mich auf den Moment vorbereiten, an dem sich alles für mich ändern wird?

      Ich sehe zu Elevander und entdecke die gleiche Beunruhigung in seinem Blick, die ich in meinem Herzen empfinde. Noch trage ich das Haar genauso kurz geschoren wie er – die Frisur des gemeinen Volks.

      Weit unter uns liegt das Dorf. Dort befindet sich alles, was ich kenne. In den schmalen, ausgetretenen Gassen habe ich mein gesamtes Leben verbracht. Nach dem frühen Tod meiner Eltern hat der Große Zaubermeister nur halbherzig den Ersatz gespielt. Sein Verstand gehörte der Magie, sein Herz der Ausübung der Zauberkünste. Erst durch Elevanders Mutter habe ich Wärme und ein Zuhause gefunden. Ein Schatten legt sich über meine Seele, als ich an Moktuli denke. Wird mein Großvater mich zwingen, den Kontakt abzubrechen? Wie auch immer meine Zukunft aussieht, ohne einen Abschied werde ich sie nicht verlassen. Das kann niemand verlangen.

      Sikiwer murmelt etwas, das ich nicht verstehe. Immer wieder treibt er uns an. Als ich stolpere, wirft er mir einen bösen Blick zu.

      »Jetzt beeil dich! Der Fürst wird nicht sonderlich erfreut sein, wenn wir noch länger brauchen.«

      »Soll ich uns schneller ins Schloss bringen?«, schlage ich vor. Die Idee könnte mich in Teufels Küche bringen. Viel länger will ich Sikiwers Missfallen jedoch nicht ertragen.

      »Kannst du es denn?« Überrascht mustert mich Sikiwer.

      Ich nicke. »Der Zauber ist einfach für mich. Die Erlaubnis, ihn zu wirken, habe ich allerdings nicht. Das muss mich jedoch nicht daran hindern. Ihr seid berechtigt, mir den Auftrag dazu zu erteilen.«

      Der Zeremonienmeister wird langsamer. »Du wirst uns nicht versehentlich in Frösche verwandeln?«

      »Natürlich nicht. Ich brauche Eure Hilfe, weil ich mich nur an Orte transportieren kann, an denen ich schon einmal war. Das Schloss habe ich noch niemals betreten. Wenn Ihr Euch die Gegebenheiten dort vorstellt, kann ich uns sicher ins Innere bringen.«

      Sein Blick wandert zum Schloss, das noch unendlich weit entfernt wirkt. Dann nickt er. »In Ordnung. Ich befehle dir, uns schnellstmöglich an unser Ziel zu bringen.«

      Aufregung ergreift von mir Besitz. Ich habe den Zauber noch nicht allzu oft angewendet. Grundsätzlich muss ich mich in der Öffentlichkeit mit meinen Übungen zurückhalten. Mein Großvater ist der Meinung, dass ich meine Fähigkeiten nicht austesten soll, solange ich kein Zauberlehrling bin. Doch diesen Spruch habe ich mir heimlich angeeignet. Elevander und ich benutzen ihn, wenn wir uns unerlaubt von Zuhause entfernen wollen. Obwohl seine Mutter jedes Mal furchtbar böse wird, wenn sie uns dabei erwischt, hat sie uns niemals verraten. In Moktulis Blick liegt nach ihrer Schimpftirade eine Mischung aus Bewunderung und Besorgnis.

      Jetzt darf ich mich endlich mit Erlaubnis eines Erwachsenen daran versuchen. Ich weiß, dass ich dazu in der Lage bin, Elevander in meinen Zauber miteinzubeziehen. Nun ist noch eine zusätzliche Person dabei. Ob ich scheitern werde? Besser wäre wohl, wenn ich mir meine Unsicherheit nicht anmerken lasse.

      Ich balle meine rechte Hand und schließe kurz die Augen. Dann spreize ich meine Finger, bis ich die Energie auf meiner Handinnenfläche spüre. Elevander macht von ganz allein einen Schritt auf mich zu, als ich mich neben Sikiwer stelle. Mit einer magischen Linie aus meinen Fingern, die langsam auf den Boden sinkt, zeichne ich einen Kreis um uns. Dann lege ich je eine Hand auf die Schulter meines besten Freundes und eine auf die des Zeremonienmeisters.

      »Stellt Euch das Schloss vor«, bitte ich. »Am besten eine Stelle, an der wir uns aus dem Nichts materialisieren können, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.«

      »Wie groß muss der Raum sein?«, fragt Sikiwer.

      Ein Grinsen unterdrückend zucke ich mit den Achseln. »Groß genug für uns drei, würde ich sagen.«

      Er verdreht die Augen. »Soweit habe ich mitgedacht, frecher Bengel. Benötigt dein Zauber zusätzlichen Platz? Schickt er Energiewellen aus, die Gegenstände in unserer Nähe zerstören? Einige Zauberer verursachen jede Menge Chaos, wenn sie an