Paul atmete hörbar tief durch, »Was brauchst du Roy?«
»Ice, Snow am besten alles was geht!«
»Ich werde sehen, was ich tun kann, Roy, aber das dauert ein paar Tage.«
Die beiden beendeten das Gespräch. Roy hatte ein gutes Gefühl. Auf Paul hatte er sich schon immer verlassen können und das würde sich auch dieses Mal nicht ändern. Nun musste er nur noch warten bis sich sein Kollege mit neuen Lieferanten bei ihm meldet. Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg, die MDM Kristalle zu kaufen und dann in seinem Versteck den Rest der Lieferung zu strecken. Er brauchte noch viel mehr Drogen, um richtig in den Verkauf einsteigen zu können. Leider dauerte das noch lange genug. Selbst wenn Paul seine Lieferanten angefragt hatte, dauerte es noch eine ganze Weile bis die Lieferungen bei ihm ankommen würden. Dann könnte Roy endlich anfangen richtig zu verkaufen.
6. Kapitel
Vereinigte Staaten, Portland (OR)
Schon seit Stunden observierte Vivian Burgess nun schon das Hochhaus im Herzen von Portland. Das Paket sollte erst im Laufe des Tages geliefert werden, hatte sie von ihrer Freundin Tiana erfahren. Soeben saß sie im Außenbereich eines kleinen Restaurants und genoss Tagliatelle in einer herrlichen Weißweinsauce. Sie kannte das Lokal noch nicht, fühlte sich von der Speisekarte auch nicht besonders angelockt, aber es war der einzige Standort, von dem aus sie ungefährdet den Eingang des gegenüberliegenden Hochhauses überwachen konnte. Immer, wenn sie dachte, ihr Päckchen würde endlich geliefert werden, stellte sich der potenzielle Agent als Geschäftsmann heraus, der einen Termin wahrnahm.
Den letzten Bissen ihrer Mahlzeit spülte sie mit einem Glas frisches Quellwassers hinunter. Gerade in diesem Moment sah sie einen Mann in zerschlissenen Klamotten das Hochhaus betreten. Sein Anzug schien schon viele Jahre in einem Schrank gelagert worden zu sein. Die Motten hatten einige Löcher in dem Stoff hinterlassen, die notdürftig mit einigen Flicken kaschiert wurden. Der Träger war ein älterer Mann, der seine besten Zeiten schon lange hinter sich haben musste. Seine Bewegungen zeugten von schmerzenden Beinen und er ging etwas gebeugt. Vivian hatte das Gefühl diesen Mann bereits schon einmal gesehen zu haben. Sie konnte sich allerdings nicht erinnern, wo das gewesen sein könnte.
Der etwas ältere betrat das Verwaltungsgebäude, hielt sich aber nicht am Empfang auf, sondern steuerte direkt auf den Aufzug zu. Entweder kannte sich der alte Mann hier aus, oder es war ihr Kurier, dachte sich Vivian. Sie musste ihm folgen, um ihre eigenen Ermittlungen am Leben zu erhalten. Allerdings zweifelte sie ernsthaft daran, dass dieser Mann im Dienst von SNB stand. Seine Tarnung mit dem alten schlechten Anzug und so unvorsichtig wie er zu Werke ging konnte er eigentlich kein Agent sein. Trotzdem lag es jetzt an ihr, diesem Geheimdienst auf die Spur zu kommen. Vivian bezahlte ihr Essen beim Kellner und wartete an der nächsten Straßenecke auf den Besucher.
Kurz darauf kam der Mann mit dem zerschlissenen Anzug wieder aus dem Verwaltungsgebäude und trat in die Frühlingssonne in Portland. Vivian beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Als er seinen Weg antrat, blieb sie hinter ihm und folgte ihm versteckt durch die belebte Großstadt. Sein Weg führte durch die engen Straßenschluchten bis zu einer Bushaltestelle. Vivian hatte nicht damit gerechnet, dass ein Agent mit dem Bus fahren würde. Sie brauchte auf die schnelle eine Idee, wie sie möglichst unerkannt an ihm dranbleiben konnte. Sie entschied sich in die Offensive zu gehen und etwas abseits von ihm auf den Bus zu warten. Während er völlig ruhig und gelassen vor dem Häuschen der Haltestelle stand, pirschte sie sich etwas abseits von hinten an das Häuschen heran und wartete. Sie ließ den alten Mann nicht aus den Augen.
Sein Profil glitzerte in der noch schwachen Sonne. Das Gesicht war mit tiefen Falten durchzogen und die grauen Haare hatten sich wie zu einem Heiligenschein um seinen ansonsten unbehaarten Kopf zurückgezogen. Er trug eine dicke Hornbrille auf der Nase. Vivian konnte erkennen, dass er ohne sein Nasenfahrrad so gut wie nichts mehr erkennen konnte. Das machte ihr Hoffnung unerkannt zu bleiben, wenn sie ihm folgte. Als der Bus ankam, zog er sein Ticket aus der Tasche und wartete darauf, dass der Fahrer die Türen öffnete. Neben ihm standen noch einige weitere Fahrgäste. Vivian bewegte sich ebenfalls in die Warteschlange zum Einsteigen, blieb aber außerhalb seines Sichtfelds. In den Filmen sah das immer leichter aus, jemandem unerkannt zu folgen.
Mit einiger Anstrengung und einem leisen Stöhnen erklomm der Mann die Einstiegsstufe des Busses. Unbedarft zeigte er dem Chauffeur sein Ticket und warf einen Blick in den Fahrgastraum. Nur einige Fahrgäste saßen auf den dunkelgrauen plastiküberzogenen Sitzen. Im hinteren Bereich saßen einige Schüler, die sich vor einem jungen Mädchen betont cool gaben. Der ganz normale Wahnsinn wie in jedem Bus. Als Vivian an der Reihe war, zog sie ihr Portemonnaie aus ihrer kleinen Handtasche und kaufte sich eine Fahrkarte bis zur Endstation. Da sie nicht wusste, wann ihre Zielperson den Bus wieder verließ, wollte sie auf der sicheren Seite sein.
Sie durchquerte den Mittelgang und bewegte sich selbstbewusst an ihrer Zielperson vorbei weiter nach hinten. Seinen Sitz hatte er im vorderen Teil des Fahrzeugs gefunden. Sie setzte sich etwas weiter hinten in das Fahrzeug auf einen freien Sitz auf der gleichen Seite. Um sie zu entdecken, müsste er schon den Kopf um hundertachtzig Grad drehen. Vivian versuchte sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen, aber das Adrenalin pumpte in großen Mengen durch ihre Blutbahn. Wenn der alte Mann sie entdecken würde, müsste sie wieder einiges erklären. Allerdings schien der potenzielle Agent nicht weiter auf seine Mitfahrer zu achten. Vivian erfuhr währenddessen einige Beachtung durch die jüngeren Fahrgäste im hinteren Teil. Das junge Mädchen hatte sich Kopfhörer aufgesetzt und achtete nicht weiter auf die Sprüche der Gleichaltrigen. Diese hatten sich jetzt Vivian ausgesucht, um ihre Versuche anzubringen.
Es dauerte nur einige Sekunden bis einer der Testosterongesteuerten Jünglingen mit tausenden Pickeln anfing sie zu bezirzen. Vivian wollte ihn, ohne großes Aufsehen, wieder loswerden, um ihre Zielperson nicht auf sie aufmerksam zu machen. Sie entschied sich für einen besonderen Auftritt dem jungen Gegenüber. Sie bedachte ihn mit einem abschätzigen Blick und ließ ihn auf seiner Körpermitte einige Sekunden verweilen. Dann setzte sie ein kleines Lächeln auf, beugte sich zu seinem Ohr und flüsterte ihm zu, »Nächstes