Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948695712
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gewohnt war.

      „Was willst du von mir?“, flüsterte sie.

      „Was willst du von ihm? Diesem … Elf?“ Es klang wie ein Schimpfwort.

      Und plötzlich war alles klar.

      „Schlaf schön, Lomond.“ Chara ließ ihn einfach stehen und hielt durch das Zelt voller Vampire auf MacOsborn zu. Lomond hatte sie schnell eingeholt. Mit seinen Blicken hielt er seine Brüder und Schwestern davon ab, sich ihr auf mehr als zwei Schritte zu nähern. Sie gehorchten alle ihrem Anführer. Ihre Nähe, ihr Geflüster und Gemurmel nahm Chara nur rudimentär wahr. Sie hatte ihren Panzer. Und langsam begann sie zu begreifen, woraus er gemacht war.

      Es war bedeutungslos, was Lomond wollte. Bedeutungslos, wonach es den Vampir verlangte. Es ging einzig und alleine darum, was sie wollte, wonach es sie verlangte.

      „Während ich schlafe, geht mein einz’ger Wunsch verloren. Einmal gebraucht, wird ein neues Spielzeug alt. Während ich schlafe, verliert ein Name seine Wirkung. Ohne Worte wird ein warmes Lächeln kalt.“

      Der Panzer wurde fester. Chara fühlte, dass sie nicht sein wollte, was die MacDragul waren. Untotes Leben, seelenlose Kreatur … Das ist das Ding, das durch den Wind geht …

      Gleichzeitig fühlte sie sich von ihnen angezogen, von ihrer Verdammnis, ihrer Nacht, ihrer Kälte, ihrer … Lust.

      Ich bin ein Krieger der Nacht, bin ohne Tagtraum geboren. Ich geh dem Licht aus dem Weg, in dunklem Schatten verloren …

      Richtig, die MacDragul hatten ihr aus der Seele gesungen. Und doch, heute wollte sie kein Teil von Lomonds Welt sein. Heute hatte sie andere Pläne. Und ihr Panzer bewahrte sie davor, von jenem Vampir kontrolliert zu werden, der sie einst aus einem anderen Panzer befreit hatte.

      Chara brachte den Weg durch das Zelt hinter sich. Es stand ihr glasklar vor Augen: Der Panzer bestand aus vier Worten und der Entschlossenheit in den schmalen Augen jenes Mannes, der alles über sie wusste. Jenes Mannes, der sogar ihre größte Angst kannte. Der diese Angst selbst fühlte, doch besiegt hatte …

      „Ich liebe dich, Chara.“

      Oachdag, 2. Trideade im Bärenmond / 349 nGF

      Die Tür fällt leise klickend ins Schloss. Einen Moment lang starre ich auf die Stelle in meinem Bett, an der Tauron gerade noch gesessen hatte. Ich spüre einen unnatürlichen, dumpfen Schmerz tief unter meiner Haut. Unnatürlich für mich. Unnatürlich für jemanden, der ein Leben ohne Gefühl als den einzig wahren, den einzig möglichen Weg erkannt hatte.

      Ich schlucke, merke, wie ich mich selbst verachte – jetzt, in diesem Augenblick.

      „Was ist deine größte Angst?“ Gefühle … „Was deine größte Schwäche?“ Gefühle …

      Und so bin ich auch, Lindawen. Meine größte Angst – die Liebe. Meine größte Schwäche – das Gefühl. Der klare Gedanke, ein geordneter Verstand ist es, der uns erfolgreich durch dieses Leben gehen lässt. Das Gefühl ist es, das uns in die Wirren unserer Seele entlässt und dafür sorgt, dass wir stolpern und fallen.

      Doch ich starre auf die Stelle in meinem Bett, wo Tauron gerade noch gesessen hatte, und spüre diesen Schmerz unter meiner Haut. Und ich weiß, dass ich fühle, ich weiß, dass ich lebe, ich weiß, dass ich schwach werde.

      Fast hätte ich mein Ziel verraten und Tauron fortgeschickt, damit er weitermachen kann wie bisher. Vor meinen Augen wurde der Admiral, der fähige, stolze Admiral zu einem kleinen, hilflosen Stück Mensch, das keinen Ausweg wusste – ein verzweifeltes, ängstliches Kind, das hoffnungsvoll nach der Hand greift, die es durch diesen kleinlichen Alptraum führt. Und ich wurde schwach. Warum? Weil es mir Schmerzen bereitete, dass der Mann vor mir Schmerzen litt. Ich hätte ihm fast die Hand gereicht, nach der er verzweifelt suchte.

      Das ist er, der Grund dafür, warum der Skrupellose immer gewinnt. Und der Mitfühlende stets verliert. Die Scorpios wissen um diese Schwäche. Die Anteilnahme am Leid unseres Gegenübers zwingt uns in die Knie, macht uns schwach und besiegbar. Ein starkes Volk merzt alles Schwache aus. Das tun die Tulurrim. Das tun die Scorpios. Und nach allem, was wir wissen, auch die Blaks. Die schwarzhäutigen Kinder, die Al’Jebal in Aschran gefunden hatte, waren alle krank oder hatten sonst irgendwelche körperlichen Defizite. Also weg damit!

      Al’Jebal ist ein Gewinner. Er war und ist skrupellos. Ich hätte ein Gewinner sein können, der für Al’Jebal in den Krieg zieht. Ich war eine Waffe ohne Gewissen. Doch ich bin es nicht mehr. Vielleicht war ich es nie.

      Al’Jebal ist längst nicht mehr ein erstrebenswertes Ideal, er ist die Frage, die ich zu beantworten versuche. Er ist das Rätsel, das ich lösen werde. Er ist der Thanatane, der mir früher oder später erklären wird, weshalb er tat, was er getan hat, und woraus das Band gemacht ist, das uns verbindet. Bis dahin werde ich meiner Wege gehen und ein neues Ziel zu meinem Alpha und Omega erheben: Wahrheitsfindung. Wissen. Und dann tun, was ich für richtig halte. Ich, nicht irgendjemand, den ich dazu auserkoren habe, der Weisheit letzter Schluss zu sein. Ich werde die Wahrheit finden und nach ihr handeln. Ob mit oder ohne Gefühl.

      Hatte ich das Recht, Tauron ein Ultimatum zu setzen? Nein.

      Aber – und das ist die Widersinnigkeit intuitiver Entscheidungen – ich habe dennoch richtig entschieden. Der Admiral hat heute etwas gelernt: Angst ist ein schlechter Berater, wenn es um die Liebe geht. Die Angst treibt uns fühlende Wesen auseinander. Sie schlägt eine Bresche zwischen denen, die sich lieben. Sie zerstört die Liebe. Das weiß ich, obwohl ich es im Grunde nicht wissen kann. Ich weiß es einfach.

      Tauron redet nicht, weil er Angst hat. Er hat Angst davor, dass Siralen ihn verlässt, wenn sie erst weiß, was er treibt. Angst davor, von ihr verachtet zu werden … Angst vor der echten, der einzig wahren Nähe, die nur durch absolute Offenheit, absolute Seelenblöße möglich ist. Wo wir uns nicht öffnen, gibt es kein Erkennen. Und ohne Erkennen lieben wir ins Nichts. Wo wir uns verschließen, sind wir mit uns alleine. Ist das der Grund, warum ich Lindawen mein kleines, schwarzes Buch gab? Ich wollte nicht mehr allein sein … Vielleicht wollte ich sogar geliebt sein.

      Es wird der Tag kommen, an dem ich vergessen habe, Al’Jebal zu fürchten. Doch sollte ich je lernen zu lieben, so weiß ich nicht, wohin mich dieses Gefühl am Ende treiben wird. Ob zu einem Thanatanen, einem Elfen, einem Vampir … zu mir. Und ich weiß nicht, ob das Band zwischen dem Thanatanen und mir je aus Liebe gemacht sein wird.

      Wie auch immer, Tauron ist auf dem Weg zu Siralen, um ihr zu gestehen, warum ich ihn nach meiner Ankunft auf Roella Kalladans Schiff suchen musste, wo ich ihn völlig überrumpelt und mit verwüstetem Äußeren in deren Kajüte vorfand. Er ist aber nur deshalb auf dem Weg zu Siralen, weil ich ihm sagte, ich wüsste über ihn und Roella Bescheid (was eine Lüge ist), und würde Siralen sein Geheimnis verraten, wenn er es ihr nicht beichtet (was ebenfalls eine Lüge ist). Fakt ist, ich weiß nicht, was Roella und Tauron getrieben haben, es liegt nur auf der Hand. Und ich würde nie irgendjemanden auffliegen lassen. Das geht gegen eines meiner dürftigen Prinzipien. Aber ich weiß, dass Tauron und Siralen nur eine Chance haben, wenn sie der Wahrheit eine Chance geben. Siralen denkt, es wäre ihr egal, was zwischen Tauron und Roella läuft. Aber das ist eine Lüge. Ich kann es in ihren Augen sehen. Ich kann sehen, wie sie sich fragt, ob Roella zu einer Bedrohung für sie und Tauron werden kann. Darum müssen sie miteinander reden. Darum habe ich Tauron ein Ultimatum gestellt, obwohl ich kein Recht dazu hatte.

      Der Schmerz lässt nach. Meine Augen wandern von meinem Bett zur schwarzen Rose. Immer noch blüht sie. Sie tut, als gäbe es einen guten Grund, am Leben zu bleiben. Und sie hat recht.

      Neben der Rose liegt die Nachricht, die ich bei meiner Rückkehr in meiner Kajüte vorgefunden habe. Sie erinnert mich daran, dass ich langsam etwas tun muss.

      Ich stehe auf und überlege, ob ich meine Rüstung ablegen soll. Doch dann lasse ich es. Es wird Zeit, sich meiner Wahrheit zu stellen.

      Wir haben eine Abmachung. Wenn Ihr euch daran haltet, halten auch wir uns daran. Es gibt nur einen Weg, dass sich meine Leute unbehelligt