Und was ist mit …, nahm Chara den gedanklichen Faden wieder auf, wurde aber erneut unterbrochen.
„Na, sieh mal ainer an, main Schwesterchen ħat geschafft es żu fliehen.“
Chara lief bereits den Hang zur Plattform hoch. Als Lindawen auf sie zutrat und ihr eine der schweißnassen Strähnen aus dem Gesicht strich, griff sie wie selbstverständlich nach seiner Hand. Er half ihr über einen Felsvorsprung hinauf und sie kam neben Kerrim zum Stehen.
„Nicht ganz. Die haben mich gehen lassen.“
Lindawen ließ ihre Hand nicht los. Es fühlte sich gut an.
„Und wieso hätten sie das tun sollen?“, fragte er.
„Weil sie darauf hoffen, Antworten zu finden. So wie jeder andere, der keinen Plan hat.“
Lindawen musterte sie forschend.
Und was ist mit …, kehrte sie gedanklich wie auf vorgezeichnetem Weg zurück und wurde noch einmal unterbrochen.
„Und waiter?“, wollte Kerrim wissen.
Chara wand sich sachte aus Lindawens Griff und zog Kerrim ins Abseits. „Ich brauche dich. Du musst mit mir zurück zum Lager der Scorpios kommen.“
„Nichts lieber als das, Schwesterchen. Aber wieso?“
Chara zögerte. „Wir müssen mit Al’Jebal Kontakt aufnehmen.“
Kerrim zog den Kopf zurück, als wäre ihm ein übler Geruch in die Nase gestiegen.
„Du willst, dass ich vor aller Augen żu unserem Namai …“
„Er ist nicht mehr mein Meister.“
„Aber mainer. Die Möglichkhait, żu nehmen auf Kħontakt mit Al’Jebal ist ain streng gehütetes Gehaimnis. Das waißt du noch, oder?“
„Ich habe keine andere Wahl. Er muss mit den Scorpios reden.“
„Wieso?“
„Weil nur er ihre Fragen beantworten kann.“
„Wieso sollte er das tuen, Chara?“
Chara zuckte mit den Schultern. „Al’Jebal will die Scorpios als Verbündete …“
„Ich waiß, aber …“
„Na schön. Er will, dass ich lebe, richtig? Wenn er sich weigert, wird das Gegenteil passieren.“
„Was ist mit …“, vernahm sie Lindawens Stimme von dort, wo sie ihn stehen hatte lassen.
„… Siralen und Irwin?“ Chara sah ihn an. „Leben noch. Aber nicht mehr lange.“
Lindawen nickte. „Ich nehme an, du wirst zu den Scorpios zurückkehren.“
„Ja. Und ich muss mich beeilen. Noch haben mich die Dad Siki Na nicht gesehen.“
„Dann werde ich dich begleiten.“
„Nein, das tut schon Kerrim.“ Chara blickte Kerrim eindringlich an.
Schließlich nickte der Bruder. „Von mir aus. Aber wehe, du wainest nachher, wail Al’Jebal dir leset die Leviten. Du waißt ja, was passieret, wenn man ignorieret saine Befehle.“
Er dampfte ab. Chara spähte ihm hinterher. Und was ist mit …
„Bist du in Gefahr?“, vernahm sie Lindawens Stimme neben sich.
„Jetzt nicht mehr.“ Und ohne, dass sie es wollte, zog eine andere Gestalt ihren Blick auf sich – Lomond. Er stand im Abseits und musterte sie. Sie fühlte seine Blicke, auch wenn sein Gesicht nach wie vor unter dem Helm verborgen war. Sie fühlte ihn.
„Der MacDragul wollte dich retten“, vernahm sie Lindawens Stimme neben sich. „Er hätte dich gefunden. Behauptet er.“
„Und wieso hat er es nicht getan?“
„Kerrim beteuerte ihm, du wärst nicht in Lebensgefahr.“
Chara nickte. Der Blutsbruder in Kerrim spürte es, wenn sie lebensgefährlich verletzt war. Und Lomond war vermutlich schnell genug, um rechtzeitig am Ort des Geschehens zu sein. Kerrim hatte sich wahrscheinlich gedacht, besser, wir lassen Chara und den anderen noch ein bisschen Zeit, um zu tun, was immer sie gerade zu tun in der Lage waren.
Chara schüttelte sachte den Kopf. Als könnte sie die Gedanken an Lomond damit loswerden.
Und was ist mit …
Lindawen trat näher, und sein Schatten fiel auf ihr Gesicht. „Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, Chara.“
Chara atmete tief ein, und ihr Blick kehrte zu dem Elfen zurück.
„Es hat sich nämlich nichts daran geändert.“
Und was ist mit Lask Cisch?
Irwin konnte es nicht fassen. Da war sie, die Flok, zusammen mit ihrem Bruder in Schwarz. Er hatte schon irgendwie daran gezweifelt, dass er sie je wieder zu Gesicht bekommen würde. Wieso sollte sie auch zurückkommen? Wegen ihrer hübschen, spitzohrigen Kollegin? Ganz bestimmt nicht. Wenn, dann einzig deshalb, weil, wenn er, Irwin MacOsborn, Sieger des Sängerwettstreits zu Haelgarde, unter ihrer Verantwortung sein Leben gelassen hätte, Chara ein Problem haben würde, und zwar ein richtig großes.
„Ist es wahr, was du erzählt hast, Chara?“, fragte er und beobachtete Chara dabei, wie sie Kerrim in den hinteren Zeltbereich begleitete, während die beiden Scorpios, wie schon vorher, im Eingangsbereich stehenblieben. Zu seiner grenzenlosen Empörung bekam er keine Antwort. Vielleicht lag es daran, dass er Chara die höfliche Anrede verweigerte. Dabei tat er das gar nicht absichtlich. Er fand nur, dass sich jemand, der sich auf Augenhöhe befand … na ja, außerdem verstanden sie sich ja ganz gut, sie beide.
„Wo issst euer Auftraggeber?“, zischte der rote Scorpio.
„Immer langsam mit den kħlainen Assassinen“, grummelte Kerrim, zog irgendeinen kugelförmigen Gegenstand aus seinem Umhang und setzte sich auf den Boden.
Irwin spürte, wie sein Herz schneller schlug. Aha. Die zwei Assassinen hatten also eine hübsche Kugel dabei. Kerrim stellte ein kleines Holzgestell auf, auf dem er das gläsern anmutende Ding platzierte. Chara war neben ihm und schien gedanklich in andere Dimensionen abgedriftet zu sein.
„Ihr blaibet am besten, wo ihr said“, meinte Kerrim und bedachte Irwin mit einem warnenden Blick.
„Ja doch“, knirschte er. Siralen nickte, und die beiden Scorpios machten ohnehin keine Anstalten näherzukommen und blieben nahe des Zelteingangs. Irwin versuchte trotzdem, sich zu den beiden Assassinen zu stehlen, wurde aber mit einem barschen „Was ich ħabe gesagt Euch, MacOsborn?“ abgemahnt.
Irwin schlurfte zu Siralen und ließ sich missmutig auf den Boden plumpsen. Und dann hieß es warten, was er gar nicht leiden konnte. Es passierte nämlich rein gar nichts. Vorerst. Aber dann …
Ein seltsam geisterhaftes Leuchten breitete sich im hinteren Zeltbereich aus. Guten Tag, da passierte anscheinend wirklich etwas Interessantes. Leider sah er rein gar nichts, weil Kerrim ihm und Siralen den Rücken kehrte und das Artefakt abschirmte.
Es knisterte leise, und eine tiefe, ziemlich angenehme Stimme erklang.
„Chara.“
Irwin erkannte die Stimme sofort. Er hätte sie sogar im Traum wiedererkannt. Der Sprecher der Allianz hatte nur einmal mit ihm geredet. Das war, als er den Sängerwettstreit gewonnen hatte. Es reichte auf jeden Fall, um sich in ein osborn’sches Gedächtnis zu brennen. Und das gelang beileibe nicht jedem.
„Al’Jebal.“ Charas Stimme. Na klar, wessen sonst? Chara saß Kerrim gegenüber und hatte damit einen