Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948695712
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aus. Offensichtlich hatte es einen Streit zwischen Chara und dem Monochpriester gegeben.

      Der Tod stand ihr gut. So oder so ähnlich könnte ein Liedchen über die Flok und den Eispriester heißen. Die Muse war zurückgekehrt. Irwin MacOsborn wollte augenblicklich zur Laute greifen, sobald er zurück in seiner Kajüte war.

      Ein paar Gedanken später hatte Irwin den Drachen bestiegen, der ihn zur Meerjungfrau bringen sollte. Er trat gerade unter die Plane des Zeltes, das an Deck des Drachenboots aufgestellt war, da fuhr es ihm kalt ins Gebein. Und das hatte nicht das Geringste mit dem Monochpriester und seinem Eisgott zu tun. Als er nämlich die Frau sah, die sich mit ihren Kriegerkameraden unter der Plane des Zeltes vor der Sonne schützte, und deren Gesicht sich zu seinem Leidwesen normalerweise unter einem Visier verborgen hielt; eine Frau, deren weibliche Emanationen sogar durch eine Plattenrüstung noch heiße Schauer durch seinen Körper jagten, wurde ihm sofort warm ums Herz. Na sowas, wo kamen denn die plötzlich wieder her?

      Chara hielt inne, als sie unter das Zelt trat und ihn dort stehen sah. Im Kreise der anderen MacDragul.

      Da war er also wieder, hatte auf sie gewartet. Dabei hatte sie gehofft, er hätte sich längst wieder in seine Schlafkoje verzogen.

      Die Vampire … hier auf dem Drachen, der sie zum Kommandoschiff rudern sollte. Das war nicht gut.

      Wieso war er ihr bis zum südlichsten Punkt der Welt gefolgt?

      Chara durchquerte das Zelt, ohne Lomond eines weiteren Blicks zu würdigen. Er würde ihr über kurz oder lang sowieso wieder zu nahetreten. Von Nok und Iti begleitet – zwei der Dad Siki Na, welche die Schlacht gegen die Scorpios weitgehend unverletzt überlebt hatten – begab sie sich direkt zum Bug des Drachen.

      „Wieso bist du hier?“, fragte sie leise, als sie spürte, wie er hinter sie trat.

      Lomond schwieg. Chara verschränkte die Arme vor der Brust. Sie spähte auf das Wasser, das im Licht der Mittagssonne glitzerte wie tausend Kristalle. Lomond sah freilich sie an. Das Glitzern der Sonne war wahrscheinlich eine Beleidigung für seine schwarzen Augen hinter geschlossenem Visier. Überhaupt schien ihn nichts anderes zu interessieren als sie. Und dabei ging es ihm wahrscheinlich darum, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Damit sie fiel und er sie fangen konnte. Darin war er ja gut. Wirklich gut …

      „Das weißt du“, erwiderte er schließlich. „Du weißt, wie es in mir aussieht.“

      Ja, richtig. „Dann sag es mir noch einmal, Lomond. Wie sieht es denn aus, tief in dir drin?“

      Es waren Lomonds Worte. Sie hatte sie zum ersten Mal in einem Traum in Valland gehört.

      „Lass mich dein Lakai sein.♫“

      Chara stöhnte auf. „Was soll das überhaupt heißen?“

      Sein Helm streifte über ihre Wange. Diesmal bewegte sie sich keinen Deut weit. Wich nicht, wie sonst, zurück, schaffte es, die diabolische Mischung aus kalter Angst und heißer Leidenschaft auf den Boden nüchterner Berechnung hinunterzupeitschen. Lomond war gefährlich. Für sie, für ihre Ziele, für diese Mission …

      Der MacDragul war sich wiederum seiner Sache sicher. Das war Chara mehr als bewusst. Er wusste, dass ihr diese Art von Wortwechsel, dieses Rätsel raten, dieses Mein Traum, dein Traum, unser Traum-Gerede unter die Haut ging. Es war ihre kleine Welt. Niemand war dort, abgesehen von ihr und dem MacDragul. Und dann war da noch die Tatsache, dass Lomond wusste, was sie brauchte. Nicht nur den Kampf, den sie mit ihm ausfechten konnte, das Kräftemessen, das Ringen … Niemand war Charas Lakai. Sie war ein Lakai für jemanden. Lomond bot ihr an, ihr zu gehören. Das war ein reizvolles Angebot. Selbst für jemanden wie sie.

      „Ich will auf dich achtgeben, dir nahe sein, dich riechen, dich …“ Das Lächeln unter seinem Visier wurde erneut spürbar. „… schmecken.“

      „Mein Blut retten …“

      „Wenn du so willst.“

      Genau das war es. Seine seltsame Art, ihr nahezutreten und doch wieder nicht. Nah und fern, zu nah, zu wenig nah …

      Seine Hände wollten sie greifen. Warum taten sie es nicht? Warum diese halbherzigen Berührungen, dieses tänzelnde, spielerische Hin und Her? Mal heiß, dann wieder kalt, mal Tier, dann wieder Mensch … tot und lebendig, liebend und hassend, getrieben und stoisch.

      Chara blickte zurück unter die Zeltplane, wo die anderen Vampire saßen und sich der Nachmittagssonne entzogen. Sie konnte spüren, wie sie sie anstarrten, wie sie Lomond und sie unter ihren Helmen aus Metall studierten. Wie sie nach dem Blut seiner Beute lechzten. Doch Nok und Iti schirmten sie ab, als wäre das Sandkorn in akuter Lebensgefahr. Dabei hätte Lomond niemals einen seiner Brüder oder auch Schwestern an sie rangelassen. Das wusste sie. Er war soviel Tier wie er ein Mensch war. Seine Beute teilte er nicht. Er erlegte und genoss sie alleine. Die Dad Siki Na gingen trotzdem auf Nummer Sicher.

      Im gegenüberliegenden Zeltausgang stand Irwin MacOsborn. Er stand da schon eine ganze Weile und starrte die neunzehn MacDragul an. In seinem Gesicht spiegelte sich eine vertraute Mischung aus Furcht und Leidenschaft wider. Er war sichtlich hin- und hergerissen, zwischen dem Wunsch, näherzutreten, und dem Selbsterhaltungstrieb, der ihn dringend davor warnte. Da ging es ihm also nicht viel anders als ihr.

      Warum musste ausgerechnet der MacDragul alle Karten in der Hand haben, um sie ins Wanken zu bringen? Seelisch, körperlich, geistig. Anders als Lindawen. Sicher. Nicht so nachhaltig – eher plötzlich, intensiv, umfassend für den Augenblick. Damit gefährdete er aber nichtsdestotrotz das Verhältnis zwischen dem Lichtjäger und ihr. Und das ging nun mal über ein kleines Techtelmechtel hinaus. Lindawen und sie hatten eine Beziehung in vielerlei Hinsicht – privat und professionell. Auch darum konnte sie es sich nicht leisten, dem Vampir die Tür zu öffnen. Heute weniger denn je.

      Das Kommandoschiff rückte langsam näher. Das Platschen der Ruder hatte etwas Beruhigendes. Rings um die Meerjungfrau dümpelten die anderen Schiffe der dritten Flotte im Sonnenglast auf dem Wasser und erinnerten Chara daran, wieso sie alle hier waren.

      „Wieso hat Mordo Haugan MacDragul sich mit seinem Clan der Allianz angeschlossen?“ Die Frage brannte ihr schon länger auf der Zunge. Und sie erlaubte es ihr, über etwas Unverfängliches zu sprechen.

      Lomond schien darüber nachzudenken, ihr eine Antwort schuldig zu bleiben.

      „Blut …“, antwortete er schließlich doch.

      „Bei euch dreht sich alles um Blut, was?“

      In der Dunkelheit seines Helms blitzte ein gelbliches Glimmen auf. „Im Grunde … ja.“ Sein Kopf kam wieder näher. „Und nein.“

      Ein leises Zähnefletschen erinnerte sie an das Tier im Mann. Und es erinnerte sie an ihre Nacht mit beidem – dem Tier und dem Mann. Eine Nacht, die sie heimgeholt hatte. Eine Nacht, die sie nie vergessen würde.

      Während ich schlafe, ändert Liebe ihre Tonart. Ich leere meinen Geist, und eine Erinnerung verblasst. … Nahm Lomond ihr übel, dass sie dieser Nacht irgendwie den Rücken gekehrt hatte?

      „Egal, wer diesen Krieg gewinnt – wir oder die andere Seite – es wird immer Blut geben, von dem ihr euch ernähren könnt“, hielt sie dagegen.

      „Wenn die andere Seite gewinnt, wird keine Nahrung für uns mehr da sein.“

      „Dieser Krieg mag ein Weltkrieg sein, aber irgendjemand wird ihn überleben. Diejenigen, die den Krieg gewinnen.“

      „Nicht nach diesem Krieg. Nicht, wenn das Chaos siegt.“

      Chara versteifte sich. Lomonds übliche Ironie hatte sich gerade verabschiedet. Es sah ganz danach aus, als meinte der Vampir es ernst.

      Sein von Stahl ummantelter Körper rückte wieder näher. Kurz fuhr ihr die wohlvertraute Angst in die Eingeweide. Dann war da plötzlich ein Panzer, einer wie der Lomonds, nur unsichtbar – einer, der ihr neu und fremd war.

      Chara drängte ihre Sinne, ihre Seele in den Panzer und fühlte, wie sich dieser um ihre aufgestachelten Gefühle schloss. Endlich