Lindawen griff nach ihrer Hand, sah ihr in die Augen und wartete. Als sie nichts sagte, zog er den Ring von ihrer rechten Hand und streifte ihn über den Ringfinger ihrer linken. Der Ring war breit und schlicht, ohne jede Zier.
„Hier sitzt er richtig.“ Er zog sie an sich und küsste sie. Es fühlte sich an wie Nach-Hause-Kommen, nur heißer.
„Jetzt du“, flüsterte sie, als sie sich aus seiner Umarmung löste und sich zur Tür umdrehte. „Nok!“ Es dauerte keine drei Herzschläge, da stand der Dad Siki Na an ihrer Seite. „Di atato a?“ Sie deutete auf ihre Unterarme.
„Blu“, willigte er ein, was sich, wie gehabt, in einem Kopfschütteln äußerte – eine noch immer recht befremdliche Geste für eine Zustimmung …
„Ga Tuani!“, verlangte sie. Wie gesagt, die Rosen gehörten ihr. Niemand kannte ihre Bedeutung. Nicht einmal sie selbst, jedenfalls nicht so richtig.
Wieder schüttelte Nok den Kopf. Dann deutete er auf den Stuhl am Tisch, ging seinerseits vor diesem in die Hocke und leerte den Inhalt einer seiner Gürteltaschen auf den Boden. Lindawen setzte sich ohne Widerworte vor den Dad Siki Na. Und dann war es wieder still in der Kajüte. Nur das Schlagen des Holzkeils war zu hören, als Nok seine Knochennadeln in Lindawens Haut trieb.
Da saß er und war im Begriff, für die ganze Elfensippschaft offensichtlich zu machen, dass er zu ihr gehörte. Dass er und die Chaossympathisantin, die obendrein auch noch eine Assassinin Al’Jebals war, ein Paar waren. Dass sie zusammen waren … in … ja was? In Liebe?
„Na, sieh mal einer an. Da hat ja jemand dazugelernt.“
Jedenfalls bis zu ihrer Rückkehr nach Tamang. Was danach war, wusste niemand. Aber bis dahin, bis dahin sollte sie Lindawen gehören. Und er sollte ihr gehören. Auch wenn ihr ein klein wenig schwindelig bei dem Gedanken wurde.
War es falsch? Falsch, dieses Versprechen zu geben? Jetzt besaß er sie, besaß sie, wie Al’Jebal sie besessen hatte – mit diesem Ring, diesem Kreuz, dem Immer-Für-Sie-Dasein …
Sie würde versuchen auszubrechen. Sie kannte sich. Irgendwie würde ihr es auch gelingen. Verletzen würde sie dabei wahrscheinlich nur ihn. Dabei wollte sie ihn nicht verletzen. Schützen wollte sie ihn – schützen und halten. Mit ihm gemeinsam kämpfen wollte sie – mit ihm, neben ihm, hinter ihm, vor ihm.
„Du bist so einfältig, Chara!“, hatte er irgendwann zu ihr gesagt.
Wie einfältig es doch war, dass er dachte, über sie Bescheid zu wissen. Und trotzdem hatte er recht. Er wusste es eben besser. Wie einfältig es doch war, zu denken, man wüsste alles. Wie einfältig sie doch war, wenn sie dachte, er würde alles für sie tun. Sie sei wichtig genug – für ihn, für die Welt … Wie einfältig sie beide doch waren, wenn sie dachten, sie könnten gemeinsam durch die lange, tiefe Nacht gehen, die dieser Welt bevorstand, und wären dabei auch noch unbesiegbar. Waren sie aber. Sie beide und Kerrim. Schön einfältig, schön einträchtig, schön illusorisch. Tja, so musste es sein – illusorisch, utopisch … größenwahnsinnig. Ansonsten müsste sie hier und jetzt aufgeben. Und das konnte sie nicht.
Was Ihr wollt
Worte … zu viele von ihnen. Um zu überzeugen, Verständnis zu wecken, Brücken zu schlagen. Viel zu oft geredet, viel zu oft versucht. Ich bin der Worte so müde, meiner Sprache so überdrüssig. Tagein, tagaus rede ich, doch egal wie sehr ich mich bemühe, meine Worte trägt der Wind hinfort. Nichts ändert sich je wirklich durch sie.
Taten … die vielgepriesenen, oft gelobten. Wohin haben sie mich gebracht? Ich führte das zweite Bataillon in die Wüste, wo es elendiglich verreckte. Hat es etwas zum Besseren verändert? Nein. Verändern tu nur ich mich, ja sogar mit beängstigender Geschwindigkeit. Menschliche Sichtweisen bewegen mich. Als Elfe sollte ich den Lauf der Dinge in der Natur, im Alleinen sehen, zur Kenntnis nehmen und meinen Weg fortsetzen. Fressen und gefressen werden, dem Weltgeist seinen Willen, der Natur ihren Lauf lassen. Doch ich bin so voller Zorn, irrational, einer Elfe nicht zustehend. Und doch, ich kann nicht anders. Ich erkenne nun, wohin mich mein Weg führt. Um ein Volk, das so anders ist als das meine, zu verstehen, muss ich wie dieses Volk denken können. Bin ich deshalb keine Elfe mehr? Vielmehr bin ich die, die neue Wege beschreitet: Hüterin der Waldesstille, Jägerin, Pfadfinderin … es fügt sich. In Zeiten des Wandels, so wie wir sie nun erleben, ist der Stillstand unser Untergang. Wenigstens in diesem Punkt hatte Lask Cisch recht. Wenn mein Volk sich noch länger im geistigen Unterholz seiner Wälder verkriecht, wird es hilflos mitansehen müssen, wie Baum um Baum niedergebrannt wird. Ich werde den Untergang nicht wehklagend mitansehen. Wenn es in meiner Macht steht, werde ich mein Äußerstes geben, um mir, meinem Volk, den Menschen neue Wege aufzuzeigen.
(Aus dem Tagebuch von Siralen Befendiku Issirimen, 349 nGF)
Irwin saß auf der untersten Stufe der Treppe, die von der Steuermannskajüte zum Korridor mit den Kajüten ein Deck tiefer führte, und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Seit seiner Begegnung mit Chara fühlte er sich irgendwie nicht besonders. Er hatte keine körperlichen Beschwerden, das nicht. Aber irgendwo rumorte es … in seinem Bauch. So fühlte es sich wenigstens an. Es passte ihm nicht, was Darcean und Siralen vorhatten. Er wusste bloß nicht, warum. Es ging ihn ja eigentlich nichts an. Er wollte auch gar nicht, dass es ihn etwas anging. Alles, was das Kommando dachte, plante, tat, interessierte ihn eigentlich nicht. Das war alles viel zu belastend für einen Künstler, der darauf zu warten hatte, dass die kreative Welle über ihn kam und ihn davontrug – in eine andere Dimension. Eine Welle, auf der nur er ritt, die nur von ihm geritten werden konnte, die er so richtig reiten würde, weil sie die wahre, die einzige war, die … Wieso dachte er jetzt an Marion, die schöne Blonde von gestern Nacht?
Er räusperte sich. Immerhin war er ein Profi und kein träumender Narr. Der Punkt war, dass ihn die werten Damen vom Expedkom aus ihren Problemen raushalten sollten. Er hatte nur einer einzigen Dame gegenüber Verpflichtungen – der Muse. Davon abgesehen war er ein brillanter Berater in Sachen Propaganda, und ein bisschen in Sachen Militärisches … Und als solcher brachte man ihm sowieso viel zu wenig Respekt entgegen.
Und trotzdem, irgendetwas störte ihn. Jetzt, wo er dem Brigadier Ragna MacGythrun nicht länger verpflichtet war, fühlte er sich von anderen Dingen in die Pflicht genommen. Es lag an dieser Göttin des Todes. Dabei hatte sie vor kurzem noch die Hand an seiner Kehle gehabt und ihm eben genau damit gedroht – dem Tod. Aber sie hatte auch etwas … sie war … so rabiat! Eine Naturgewalt. Ja, das war sie. Sie war eben das Sandkorn. Nein, das war es nicht. Es war etwas anderes. Irwin fühlte sich in der Gegenwart der Flok einfach sicher. Und wenn sie nichts mehr zu sagen hatte, war es um seinen Schutz geschehen. Irgendetwas sagte ihm, dass er Chara nicht egal war. Und sie war ihm nicht egal. Genau darum … darum saß er hier und fühlte sich elend. Allerdings warnte ihn sein Instinkt davor sich einzumischen. Er würde sich in Gefahr bringen, ganz sicher sogar. Das wollte er nicht. Wäre ja noch schöner.
Ein Luftzug streifte seine Wange, als würde jemand an ihm vorbei die Treppe verlassen, auf deren unterster Stufe er saß. Irwin spähte in den Korridor, sah aber niemanden, abgesehen von den beiden tätowierten Muskelbergen vor Charas Kajüte. Litt er jetzt schon an Wahnvorstellungen? Wäre ja gar nicht so abwegig, wenn man bedachte, was er alles durchmachen hatte müssen.
Er wollte sich gerade wieder zurücklehnen, da vernahm er ein unwilliges Grunzen und einen dumpfen Schlag. Alarmiert stand er auf. Doch er sah nur, wie einer von Charas Leibwachen seine Stabkeule zurückzog und der andere nach etwas vor ihm auf dem Boden griff. Nur, da war nichts. Nicht, dass Irwin ernsthaft damit gerechnet hätte, diese Wilden hätten alle Humpen im Schrank …
Was, bei allen guten Geigern? Leise zog er sich zurück auf die Treppe und linste vorsichtig um die Ecke. Dort, wo vorher nichts als Luft war, begann sich plötzlich eine