Siralen lächelte noch immer, als sie die Kapitänskajüte verließ und Tauron wie einen herrenlosen Hund einfach stehen ließ. Er verstand nicht, wieso. Er sah einfach nicht, wie amüsant die ganze Situation im Grunde war. Er sah nicht, dass sein Geständnis nichts als eine grenzenlose Erleichterung für sie bedeutete. Er wusste ja auch nicht, was in ihr vorgegangen war, als sie auf die Meerjungfrau kam und es hieß, Tauron wäre schon den ganzen Vormittag über bei Roella Kalladan.
Ihr Herzblut war völlig zerknirscht in ihrer beider Kajüte aufgetaucht, und hatte es kaum zuwege gebracht, ihr in die Augen zu sehen. Selbstverständlich hatte dies erst recht ihren Argwohn geschürt. Und ganz entgegen der elfischen Sitte, mehr als einen Partner zu haben, ja, dies sogar zu befürworten, hätte Siralen ihn am liebsten zur Raison gebracht. Nie hätte sie vermutet, dass sich ein derartig borniertes Besitzdenken in ihr entfalten könnte. Doch es hatte. Sie wollte, konnte Tauron nicht teilen.
Doch dann begann er stammelnd sein Geständnis vorzubringen, und langsam, ganz langsam fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Er war so offen, dass er ihr sogar anvertraute, dass Chara ihm auf die Schliche gekommen war und er im Grunde nur deshalb geständig war. Er schämte sich, ihr die Wahrheit zu sagen. Verständlich, er war Tauron Hagegard, anerkannter Frauenheld und Admiral einer tausend Schiff großen Flotte. Für ihn war es Folter, seine Männlichkeit in Frage stellen zu müssen. Aber genau darum ging es in seinem Geständnis. Tauron Hagegard, Pirat und Admiral der Allianzflotte, fürchtete, zu früh zu altern und seine Manneskraft zu verlieren. Denn er wollte sich mit einer Elfe vermählen, die nicht altern würde, und er wollte seine zukünftige Frau glücklich machen. Darum unterzog er sich einem über alle Maßen ekelerregenden und, mit Verlaub, mehr esoterischen denn magischen Ritual. Und Roella Kalladan deckte ihn dabei. Einmal pro Mond musste er in einer Substanz aus Fäkalien und sonstigem Unrat baden, weil dies angeblich jung und vital hielt. Magie hin oder her, Siralen hatte von derartigen Methoden noch nie gehört und bezweifelte, dass diese wirklich hielten, was sie versprachen. Aber Tauron bedeutete es viel. Er wollte alles tun, um ihr so lange wie möglich zu gefallen. Also gönnte sie ihm dieses hoffnungsfrohe Martyrium, damit er an ihrer beider Unsterblichkeit glauben konnte. Es gefiel ihr ja, dass er sich derartig ins Zeug legte.
Leider hatten sie nur eine Nacht gehabt, um ihr Wiedersehen gebührend zu feiern. Kaum, dass sie beide erwacht waren und Tauron mehr als bereit war, seine Manneskraft unter Beweis zu stellen, hatte Chara zu einer dringenden Besprechung gerufen. Es klang nach mehr als der üblichen Langweile der Assassinin. Deshalb war Siralen nun auf dem Weg in die Offiziersmesse. Seit Monden fühlte sie sich endlich wieder leicht und unbeschwert. Taurons Geständnis und die nahende Hochzeit hatten sie all ihre Sorgen vergessen lassen: die Feindseligkeit der Landstreitkräfte, die ihr durch die angekündigte Vorsprache des neuen Adjutanten erneut unangenehm auf den Magen geschlagen war, die hohen Verluste in der Wüste, das Problem mit den potentiellen Verbündeten, und so weiter und so fort …
Die Tür zur Messe quietschte leicht, als Siralen sie öffnete. Chara war bereits da, zusammen mit zwei ihrer tätowierten Leibwachen, die wie immer hinter ihrem Stuhl Position bezogen hatten. Und auch Darcean saß bereits am Tisch, auf seiner Schulter der unselige Slarpon, den er nie wieder würde abnehmen können, wenn der Weltgeist kein Wunder für ihn bereithielt. Armer Herzensfreund.
„Wo sind die anderen?“, fragte Siralen und lächelte Chara zu. Die Assassinin hatte immerhin dafür gesorgt, dass Tauron mit der Wahrheit herausgerückt war. Jetzt sah sie allerdings so aus, als hätte sie andere Sorgen.
„Wir sind vollzählig.“
„Ach ja?“ Siralen sah sich um. Als hätte sie in dem spärlich eingerichteten Raum jemanden übersehen können …
„Was ist mit Ahrsa Kasai, Herrn Ben Yussef, Lindawen …“
Chara bedachte sie mit einem durchdringenden Blick.
„Schön.“ Siralen setzte sich neben Darcean und legte ihre Hand wie selbstverständlich auf seinen Unterarm. Es war der einzige Trost, den sie spenden konnte. „Worüber willst du sprechen, Chara?“
Chara stand auf und verschwand zur heckseitigen Fensterreihe, wo sie ihnen den Rücken kehrte und auf das offene Meer hinausstarrte. Die Allianzflotte hatte gerade erneut Fahrt aufgenommen und befand sich auf Kurs Richtung Norden, um El’Chan zu umsegeln und die Westküste des Kontinents anzusteuern. Allerdings ohne die neunte Flotte. Diese hatte Befehl, unter ihrer vallandischen Admirälin Löghild Kunradottir Richtung Süden zu segeln, um diesen Teil des Kontinents auszukundschaften, bevor sie an der Westküste wieder zur restlichen Armada stoßen sollte.
„Es geht um eine Lösung für unser Verräter-Problem.“
Siralen horchte auf. „Gibt es denn eine Lösung? Wenn ja, es wäre …“
„Keine die euch gefallen wird.“
Selbstverständlich. Wie hatte sie nur annehmen können, dass Chara eine für alle akzeptable Lösung gefunden hatte.
„Die Lösung ist andererseits umfassend, nachhaltig.“ Jetzt wandte sich die Assassinin dem Tisch zu. „Die Lösung heißt Dragati.“
Siralen nahm nur am Rande zur Kenntnis, dass ihre Hand langsam von Darceans Unterarm rutschte und in ihren Schoß fiel.
„Wie bitte?“
„Nicht ganz“, relativierte Chara und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Die Lösung ist nicht der Gott selbst, es sind seine Gefolgsleute.“
„Die Dragatisten“, bemerkte Darcean emotionslos, und Siralen hatte noch immer das Gefühl, sich verhört zu haben. Ja, Chara hatte schon einmal den Vorschlag geäußert, mit den Dragatisten in Sachen Verräter zusammenzuarbeiten, damals, als Lask Cisch mit eben diesem Vorschlag Propaganda gemacht hatte. Aber das war nicht so ganz ernst gemeint gewesen. Zumindest hatte Siralen das angenommen. Jetzt sah es danach aus, als wäre Chara dem Schicksalskünder doch in die Falle gegangen.
„Das ist nicht dein Ernst … Chara?“
Charas Blick sprach Bände.
Einmal tief durchgeatmet, dann stand Siralen auf. Sie musste sich ein wenig die Füße vertreten, um ihren Geist in Schwung zu bekommen und den leichten Schwindel zu vertreiben, der sie befallen hatte. Hier ging es gerade um mehr als bloß um eine Meinungsverschiedenheit. Chara schlug allen Ernstes vor, mit dem Dragatisten-Pack gemeinsame Sache zu machen.
„Erstens ist es der blanke Wahnsinn, mit diesen Vergewaltigern, Massenmördern, geistlosen Fanatikern …“
„Wer sagt dir, dass sie das sind, Siralen? Was du da sagst, mag auf die Tulurrim zutreffen. Nicht aber auf die Dragatisten. Jedenfalls nicht zwangsläufig. Viele von ihnen sind zwar vom Stamm der Tulurrim, aber sie huldigen eben nicht mehr Togh Leva, sondern Dragati. Ich und Telos haben den Propheten Hadra kennengelernt, nicht den Gott. Er war damals ebenfalls ein Gefolgsmann Togh Levas. Über den Gott Dragati wissen wir im Grunde nichts. Jedenfalls zu wenig, um ihn oder seine Anhänger dieser Verbrechen zu bezichtigen.“
„Beim Alleinen, Chara! Es spielt keine Rolle, was wir über Hakkinen Dragati oder die Dragatisten zu wissen glauben. Es ist eine Tatsache, dass sie Chaosanhänger sind. Reicht dir das etwa nicht?“
„Sie sind nicht der Feind. Sie sind nicht das Chaosbündnis, das versucht, die Allianz zu besiegen und unsere Welt zu zerstören.“
„Du sprichst in Lask Cischs Worten.“ Siralens Stimme war scharf geworden, was sie selbst einigermaßen überraschte. Sie hatte nicht gewusst, dass sie so leidenschaftlich sein konnte, wenn es um Überzeugungen ging. Jetzt gerade war sie sogar versucht, etwas zu Bruch gehen zu lassen.
Darcean kam auf die Beine, und Siralen hoffte inbrünstig, er möge eine Argumentation parat haben, die Chara zur Vernunft bringen konnte.
Die beiden Goygoa links und rechts von Chara umfassten ihre Stabkeulen fester. Sie spürten den Anflug von Gefahr. Vielleicht war dieses Gefühl sogar berechtigt. Was Chara da von sich gab, roch viel zu sehr nach der Bereitschaft, Verrat an der Allianz zu begehen. Sollte sie ernsthaft daran festhalten, die Dragatisten mit