Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Almut Hille. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Almut Hille
Издательство: Bookwire
Серия: narr Studienbücher LITERATUR- UND KULTURWISSENSCHAFT
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823302193
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private wie berufliche und gesellschaftliche Leben, digitale Schreibumgebungen sinnvoll nutzen zu können (vgl. Kepser 2018: 258).

      Schreibprozesse können auch im Fremdsprachenunterricht digital viel einfacher und stärker als bisher gemeinsam, d.h. kooperativ bzw. kollaborativ gestaltet werden.7 Dabei bietet es sich an, einige Phasen von Schreibprozessen kollaborativ, andere individuell zu gestalten. So kann das Sammeln und Organisieren von Ideen und Material sowie das Anfertigen eines Konzepts bzw. einer Gliederung kollaborativ, das eigentliche Schreiben eines Textes oder Textteils individuell, das Überarbeiten des Textes und seine Präsentation wiederum kollaborativ erfolgen.

      Lernende werden so von Allein-Autor*innen zu vernetzten (Mit-)Schreiber*innen bzw. (Mit-)Verfasser*innen (vgl. Abraham 2016: 273, 277; Krelle 2016: 53). Zu berücksichtigen ist, dass gemeinsame Schreib-(und Lese-)prozesse äußerst anspruchsvoll sind, in deren Verlauf vielfältige Aushandlungsprozesse und (technische) Erprobungen stattfinden. Das Ziel der Textproduktion, die Regeln der gemeinsamen Arbeit, die gemeinsame Verantwortung für das Produkt und die Kriterien der Textqualität, die auch Korrekturen und Überarbeitungen leiten, müssen klar festgelegt sein und von allen Verfasser*innen (immer wieder) reflektiert werden.

      Entstehende Texte können analog, d.h. linear, und digital, d.h. multikodal, hypertextuell und interaktiv strukturiert sein. Sie können offline (z. B. PowerPoint) und online in interaktiven Tools, öffentlich oder nur lerngruppenintern zugänglichen Plattformen, Foren oder Blogs präsentiert werden.

      Digitale Schreibumgebungen, als die z. B. Wikis genutzt werden können, unterstützen alle ineinandergreifenden Phasen kollaborativer Schreibprozesse bis hin zur Präsentation. Sie können auf Lernplattformen angelegt und bei Bedarf durch ein Passwort geschützt werden. Lernende können in ihnen sowohl schreiben als auch kommentieren, korrigieren, verändern und erweitern. Textfassungen sind sofort sichtbar, es kann also synchron gearbeitet werden. Wikis eignen sich insofern auch für gemeinsame Schreibprojekte und virtuelle Schreibkonferenzen von Lernenden bzw. Lerngruppen an verschiedenen Einrichtungen und Orten (vgl. auch Rösler/Würffel 2017: 131).

      6 Sprachliches Lernen

      Bereits am Anfang der fachwissenschaftlichen Diskussion zu den Möglichkeiten des Arbeitens mit literarischen Texten kommt dem sprachlichen Lernen eine prominente Stellung zu. In seinem vielzitierten Beitrag Von der Langeweile des Sprachunterrichts (1985a/1981) spricht Harald Weinrich – mit Rückgriff auf Viktor Šklovskij und Roman Jakobson (→ Kap. 1) – von einer „Literarisierung oder Reliterarisierung“ des Sprachunterrichts (Weinrich 1985a: 241, Hervorh. d. Verf.). Er weist darauf hin, dass die Arbeit mit literarischen Texten der Grammatikvermittlung dienen könne und gleichzeitig eine Beschäftigung mit Inhalten ermögliche. Die Herausforderung liege darin, dass man „das Interesse zwischen den Wörtern und den Sachen […] in die Schwebe bringen und auf diese Weise in eine ‚spielende‘ Bewegung versetzen kann“ (ebd.: 233). Dafür schlägt Weinrich die Arbeit mit Texten der Konkreten Poesie vor, etwa mit dem Gedicht empfindungswörter von Rudolf Otto Wiemer. Mit dem „grammatische[n] Paradigma […] der Interjektionen“ stelle es „den Lesern dicht und auffällig und natürlich nicht ohne irritative Absichten vor Augen, was sicherlich auch der deutschen Landeskunde zugutekommt“ (ebd.: 238). Man müsse nur die einzelnen Verse mit Jahreszahlen versehen, so hätte man eine Interpretation, die die Grammatik übersteige, so Weinrich.

      Textbeispiel

      aha die deutschen

      ei die deutschen

      hurra die deutschen

      pfui die deutschen

      ach die deutschen

      nanu die deutschen

      oho die deutschen

      hm die deutschen

      nein die deutschen

      jaja die deutschen (Wiemer 1971: 21)

      Eine Materialsammlung, in der sich dieses Gedicht ebenfalls befindet, haben Anfang der 1980er Jahre Dietrich Krusche und Rudolf Krechel herausgegeben. In ihrer Sammlung Anspiel. Konkrete Poesie im Unterricht Deutsch als Fremdsprache (1992/1984) argumentieren sie für einen Umgang mit literarischen Texten, der den Lesenden die Teilnahme am ästhetischen Spiel der Texte ermöglicht. Texte der Konkreten Poesie erzielen bestimmte Wirkungen, indem sie grammatische Strukturen und Wortschatz in spezifischer Weise verwenden. Sie bieten eine „überraschende Sinnerfahrung“ (Krusche/Krechel 1992: 81), womit sie auch das sprachliche Lernen unterstützen: „Da sie aus Sprache bestehen, prägen sich auch die dabei ins Spiel gekommenen Sprachelemente mit ein“ (Krusche/Krechel 1992: 81), grammatische Phänomene werden spielerisch in die Aufmerksamkeit der Lesenden und Lernenden gerückt, wie etwa in dem Gedicht Konjugation von Rudolf Steinmetz:

      Textbeispiel

      Ich gehe

      du gehst

      er geht

      sie geht

      es geht.

      Geht es?

      Danke – es geht. (Steinmetz 1974: 72)

      Wie an diesem Gedicht sichtbar wird, nehmen die Texte in der Sammlung Anspiel z.T. gezielt auf grammatische Phänomene Bezug. Eine Übersicht am Ende der Zusammenstellung zeigt, welche Gedichte welche grammatischen Phänomene aufgreifen: etwa Deklination, Fragewörter, Genus, Imperative, Interjektionen, Possessivpronomina, Tempus, zweiteilige Verben. Rudolf Otto Wiemer hat solche Gedichte in den 1970er Jahren für den Fremdsprachenunterricht geschrieben und gesammelt; sie finden sich u.a. in seinen Publikationen beispiele zur deutschen grammatik. gedichte (1971) und bundesdeutsch. lyrik zur sache grammatik (1974). Von dort sind sie in die Sammlung Anspiel (Krusche/Krechel 1992)1 und in die DaF-Lehrwerke ‚gewandert‘, etwa in das Lehrwerk Deutsch aktiv 1A (Neuner et al. 1996/1986). Dort finden sich die Gedichte empfindungswörter (ebd.: 56), LEHRREICH (ebd.: 70), unbestimmte zahlwörter (ebd.: 85) und possessivpronomen (ebd.: 115). Im dazugehörigen Lehrer*innenhandbuch werden sie durch konkrete Hinweise dazu ergänzt, wie man sie im Unterricht einsetzen kann. Krusche/Krechel (1992: 82) geben dagegen nur sehr allgemeine Hinweise zur Arbeit mit den Texten in ihrer Sammlung, etwa, dass sie sich für die Einstiegsphase im Unterricht eignen, dass die Lernenden die Texte selbst „entschlüsseln“ und die Lehrenden deshalb sehr vorsichtig und nur unterstützend tätig werden sollten. Als Anschlussaktivitäten schlagen sie Tätigkeiten vor, die den handlungs- und produktionsorientierten Unterricht (→ Kap. 20) bis heute prägen, auch wenn sie diese Bezeichnung noch nicht verwenden; so regen sie etwa an, Texte weiterzuschreiben (ebd.: 86f.).

      Bekannte Beispiele der Konkreten Poesie, die sich bereits für den Anfängerunterricht auf A1- und A2-Niveau eignen, sind Apfel von Reinhard Döhl (Krusche/Krechel 1992: Text 1, auch in Gomringer 2018: 68), Ordnung von Timm Ulrichs (Krusche/Krechel 1992: Text 3, auch in Gomringer 2018: 233) und Worte von einem unbekannten Verfasser (Krusche/Krechel 1992: Text 4).2

      Textbeispiele

      (Döhl, Postkarte v. 1965, zit. n. Gomringer 2018: 68)     (Ulrichs, zit. n. Gomringer 2018: 233)

      (Unbekannte Verfasser*in zit. nach Krusche/Krechel 1992: Text 4, o.S.)

      Weitere Vorschläge, wie man sprachliches Lernen im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache mit Lyrik und lyrikähnlichen Formen unterstützen kann, hat Gerlind Belke ausgearbeitet, der es in ihren Veröffentlichungen aus den Jahren 2007 und 2011 ebenfalls darum geht, zu zeigen, wie solche Texte einen neuen und spielerischen,