»Ich habe mir gedacht, dass es so aussehen würde«, sagte Marie zufrieden. »Ben weiß, was er tut. Er versteht, was zu den Menschen und ihren Häusern passt.«
»Kommen Sie mit nach oben, dort hat er auch für Einbauschränke gesorgt, die den Charakter dieses alten Hauses nicht verändern«, lud Sebastian die junge Frau ein.
Marie folgte dem Arzt ins Treppenhaus, wo Benjamin tote Winkel und Ecken genutzt hatte, um Stauraum zu schaffen. Auch hier wirkte seine Arbeit nicht fremd und störend, sondern sie fügte sich harmonisch in das alte Haus ein.
Sebastian Seefeld wies auf sein schönes Zuhause und sagte lächelnd: »Sie sehen also, dass auch Ihr Ebereschenhof in den besten Händen ist.«
»Ja, das ist er«, antwortete Marie.
Ihr Blick streifte noch einmal durch den Raum und blieb auf einem Bild im Silberrahmen hängen, das offensichtlich einen Ehrenplatz unter vielen Familienfotos hatte. Es zeigte Sebastian Seefeld und seine Frau Helen bei ihrer Hochzeitsfeier, das Paar tanzte mit einander. Es war ein wunderhübscher Schnappschuss, der einen Moment tiefer Übereinstimmung und glücklicher Sorglosigkeit festgehalten hatte. Ein Windstoß hatte eine seidige Haarsträhne über Helens lachende Augen geweht, ihren Schleier erfasst und in einem eleganten Bogen um die Gestalt ihres Mannes gelegt. Das Paar tanzte im warmen Abendsonnenschein, und das zarte Gespinst des Brautschleiers umhüllte sie beide wie feines, sichtbar gewordenes Band, das ihre Liebe um sie gewoben hatte.
Marie wandte ihren Blick ab. »Sie haben sie verloren«, sagte sie leise.
Sebastian schaute zwischen dem Foto und der jungen Frau hin und her. Marie stand im Schatten der halb geöffneten Tür, aber der Landdoktor konnte ihren ernsten Gesichtsausdruck erkennen. Er sah auch die Blässe und die bläulichen Schatten unter ihren Augen, die ihm als Arzt bereits beim Kaffeetrinken in der Küche aufgefallen waren.
»Marie, wie geht es Ihnen? Ist alles in Ordnung?«, fragte er behutsam.
»Doch, ja, warum fragen Sie?« Marie konnte ihn nicht anschauen.
»Sie wirken ein wenig …«, Sebastian zögerte, »abgespannt?«
Die junge Frau versuchte ein Lächeln. »Das ist kein Wunder, nicht wahr? Bei allem, was jetzt auf dem Hof ansteht. Ich bin einfach sehr müde in der letzten Zeit.«
»Das verstehe ich gut, Sie erleben jetzt eine anstrengende Zeit«, antwortete Sebastian. Aber sein Feingefühl und seine Menschenkenntnis sagten ihm, dass sich noch etwas anderes hinter der sachlichen Antwort der jungen Frau verbarg. Er griff nach ihrem Ellenbogen und drehte Marie behutsam zu sich herum, sodass sie ihm in die Augen sehen konnte. »Aber wenn einmal etwas nicht stimmen sollte, dann sagen Sie es mir, ja? Sorgen können Menschen krank machen, und Sie tragen einiges mit sich herum. Hier im Doktorhaus finden Sie immer jemanden, der Ihnen zuhört.«
»Danke, es tut gut, das zu wissen«, antwortete Marie mit einem kleinen Lächeln. »Aber ich bin wirklich nur müde in der letzten Zeit. Und jetzt muss ich weiter. Ich danke Ihnen, dass Sie mir Ihr Haus gezeigt haben.«
»Das habe ich gern getan«, antwortete Sebastian freundlich, und dann breitete sich ein Lausbubengrinsen auf seinem sympathischen Gesicht aus. »Allerdings nicht so ganz uneigennützig. Ein Gegenbesuch bei Ihnen und Benjamin auf dem Ebereschenhof wär‘ schon schön. Ich hab da so eine Erinnerung an den Obstler, den der Vater im Herbst aufgesetzt hat …?«
Jetzt lachte Marie. Es klang fröhlich und unbeschwert, und genau das war es, was der Landdoktor hatte erreichen wollen. »Jederzeit, ob Baustelle oder nicht! Bis dahin, Doktor!« Sie verabschiedete sich mit einem festen Händedruck.
Sebastian ging hinunter in seine Nachmittagssprechstunde. Im Flur traf er auf Traudel, die gerade einen Strauß frischer Gartenblumen ins Wartezimmer bringen wollte. »Eben hab ich die Marie lachen gehört und das ist schön«, sagte sie. »Vorhin hab ich mir so meine Gedanken gemacht. Das Madl schaut aus, als ob da noch etwas anderes wäre unter all der Freude und Aufregung wegen der großen Pläne.«
»Hast du das also auch bemerkt«, antwortete Sebastian. Liebevoll musterte er die Frau, die ihn aufgezogen hatte und zu einer Ersatzmutter geworden war. Sie wusste immer, was mit den Menschen los war. »Du hast eben das Herz auf dem rechten Fleck.«
»Vor allem hab ich Augen im Kopf!«, antwortete Traudel resolut. »Das Madl braucht ein bisschen Ruhe. Hoffentlich rennt sie nicht heim und macht sofort weiter mit all dem Räumen und Tragen und Abreißen! Sie sollte sich mal einen netten Nachmittag gönnen.«
»Das tut sie«, antwortete Sebastian, während er in seinen weißen Kittel schlüpfte. »Soweit ich mich erinnere, wollte sie jetzt hinüber zu Lisa Ecker gehen. Es sieht nach einem gemütlichen Nachmittag unter Freundinnen aus, du musst dir also keine Gedanken um sie machen.«
Mit einem freundlichen Nicken verschwand Sebastian in seiner Praxis, und Traudel blickte seufzend auf die geschlossene Tür. »Lisa Ecker? Die selbst ernannte Diva von Bergmoosbach?«, murmelte sie. »Und ob ich mir Gedanken machen muss!«
*
Lisa sah die junge Frau durch die Schaufensterscheibe und beeilte sich, ihr freundlichstes Gesicht aufzusetzen. Jetzt nur nichts Falsches sagen, sondern den Samen des Zweifelns, den sie so hinterhältig in Maries arglose Seele gepflanzt hatte, fleißig weiter wachsen lassen! »Jeannette, mach du allein weiter, ich bin mal kurz weg!«, sagte sie zu ihrer Auszubildenden und ging dann mit ausgestreckten Armen auf ihre Freundin zu. »Marie! Ist das aber schön, dass du vorbeikommst!« Sie verteilte Luftküsschen rechts und links. »Komm, lass uns nach oben in meine Wohnung gehen, und wir machen es uns gemütlich.«
Als die beiden Frauen in Lisas Wohnzimmer saßen, meinte Marie leicht beunruhigt: »Du, ich finde es zwar sehr nett, dass du dir einfach so zwischendurch Zeit nimmst, aber müsstest du nicht eigentlich im Geschäft sein?«
»Wo kommen wir denn da hin, wenn ich nicht mal ein Stündchen für eine Freundin übrig habe!«, posaunte Lisa. »Und ich hab doch gesehen, dass du vom Doktor kommst, und recht blass bist du auch. Ist denn was Schlimmes los bei dir?«
»Nein, gar nicht! Ich war nur drüben, um mir die Arbeiten anzuschauen, die Ben für die Seefelds gemacht hat«, erklärte Marie.
»Dann bin ich ja beruhigt!«, antwortete Lisa und legte scheinbar liebevoll ihren Arm um Maries Schultern.« »Und sonst?«
»Leider nicht so gut«, sagte die junge Frau leise. Sie senkte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie es mit Ben und mir weitergehen kann.«
So, so! Gerade noch gelang es Lisa, den lodernden Triumph aus ihrem Gesicht zu verbannen und ihre Stimme besorgt klingen zu lassen. »Aber warum denn, ist etwas geschehen?«, fragte sie heuchlerisch.
»Nichts Bestimmtes«, antwortete Marie sehr leise. Sie war den Tränen nahe. »Es ist nur – meine Gefühle für ihn sind schon viel zu tief, und wenn ich ihn noch mehr in mein Herz und in mein Leben hinein lasse, dann würde ich es nicht ertragen, wenn ich ihn verliere. Ich weiß ja, dass Liebe wehtut, aber von Ben verlassen zu werden daran würde ich zerbrechen. Kannst du das verstehen?«
Nein, das konnte Lisa keineswegs! Überhaupt waren ihr Maries Zaghaftigkeit und Unsicherheit ein Dorn im Auge. Sie fand, die andere Frau hatte einen tollen neuen Fang gemacht und absolut keinen Grund zum Jammern. Lisa schluckte ihre Ungeduld hinunter und antwortete so sanft wie möglich. »Natürlich kann ich das verstehen, bei den Erfahrungen, die du mit Fabian machen musstest! Und wenn Ben auch nur halb so lieb und nett ist, wie er zu sein scheint, dann wird er dafür Verständnis haben, ganz sicher!« Sie suchte Maries Blick und hielt ihn mit ihren blauen Unschuldsaugen fest. »Das hat er doch …, oder etwa nicht?«
»N-nicht so g-ganz«, stammelte Marie unter Tränen. »Er bemüht sich sehr, a-aber er s-sagt, ich mache i-immer einen Sch-Schritt vor und zwei zu-zurück und dass das s-sehr schwer für i-ihn ist.«
»Aber du weißt doch am besten, was du fühlst, und was gut für dich ist«, warf Lisa ein. »Und das ist immer noch besser, als wenn man es nicht merkt.« Sie legte eine kunstvolle Pause ein, so als ob sie sich selbst überwinden müsste, und