»Ja, das habe«, antwortete Marie.
Sie war eindeutig keine Plaudertasche, wie Lisa hatte feststellen müssen! Und über intime Details sprach sie schon mal gar nicht.
»Und? Wie geht’s jetzt weiter mit euch? Hört man schon die Hochzeitsglocken läuten?«, bohrte Lisa weiter.
»Wie bitte?« Marie errötete, ohne es selber zu bemerken. »Was du nur wieder denkst! Das ist mir viel zu wichtig, als dass ich es überstürzen würde! Den Mann, den ich heirate, muss ich durch und durch kennen, und ich muss ihm vertrauen können.«
Lisa spielte mit ihrem Glas Prosecco und warf ihrer Freundin einen langen, forschenden Blick zu. Dann nickte sie in gespieltem Ernst. »Ja, das kann ich gut verstehen. Nach den Erfahrungen, die du gemacht hast! Und Ben ist ein so toller Mann, da ist ein bisschen Vorsicht vielleicht gar nicht verkehrt.«
Marie horchte auf. »Was meinst du damit?«
Lisa produzierte den allerbesten Unschuldsblick, zu dem sie fähig war. »Na ja, ich mein ja nur …, schau ihn dir doch an, den Benjamin. Das ist doch wirklich ein Prachtkerl. Und bestimmt sehen das andere Frauen genauso. Hast du dich eigentlich noch nie gefragt, weshalb er mit Mitte Dreißig noch nicht verheiratet ist?«
»Es hat sich halt nicht ergeben«, antwortete Marie zögernd. »Vielleicht war die große Liebe noch nicht dabei?«
»Oder er ist ein Mann, der sich nicht festlegen will!«, erwiderte Lisa. Sie beobachtete Maries nachdenkliches Gesicht, die Hände, die zerstreut mit dem Lesezeichen spielten. »Das kennen wir doch alle«, setzte sie zutraulich hinzu. »Es gibt Männer, die haben ein Herz aus Gold, aber warum sollen sie das einer einzigen Frau schenken, wenn sie an jedem Finger zehn haben können?«
Maries dunkle Augen begegneten ihrem Blick offen und ohne Arg. »Sag, wie gut kennst du den Benjamin eigentlich?«
»Och …« Lisa zwirbelte eine Haarsträhne zwischen den Fingern und klimperte mit den Wimpern. Jetzt nur nichts Falsches sagen! »Also nicht, dass da mal zwischen uns was Festes war. Man kennt sich halt, sieht sich hier und da, geht zusammen was trinken oder tanzen, wenn es sich so ergibt«, antwortete sie vage. Sie musste den richtigen Weg finden, Marie zu beunruhigen, ohne konkret zu werden. »Weißt du, ist das nicht ein bisschen wie bei Fabian? Er sah doch auch so gut aus, war charmant, bei den Frauen beliebt – genau wie Ben. Und war er damals nicht auch schon in diesem Alter und noch ungebunden?«
Marie schaute sie mit einer Mischung aus Erschrecken und Abwehr an. »Ich finde nicht, dass man Benjamin und Fabian miteinander vergleichen kann!«, sagte sie.
»Natürlich nicht, so direkt habe ich das auch nicht gemeint!«, erklärte Lisa. Sie stellte ihr Glas zur Seite, rutschte zu ihrer Freundin in die Sofaecke und legte den Arm um ihre Schultern. »Natürlich ist Ben nicht so ein Hallodri wie Fabian! Mir ist da halt nur aufgefallen, dass beide sich mit Mitte Dreißig noch nicht gebunden hatten und zumindest bei Fabian wissen wir, warum. Das kann bei Ben doch ganz anders sein! Wenn er sagt, dass er die Richtige bisher noch nicht gefunden hat …« Aufmunternd klopfte sie ihrer Freundin auf die Schulter. »Komm, lassen wir uns unseren Mädelsabend nicht durch so ernste Gespräche verderben! Gib doch mal die Schokolade rüber, und dann lass uns endlich unseren Film gucken.«
Marie nickte. Sie griff nach der Schale mit den Süßigkeiten, legte die DVD ein und versuchte, sich auf den Film zu konzentrieren, aber immer öfter schweiften ihre Gedanken ab.
War etwas Wahres dran an Lisas Worten? Gab es tatsächlich Ähnlichkeiten zwischen Benjamin und ihrem Ex-Ehemann? Und was sagte das über sie selbst aus? – Wählte sie unbewusst Männer aus, die sie automatisch enttäuschen würden? Musste sie noch vorsichtiger sein? Irgendwann verlor Marie den Anschluss an den Film und hing nur noch ihren Gedanken nach. Sehnsucht nach Geborgenheit, Sehnsucht nach Benjamin stritten in ihrem Herzen mit der Angst vor neuer Enttäuschung und der Furcht, wieder eine falsche Entscheidung zu treffen. Waren ihre Gefühle für Ben bereits zu tief? War sie in ihrer Beziehung zu ihm schon zu weit gegangen?
Lisa war ganz in der Geschichte mit Herz, Schmerz und großer Liebe aufgegangen und vergoss Tränen der Rührung, als sich das Paar endlich in den Armen lag. »Ist das nicht süß?«, schniefte sie und tupfte um ihre wasserdichte Wimperntusche herum. »Was die für eine Hochzeit hatten!«
Marie antwortete mit einem halben Lächeln und begann, Gläser und Schalen zusammen zu räumen. Ihre Freundin gähnte herzhaft, zwängte die Füße zurück in ihre High Heels und stöckelte zur Tür.
Lisa fühlte sich sehr gut, das war doch mal ein netter Abend gewesen: Film, Prosecco, Naschkram und eine verunsicherte Marie.
*
Einiges von dem, was ihre vermeintliche Freundin erzählt hatte, blieb wirklich in Maries Bewusstsein haften. Sie grübelte nicht ständig darüber nach, aber irgendwo begann sich ein dunkler Bodensatz abzusetzen, der die unbeschwerte Freude an ihrer neuen Liebe allmählich zu trüben begann.
Abends, wenn die anderen Handwerker nach Hause fuhren, blieb Ben noch lange auf dem Ebereschenhof. Er führte seine Arbeiten weiter, und später saßen Marie und er bei leckerem Essen noch stundenlang in der Küche zusammen oder draußen in dem alten Bauerngarten, der sich ans Haus anschloss.
Der Sternenhimmel wölbte sich über dem schlafenden Land, im Garten hatte Marie Windlichter angezündet, und sie saß in der alten Laube neben Ben, eingekuschelt in seine Umarmung. Beiden waren müde vom Tag, zufrieden mit der geleisteten Arbeit und bereits sehr schläfrig.
Ben vergrub sein Gesicht in ihren duftenden Haaren und murmelte: »Schön wär’s, jetzt nicht mehr fahren zu müssen, sondern hier zu bleiben und sich einfach neben dir schlafen zu legen und morgen früh zusammen mit dir aufzuwachen.«
Marie antwortete nicht sofort, aber Ben bemerkte, wie sich ihr Körper in seinen Armen versteifte. Ein wenig nur, aber es war eben doch eine winzige Abwehrbewegung. War es zuviel Nähe, die er sich von der jungen Frau wünschte? Ben unterdrückte einen Seufzer. Manchmal schien dieser windige Fabian wie eine Mauer zwischen ihm und Marie zu stehen.
Er strich zärtlich über Maries Haare und hob ihr Gesicht zu sich empor. »Du hast bisher nicht viel über deine Ehe gesprochen. Meinst du nicht, dass es jetzt an der Zeit ist, mir mehr davon zu erzählen? Ich würde gern wissen, womit er dich so verletzt und misstrauisch gemacht hat.«
Die junge Frau suchte seinen Blick und fand darin nichts als aufrichtige Zuneigung. »Einzelne Begebenheiten kann ich dir nicht aufzählen«, begann sie zögernd. »Es war einfach von Anfang an ein falsches Leben – und ich habe es nicht bemerkt. Ich hätte gern ein Kind bekommen, aber Fabian wollte keins. Er meinte, es sei zu früh; ich sollte für ihn, seine Firma und sein großes, gastliches Haus da sein. Später habe ich erfahren, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits Vater war, und ein Jahr nach unserer Hochzeit hat er noch ein Kind bekommen! Von einer weiteren Frau. Er hat mich systematisch belogen und betrogen, und ich habe nichts davon gewusst.
Außerdem hat er sehr viel Geld unterschlagen und seine eigene Firma in den Bankrott getrieben. Eines Tages war er verschwunden, ganz einfach so, von heut auf morgen weg. Ich habe natürlich die Polizei eingeschaltet und damit den Stein ins Rollen gebracht.«
Marie saß jetzt sehr aufrecht auf der Bank, unbewusst hatte sie ihre Hände zu Fäusten geballt, und ihr Blick war dunkel vor Zorn. »Kannst du dir auch nur entfernt vorstellen, was das für mich bedeutet hat? Vor welchem Trümmerberg ich stand? Der Justiz beweisen zu müssen, dass ich von seinen Machenschaften nichts gewusst habe? Wir waren verheiratet, und per Gesetzt war ich für seine Schulden mitverantwortlich! Auf gefälschten Dokumenten hatte er mir die Firma überschrieben, sodass ich für die Folgen seines Bankrotts aufkommen sollte! Alles Bargeld, alle Wertpapiere waren mit ihm verschwunden. Ich stand buchstäblich nicht nur vor dem Nichts, sondern auch vor einem Schuldenberg in Millionenhöhe, den ich nie im Leben hätte abtragen können.
Zum Glück glaubte man mir irgendwann