Er sah Bergmoosbach jetzt mit anderen, freundlicheren Augen. Sogar über Afra mit der flinken Zunge konnte er lächeln und ärgerte sich nicht mehr, wenn sie ihm bei jedem Zeitungskauf vorrechnete, wie oft er nun doch schon bei der allein lebenden Buchhändlerin zu Besuch gewesen war.
»Sie gehen ja praktisch ein und aus bei ihr, Herr Tilsner, das fällt halt auf, gell? Was haben Sie denn immer miteinander zu schaffen?«, fragte sie mit einem neckischen Augenzwinkern.
»Sterne gucken«, antwortete er freundlich, nahm seine Zeitung entgegen und ging.
Es stimmte, er war oft zu Gast bei Elli, oder sie besuchte ihn auf dem Ebereschenhof. Sie standen sich sehr nahe, aber sie waren kein Liebespaar. Je länger er in Bergmoosbach blieb, desto tiefer verstrickte er sich in seine Gefühle für die schöne Buchhändlerin. Nur seine Angst, auch in dieser Beziehung zu scheitern, hielt ihn davon ab, Elisabeth seine Liebe zu zeigen. Er fürchtete, dadurch ihre wunderbare Freundschaft zu ruinieren.
Alles, was er für sie empfand, legte er stattdessen in sein neues Buch. Bisher waren sein wacher Verstand und seine Fantasie die Triebfedern beim Schreiben gewesen, jetzt war es sein Herz. Vielleicht, wenn Elli es eines Tages lesen konnte, würde sie dann die Botschaft zwischen den Zeilen verstehen. Er würde warten, bis die Zeit reif dafür war.
Dieser Augenblick kam viel früher, als er gedacht hatte, und wieder hatte der Zufall dabei seine Hand im Spiel.
Elli und er hatten eine Wanderung hinauf zur alten Burgruine unternommen und hatten dort Familie Seefeld getroffen, die gemeinsam mit Emilias Freund Markus eine Radtour unternahm. Sie hatten einen gut bestückten Picknickkorb dabei und luden die beiden zu Kaffee und Kuchen ein. Man saß gemütlich im weichen Gras, genoss die herrliche Aussicht über die Hänge und den Sternwolkensee und plauderte über Belanglosigkeiten.
Dabei kam Elli auf Tils neues Buch zu sprechen und sie beklagte sich scherzhaft bei ihren Freunden darüber, dass er gar nichts davon erzählte. »Ich weiß nur, dass es dieses Mal kein Krimi sein wird, sondern etwas ganz anders«, sagte sie. »Mehr kriege ich einfach nicht aus ihm heraus.«
»Wie schade, dann wissen wir ja gar nicht, worauf wir uns freuen können«, warf Emilia ein.
»Ist es denn hilfreich, gar nicht über das Geschriebene zu sprechen?«, fragte Sebastian nachdenklich. »Können nicht gerade dadurch neue Ideen und Gedanken entstehen?«
»Ich weiß was!« Elli wandte sich mit blitzenden Augen zu ihm um. »Du liest uns aus deinem Manuskript vor. Nur eine kleine, private Lesung mit ein paar Freunden, nichts Großes, Öffentliches. Könntest du dir das vorstellen, zum Beispiel nach Feierabend in meinem Geschäft?«
Und zu seinem eigenen Erstaunen und gelinden Entsetzen hörte Til sich laut und deutlich zustimmen!
*
Der Abend, vor dem sich der Mann fürchtete und den er insgeheim herbeisehnte, war gekommen.
Elli hatte zusätzliche bequeme Stühle aufgestellt, Getränke, Blumen und Kerzen auf kleinen Tischen verteilt und die Deckenbeleuchtung ausgeschaltet. In der beginnenden Dämmerung wirkte ihr Geschäftsraum wie ein gemütliches Wohnzimmer, in dem Gäste entspannt beieinander saßen.
Die Seefelds waren gekommen, ebenso Gertrud und Caro mit ihren Partnern. Emilias Freund Markus durfte ebenso wenig fehlen wie Hebamme Anna, und Til hatte auch den jungen Lehrer Valentin Brunner eingeladen, mit dem er sich in den vergangenen Wochen angefreundet hatte.
Er schaute in die erwartungsvollen Gesichter und begann, fast ein wenig schüchtern: »Seien Sie bitte nicht überrascht; dieses ist ein ganz anderes Buch als meine vorherigen. Es hat nichts mit Kriminalromanen zu tun und heißt Tagebuch aus der Provinz.«
Schon nach wenigen Sätzen hatte er die Zuhörer in seinen Bann geschlagen. In einfachen, berührenden Worten schilderte er das Alltagsleben in Bergmoosbach. Der Ort trug im Buch einen anderen Namen, aber er war unverkennbar. Auch die Personen, von denen er erzählte, hießen in der Erzählung anders, aber sie waren lebensecht und unverwechselbar: die beiden Ärzte mit ihrer Familie, Hebamme Anna, Fanny mit ihrem Lebensmittelgeschäft, die kinderreiche Familie Mittner mit dem fürsorglichen Ältesten, Markus. Afra mit ihrem nimmermüden Mundwerk kam ebenso darin vor wie der Bürgermeister und seine modebewusste Gattin.
Und eine junge Frau, die einen kleinen Buchladen eröffnet hatte, in dem die Menschen sich begegneten, in dem Freundschaften geschlossen wurden und die Liebe erwachte…
Til Tilsner erzählte von einem Leben abseits der Großstädte, er erzählte von Geburt und Tod, von Nachbarschaft, von Einsamkeit, Gemeinsamkeit und Hilfe. Sein Buch war eine liebevolle Verbeugung vor dieser großartigen Landschaft, ihren Menschen und ihrem Lebensreichtum, und seine Worte drangen direkt in die Herzen derer, von denen er erzählte.
Als er geendet hatte, verbreitete sich gerührte Stille. Dieses Buch war wirklich etwas Besonderes, es stand für all die neuen Lebenserfahrungen, die der Mann in den vergangenen Wochen gemacht hatte.
Elisabeth hatte neben einem Regal gesessen, das sie halb verdeckte. Der Schriftsteller hatte sie während der Lesung nicht sehen können, und jetzt schaute er mit klopfendem Herzen in ihre Richtung.
Sie erhob sich und ging langsam auf ihn zu, so als ob keine anderen Menschen um sie herum wären, als gäbe es nur sie und ihn. Tränen glitzerten in ihren Augen, aber sie lächelte, als sie ihre Hand nach ihm ausstreckte und leise sagte: »Ich liebe dich auch, Til.«
Wie auf ein stilles Kommando erhoben sich die Freunde und ließen die Liebenden allein. Traudel dachte noch daran, den Schlüssel abzuziehen, die Ladentür abzuschließen und das Schlüsselbund durch den Briefschlitz zurück zu werfen. Er landete mit einem deutlichen Klappern auf dem alten Holzfußboden, aber weder Elli noch Til kümmerten sich darum.
Sie waren in ihren unvergesslichen ersten Kuss versunken.
– E N D E –
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