Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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sie Maries Aufmerksamkeit hatte, erzählte sie die ganze schmutzige Geschichte mit Fabian – allerdings sehr verfremdet! Sie nannte keine Namen und machte sich selbst zum ahnungslosen Opfer eines Mannes, der eine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit ihr hatte, während er seine Hochzeit mit einer anderen vorbereitete. Wovon sie, die liebende, gutgläubige Lisa, natürlich nie etwas geahnt hatte! Er ging sogar so weit, sich nach der Hochzeit noch mit ihr zu treffen. Erst kurz bevor er mit seiner jungen Frau in ein neues Leben verschwand, flog der ganze Schwindel auf. Er ging ganz einfach und ließ die arme Lisa mit gebrochenem Herzen zurück.

      Die junge Frau war von ihrer eigenen Geschichte direkt gerührt und musste sich nicht anstrengen, um ein paar Tränchen zu zerdrücken. Wie beabsichtigt, war Marie tief beeindruckt!

      »Du Arme!«, rief sie und umarmte Lisa mitleidig. »Was hast du aushalten müssen! Dieser gemeine Kerl! Wie schrecklich hat er sich dir gegenüber verhalten. Und, entschuldige, wenn ich das jetzt sage, auch gegenüber seiner Ehefrau.«

      »Ja, diese Ehefrau …«, murmelte Lisa, und dieses Mal war die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht gespielt. Sie konnte Marie kaum anschauen, und beide Frauen saßen eine Weile stumm neben einander.

      »Danke, dass du es mir erzählst hast«, sagte Marie endlich. »Du hast also auch bittere Erfahrungen machen müssen. So traurig das auch ist, bestärkt es mich darin, auf mein Gefühl zu hören und mein Herz zu schützen.«

      »Willst du dich von Ben trennen?«, fragte Lisa lauernd.

      Marie wurde weiß wie eine Wand. »Nein, das will ich ganz gewiss nicht!«, flüsterte sie. »Aber ich kann auch noch nicht mit ihm zusammenleben. Und wenn ihm das mit uns nicht reicht, so wie es jetzt ist –, dann muss das Schicksal entscheiden.«

      Na, da kann ich gern nachhelfen!, dachte Lisa triumphierend. Wenn Marie so zurückhaltend blieb, dann würde das bei Ben Tür und Tor für sie selbst öffnen! Sie schluckte einige Male, um ihre Stimme nicht zu schrill und verräterisch klingen zu lassen.

      »Das ist mutig von dir, es so langsam angehen zu lassen«, sagte sie schließlich.

      »Oder sehr dumm …«, murmelte die andere Frau fast unhörbar.

      Da sagst du was!, frohlockte Lisa innerlich. Laut sagte sie: »Bleib bei deinem Gefühl, und alles wird gut! Die Zeit wird zeigen, wie tief seine Liebe und sein Verständnis für dich wirklich sind.«

      Marie seufzte. Dann umarmte sie ihre vermeintliche Freundin zum Abschied und sagte: »Wie gut, dass ich mit dir reden konnte, danke!«

      »Wir müssen doch zusammenhalten!«, lächelte Lisa. »Wo wir doch beide so böse Erfahrungen gemacht haben und wissen, wie es ist, verlassen zu werden.«

      Marie sah jetzt wirklich sehr blass und mitgenommen aus. Sie fühlte sich nicht gut, und das Wort verlassen bohrte sich wie ein gefährlicher Parasit in ihr Herz. Auf einmal hatte sie nur noch den Wunsch, sich im Ebereschenhof zu verkriechen, die Decke über den Kopf zu ziehen und hundert Jahre lang zu schlafen. »Bis bald, Lisa. Wir sehen uns, ja?«

      »Tschau, tschau!«, flötete Lisa. Sie schaute der anderen Frau hinterher, als diese mit gesenktem Kopf zum Auto ging. Du willst also das Schicksal entscheiden lassen, du dumme Gans?, dachte sie höhnisch. Da bin ich doch mal sehr gespannt, wie diese Entscheidung ausfällt!

      *

      »Marie? Hallo? Marie, wo steckst du denn?« In Bens tiefer Stimme schwang ein leiser Ton von Ungeduld mit. Er hatte gesehen, wie die junge Frau auf den Hof gefahren und ins Haus gegangen war. Seitdem waren fast zwei Stunden vergangen. Ben hatte die Arbeit an den neuen Türen und Türstürzen beendet und wollte die nächsten Anschaffungen mit Marie besprechen. Die Zeit drängte, das Sägewerk unten im Ort würde in einer Stunde schließen. »Marie?« Seine Stimme wurde schärfer. Er hatte starke Kopfweh, und sein linkes Bein schmerzte. Bei seinen Arbeiten hatte Ben sich an einem hervorstehenden Nagel verletzt. Es war nichts Dramatisches gewesen, nur eine Fleischwunde an der Wade. Er hatte sie ausgewaschen und mit einem Pflaster versehen, um die Blutung zu stoppen. Da er einen ausreichenden Impfschutz gegen Tetanus besaß, verschwendete er keine weiteren Gedanken an die Wunde. Das Pflaster wurde regelmäßig erneuert, und das war’s. Es tat halt ein bisschen weh, aber deswegen machte man keine Umstände. Nur hatte der Wundschmerz inzwischen zugenommen und sich in ein starkes, regelmäßiges Pochen verwandelt, das sich nicht mehr aus dem Bewusstsein ausblenden ließ. Außerdem litt Ben unter dem Wetter, er fühlte sich unangenehm heiß und war am ganzen Körper von Schweiß überzogen. Am liebsten würde er sich die schwere Arbeitskleidung ausziehen und lange unter die kühle Dusche gehen, dann würden seine Beschwerden rasch verschwinden. Stattdessen musste er ins Sägewerk fahren, dessen kreischende Betriebsamkeit seine Kopfschmerzen nur verstärken würde.

      »Marie!«, rief er wieder, jetzt ausgesprochen ärgerlich, und riss mit einem Ruck die Küchentür auf. Dort endlich fand er die junge Frau. Sie saß auf der Bank, hatte die Arme vor sich auf dem Tisch verschränkt und den Kopf darauf gelegt. Wie eine seidige, dunkle Wolke umgab ihr dunkles Haar Schultern und Rücken und verbarg das Gesicht. Sie schlief.

      Bens Ärger verflog, als er die Schlafende sah, und er betrachtete sie gerührt. Wie zart und schutzlos sie wirkte und auf eine seltsame, nicht näher zu beschreibende Weise traurig. Er setzte sich leise neben sie und strich behutsam über ihr Haar. »Aufwachen, du kleine Schlafmütze!«, sagte er liebevoll.

      »W-was?« Schlaftrunken hob Marie den Kopf und schaute ihn verwirrt an. Allmählich wurde ihr Blick klarer, und sie richtete sich ruckartig auf. »Bin ich etwa eingeschlafen? Das gibt’s doch wohl nicht! Wie spät ist es denn?«

      »Es ist fast achtzehn Uhr, Träumerlein«, neckte Ben sie. »Eigentlich zu spät für einen Mittagsschlaf und zu früh, um abends ins Bett zu gehen.«

      »Meine Güte, ich bin tatsächlich fest eingeschlafen«, wunderte sich Marie. »Eigentlich wollte ich mich nur ein bisschen hinsetzen und ausruhen, ich war so müde.«

      »Macht doch nichts«, erwiderte Ben und strich zärtlich über ihre Wange. »Das Holz für die Fußbodendielen läuft uns nicht weg, das kann ich auch morgen kaufen.«

      »Die Dielen! Meine Güte, das hab ich jetzt ganz vergessen. Ich war bei Seefelds und bei Lisa und irgendwie habe ich gar nicht mehr an das Holz gedacht«, erklärte die junge Frau ein wenig schuldbewusst.

      »Was wolltest du denn bei Lisa?«, erkundigte sich Benjamin. Er verstand die Freundschaft zwischen diesen so unterschiedlichen Frauen nicht so recht.

      »Nichts Bestimmtes, nur einfach vorbei schauen und reden«, wich Marie aus.

      »Hm, der Salon Glamour muss ja gut laufen, wenn sie sich einfach einen Nachmittag frei nehmen und mit einer Freundin verbringen kann«, brummte Ben. Er versuchte, unter dem Tisch eine bequemere Position für sein schmerzendes Bein zu finden.

      »Sie arbeitet viel und dann kann sie doch auch mal eine Stunde frei nehmen!«, verteidigte Marie ihre Freundin.

      »Sicher, soll sie machen, was sie will!«, antwortete er zerstreut. Letztendlich war ihm Lisa egal, er wollte sich nicht über sie unterhalten. Müde lehnte er seinen Kopf gegen das Fenster in seinem Rücken. »Wollen wir für heute Schluss machen? Ich räume noch das Werkzeug zusammen, und dann hätte ich nichts gegen eine kalte Dusche und ein bequemes Bett.«

      Marie legte ihre Wange gegen seine, und dann schrak sie leicht zurück. »Ben, du bist ja ganz heiß! Hast du etwa Fieber?« Besorgt musterte sie sein gerötetes Gesicht, das von einem leichten Schweißfilm überzogen war. Seine Augen hatten einen unnatürlichen Glanz, und seine Lippen wirkten sehr trocken. »Natürlich hast du Fieber!«

      »Nein, hab ich nicht!«, wehrte er leicht gereizt ab. »Wir haben Hochsommer, und es ist sehr heiß. Kein Wunder, dass ich verschwitzt und rot im Gesicht bin! Warum müsst ihr Frauen eigentlich immer gleich so einen Aufstand machen?«

      »Was heißt hier Aufstand? Und von welchen Frauen sprichst du?« Marie fühlte sich von seinen gereizten Worten verletzt, und Ben bemerkte es.

      »Entschuldige!«, brummte er. »Ich bin ziemlich fertig und habe üble Kopfschmerzen, wahrscheinlich