Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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erhob sich von den Knien und winkte zärtlich zurück. »Pfiat eich, Mama und Papa! Bald komme ich wieder und erzähle, wie es weitergeht mit dem Hof und – und mit Ben.« Sie warf eine Kusshand hinauf in den Sommerhimmel und ging, zum ersten Mal seit den Beerdigungen, leichten Herzens hinüber zum Ausgang.

      »Marie?«, sagte plötzlich eine tiefe Männerstimme hinter ihr.

      Eine Stimme, die sie nicht nur durch ihr Gehör wahrnahm, sondern mit ihrem ganzen Körper; samtene Wärme durchflutete sie von Kopf bis Fuß. Atemlos drehte die junge Frau sich um. »Ben? Was tust du hier? Ich …, ich hab dich gar nicht kommen gesehen.«

      »Das konntest du auch nicht«, antwortete er. »Ich war dort hinter der Lorbeerhecke und habe die beiden Bänke aufgestellt, welche die Gemeinde bestellt hatte. Und ich finde es sehr schön, dass wir uns getroffen haben, denn ich wollte dich etwas fragen.«

      »Lass mich raten«, antwortete Marie und versuchte, ihren Blick von seinen seegrünen Augen abzuwenden. »Du möchtest wissen, für welches Holz ich mich für die neuen Zimmertüren entschieden habe?«

      »Nein, das habe ich gerade nicht gemeint«, entgegnete Ben. »Heute ist Vollmond, und es sind keine Gewitter angesagt, sondern wir werden eine sternklare Nacht haben. Ich habe ein kleines Ruderboot auf dem Sternwolkensee. Hast du Lust, heute Nacht auf dem Wasser ein Picknick zu machen?«

      Bilder wirbelten durch Maries Kopf, Blau und Silber und Grün, Bens Lächeln, seine Hände, die nach den Rudern griffen, sein Körper, irgendwo in der Dunkelheit auf der Bank hinter ihr, der Geruch des Wassers und darüber Bens Duft, Sandelholz und Zitronengras …

      »Ja«, sagte sie atemlos, »ja, ich komme sehr gern.«

      Benjamins Herz geriet aus dem Takt. »Ich freue mich«, murmelte er, und irgendwie fanden seine Fingerspitzen ihren Weg zu Maries Gesicht und glitten sanft über die Rundung ihrer Wangen. »Bis dahin, Marie.«

      »Bis dahin, Ben«, antwortete sie leise.

      *

      Der zehnte Glockenschlag vom Kirchturm verhallte in der Nacht. Marie hatte ihren Wagen abgestellt und ging zum Seeufer hinüber. Das Licht des nun vollständig gerundeten Mondes fiel auf die Erde und schuf einen klaren Gegensatz von Helligkeit und scharf umrissener Dunkelheit. Die wenigen Hundert Meter vom Auto zum Uferrand ging Marie rasch und ohne zu stolpern, das silbrige Licht wies ihr den Weg.

      Gegen jede Stimme der Vernunft (es wird kühl sein, die Mücken werden dich plagen, auf dem Wasser geht immer ein leichter Wind) hatte Marie sich nicht für praktische Jeans und eine warme Strickjacke entschieden. Sie trug ein langes Sommerkleid aus weich fließender Seide, ärmellos und von dünnen Trägern auf den Schultern gehalten. Seine Farbe war ein sanftes Elfenbein, und in diesem Licht leuchtete es wie zum Leben erwachter Mondschein. Gegen die Kühle trug Marie einen Samtschal, so groß wie ein Plaid, in den sanften Farben einer blühenden Heidelandschaft über dem Arm. Ihre Haare spielten wie eine dunkle Wolke um ihre Schultern. Als einzigen Schmuck trug sie eine herrliche, alte Duftrose, die sie mit einem Schleifenband am linken Handgelenk befestigt hatte.

      Benjamin, der am Boot gewartet hatte, stockte der Atem. Mit diesem Kleid und in dem unwirklichen Licht des Mondes wirkte die junge Frau wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Er nahm ihre Hand und sagte: »Du siehst wunderschön aus, Marie. Fast schon beängstigend schön. Bist du sicher, dass du nicht nur Licht und Duft einer Rose bist und dich im nächsten Windhauch verflüchtigen wirst?«

      »Oh!« Verunsichert schaute Marie zu ihm auf. »Du …, du meinst, ich bin nicht richtig angezogen für eine Fahrt mit dem Ruderboot?«

      Ben hätte sich auf die Zunge beißen mögen! Seine romantischen Worte waren ihm einfach so durch den Kopf gegangen; dass sie missverstanden werden könnten, daran hatte er nicht gedacht. »Nein, überhaupt nicht!«, sagte er hastig. »Du bist wunderschön angezogen und genau richtig! Sieh nur …«, er wies auf das kleine Ruderboot, welches am hölzernen Steg lag. Maries Augen weiteten sich vor Überraschung: Benjamin hatte aus einem schlichten Ruderboot einen verzauberten Nachen wie aus einem alten Märchen gemacht.

      Der Boden war mit einem Teppich in pflaumenblauen, burgunderroten und brombeerfarbenen Mustern belegt. Auf den beiden schmalen Ruderbänken lagen weiche Decken und Kissen, ein Weidenkorb mit einer blütenweißen Spitzentischdecke war mit Delikatessen gefüllt, und entlang des Bootrandes hatte Ben winzige gläserne Laternen befestigt, in denen Teelichte brannten.

      »Es ist wunderschön!«, sagte Marie hingerissen. Sie konnte kaum glauben, dass jemand, der aussah wie ein Wikingerfürst und tagtäglich ein schweres Handwerk ausübte, einen so märchenhaften Rahmen für ein Picknick gestaltet hatte. »Ich bin einfach überwältigt! Mit etwas so Fantasievollem habe ich nicht gerechnet.«

      »Tja, eines der unbekannten Talente des Benjamin Lauterbach«, antwortete er augenzwinkernd und griff nach ihrer Hand. »Möchtest du denn jetzt einsteigen?« Ben half ihr ins Boot hinein, was sich als etwas wackelige Angelegenheit entpuppte. Aber nachdem beide ihren Platz eingenommen hatten und der Mann die Ruder ins Wasser tauchte, blieb das Boot im Gleichgewicht, und mit ruhigen, kräftigen Bewegungen lenkte Ben das Gefährt auf den See hinaus.

      In der Stille der Nacht war nur das gleichmäßige Eintauchen der Ruderblätter ins Wasser zu hören. In weiter Ferne konnte man noch erleuchtete Fenster als kleine Lichtpunkte ausmachen, ansonsten versilberte der Mondschein die Wasseroberfläche. Marie saß auf der vorderen Bank und hatte Ben den Rücken zugekehrt. Wenn er sich vorbeugte, um die Ruder durchs Wasser zu ziehen, strichen seine Arme sehr dicht an ihr vorbei, und seine Brust berührte fast ihren Rücken. Sie spürten jeden seiner tiefen, gleichmäßigen Atemzüge im Nacken. Es war wie im Traum, wirklich und unwirklich zugleich, und in seiner Nähe, in dieser Beinahe-Umarmung fühlte Marie sich geborgen wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Bis in alle Ewigkeit hätte sie so sitzen mögen und war fast ein wenig enttäuscht, als Ben langsam die Ruder einholte und das Boot treiben ließ.

      »Möchtest du jetzt etwas von unserem Picknick probieren?«, fragte er sie.

      »Gehört das, was du in den Korb gepackt hast, auch zu den unbekannten Talenten des Benjamin Lauterbach?«, erkundigte sich die junge Frau.

      »Lass dich überraschen!«, antwortete Ben. Vorsichtig, um das Boot nicht zum Kentern zu bringen, stellte er den Korb zwischen die beiden Bänke und half Marie, sich anders hinzusetzen. Dann schenkte er tiefroten Wein ein und ließ sein Glas sacht gegen ihres klingen. »Auf uns!«, sagte er leise.

      »Auf uns!«, flüsterte Marie.

      Ihre Haut schien im Mondlicht zu schimmern, und ihr Mund hatte dieselbe Farbe wie der edle Wein. Sie duftete nach der Rose an ihrem Handgelenk, und sie schmeckte nach Sommer und süßen Trauben, und Benjamin verlor sich in ihr und er wusste, dass es für immer war.

      *

      Die nächsten Tage und Wochen waren erfüllt von harter Arbeit, dem Überwinden vieler Hindernisse, mit denen man beim Bauen rechnen muss, und dem stillen Wachsen ihrer Liebe. So fantasievoll, wie Ben das Picknick auf dem See gestaltet hatte, so liebevoll umwarb er weiterhin die Frau, der bereits sein ganzes Herz gehörte. Viel freie Zeit blieb ihnen nicht, sodass Stunden für Kinobesuche, fürs Essen gehen oder Ausflüge in die Umgebung selten und kostbar waren.

      Aber mussten es denn immer die großen Dinge sein?

      Wenn Marie zum Frühstück hinunter in die Küche kam, konnte ein Herz aus taufeuchten Brombeeren auf dem Fensterbrett liegen.

      Sie erzählte von einem Lieblingsbuch, das sie in Frankreich hatte lassen müssen und das jetzt vergriffen war. Ben verbrachte zwei Nächte vor dem Computer, bis er es gefunden hatte und kaufen konnte. Eines Tages lag es in ihrem Lieblingssessel, und Ben hatte ein Seidenband in der Farbe von Maries Augen als Lesezeichen zwischen die Seiten gelegt.

      Als sie eines Abends so müde war, dass sie kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte und auf den Wäscheplatz taumelte, da lagen alle getrockneten Laken, Decken und Handtücher bereits säuberlich gefaltet im Korb und obenauf die schönste Rose ihres Gartens.

      Das alles rührte Marie, und sie verwahrte