Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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aber offensichtlich auch die Fähigkeit zu kindlicher Freude und zu spontanen Aktionen. Wie offen und glücklich die junge Frau war, als sie im Bach nach Kieselsteinen suchten! Das war ein verzauberter Augenblick gewesen, in dem beide ihre gegenseitige starke Anziehungskraft und Hingabebereitschaft spürten, und sich ihre Herzen für einander öffneten.

      Und genau davor war Marie erschreckt zurückgewichen.

      War es dieser rätselhafte Fabian, dem sie ihre tief gehende Unsicherheit zu verdanken hatte? Waren die Umstände, welche zum Scheitern der Ehe geführt hatten, so scheußlich gewesen, dass sie lebenslängliche Narben hinterließen? Offensichtlich.

      »Hey, unbekannter Fabian!«, sagte Benjamin in das abziehende Gewitter hinaus. »Du magst eure Ehe gegen die Wand gefahren und ihr Leben verdammt schwer gemacht haben, aber ich baue ihr ein Haus! Und ich werde alles tun, damit es ein Zuhause für sie wird!«

      Ein letztes Donnergrollen setzte sozusagen ein himmlisches Ausrufungszeichen hinter diesen Satz, dann waren nur noch das sanfte Rauschen des Regens und Bens tiefe, regelmäßige Atemzüge zu hören.

      Er schlief ein.

      Auch Marie hatte ihr Fenster geöffnet und lauschte in die Nacht hinaus. Das Gewitter war kurz und heftig gewesen; jetzt grollte es nur noch leise in der Ferne, und das Wetterleuchten erlosch hinter dem Dunkel der Nacht.

      Die Gedanken der jungen Frau drehten sich im Kreis. War das nun mit Benjamin im Haus, nur ein paar Zimmer entfernt, eine dumme und völlig unmögliche Situation? War ihr Übernachtungsvorschlag unbedacht und leichtsinnig gewesen oder ein Hilfsangebot, das selbstverständlich sein sollte? Jedem Freund hätte man doch ohne zu zögern in dieser Nacht ein Bett angeboten.

      Einem Freund schon, flüsterte Maries unbestechliche innere Stimme, aber auch einem Fremden?

      Benjamin ist kein Fremder!, antwortete ihr Herz.

      Nein, aber er ist auch kein Freund!, entgegnete ihr Verstand.

      Noch nicht. Aber wer sagt denn, dass sich das nicht ändern kann? Merkwürdig, das eben hatte so geklungen, als ob Herz und Verstand tatsächlich mit einer Stimme sprechen können.

      Unbewusst lächelte Marie, und ihr Blick suchte den Stein, der wie ein Haus geformt war, und der nun gleich einem Talisman auf ihrem Nachttisch ruhte. Zufrieden kuschelte Marie sich tiefer zwischen ihre weichen Kissen und schlief ein.

      *

      Am nächsten Morgen stieg die Sonne über den Dunst und brachte die nächtliche Feuchtigkeit auf dem Grün der Wiesen und Bäume zum Funkeln. Es waren nur kurze Augenblicke, in denen sich Lichtstrahlen in den Tropfen brachen; vielleicht gerade deshalb besonders schön, weil sie so flüchtig waren. Auch das Dorf wirkte wie reingewaschen, die roten Dächer glänzten, und die goldene Kirchturmspitze leuchtete im Sonnenschein. Die Schulkinder waren in ihre Klassenräume verschwunden, auf vereinzelten Fenstersimsen lag noch das Bettzeug zum Lüften, die Geschäfte öffneten ihre Türen für die erste Kundschaft.

      Im Salon Glamour saß eine junge Frau, die für ihre Hochzeit Brautfrisuren ausprobieren wollte. Sie wunderte sich über die seltsam zerstreut wirkende Lisa, welche heute so gar nicht zum üblichen Plaudern aufgelegt war. Mit heftigen Bürstenstrichen zerrte sie die dunklen Haarsträhnen nach hinten und stieß dabei zum zweiten Mal ziemlich heftig mit der Bürste gegen die Schläfe ihrer Kundin.

      »Aua! Jetzt pass doch mal auf!«, beschwerte sich die junge Frau.

      »Du hast aber auch dicke Haare, die passen richtig zu dir!«, antwortete Lisa zickig.

      »Jetzt werd‘ mal nicht unverschämt!« Die Frau, eine rundliche Brünette namens Stefanie, funkelte die Friseurin empört an. »Wenn du mit der Frisur nicht fertig wirst, hast du den falschen Beruf! Vielleicht würde es helfen, wenn du mehr auf deine Arbeit achtest als auf das, was draußen passiert!«

      Der Vorwurf war berechtigt, denn andauernd schweifte Lisas Blick von den dunklen Locken unter ihren Händen hinüber zum Fenster. Von hier aus hatte sie den Eingang zu Bens Wohnung im Auge und sie wollte unbedingt mitkriegen, wie er heute früh nach Hause kam!

      »Jetzt hab dich nicht so!«, zischte Lisa und rammte die nächste Haarnadel in die aufgetürmten Lockenpracht.

      »Was heißt hier: Hab dich nicht so! Beim Probefrisieren will ich Spaß haben und nicht mit der Haarbürste verprügelt werden!«, konterte die aufgebrachte Braut. »Schau halt besser hin!«

      Das tue ich doch, du blöde Kuh!, dachte Lisa gereizt. Nach Afras Anruf hatte sie eine schlaflose Nacht verbracht und mit Argusaugen Bens Hauseingang beobachtet. Der Kerl war doch tatsächlich die ganze Nacht über bei Marie geblieben!

      Und jetzt parkte Maries Wagen direkt gegenüber, und das Paar, das Paar!, stieg aus. Lisas Augen durchbohrten geradezu die Fensterscheibe!

      Marie und Ben standen in sichtlich guter Laune und entspannt einander gegenüber und verabschiedeten sich mit einem langen Händedruck, der schon verdächtig nach Händchenhalten aussah. Wenigsten gibt es keine Umarmung und keinen Kuss, dachte Lisa boshaft, damit solltest du in der Öffentlichkeit auch vorsichtig sein als frisch geschiedene Frau!

      Mit einem letzten freundlichen Blick verabschiedeten sich die beiden jungen Leute endgültig von einander, Ben betrat sein Haus, und Marie ging mit beschwingten Schritten hinüber in Fannys kleinen Supermarkt.

      Lisa drückte Jeanette die Bürste in die Hand. »Mach du hier weiter, ich muss was besorgen!«, sagte sie knapp und verließ den Salon, ohne sich um den lauten Protest ihrer Kundin zu kümmern. Stefanie hatte absolut nicht vor, sich von einer Auszubildenden für die Hochzeit aufrüschen zu lassen!

      Drüben bei Fanny waren schon einige Kundinnen zwischen den Regalen unterwegs. Lisa schnappte sich einen Einkaufskorb, legte wahllos zwei, drei Artikel hinein und stellte sich Marie in den Weg.

      »Grüß dich, Lisa!«, sagte Marie freundlich und umarmte die andere Frau. »Schön, dich zu sehen.«

      »Ja, ich freu mich auch!«, strahlte Lisa zurück. »Wie geht’s dir denn, und was machst du so früh schon unten im Dorf?«

      »Mir geht es gut, und ich habe heute eine Menge zu erledigen. Einkaufen, zum Beispiel. Ich hab ja kaum Lebensmittel im Haus.« Sie deutete in ihren Korb, in dem Lisa Backzutaten, Obst und abgepackten Käse erkannte.

      »Erwartest du Besuch?«, fragte sie harmlos.

      »Ich weiß nicht, ob ich Handwerker als Besuch bezeichnen würde«, antwortete Marie. »Morgen erwarte ich Fliesenleger und Installateur für die Kostenvoranschläge. Wenn das so lange dauert wie für die Zimmermannsarbeiten, dann möchte ich ihnen schon etwas anbieten können.«

      »Dann war der Ben also ziemlich lange bei dir draußen?«, erkundigte sich Lisa.

      »Ja, so kann man das sagen«, antwortete Marie mit einem leisen Lächeln, das Lisa ihr am liebsten vom Gesicht gekratzt hätte.

      »Und … bist du zufrieden mit ihm? Ist er nett?« Jetzt konnte Lisa den lauernden Tonfall in ihrer Stimme nicht mehr unterdrücken, aber die arglose Marie bemerkte ihn nicht.

      »Er ist sogar sehr nett«, antwortete die junge Frau und schaute ihre Freundin offen an. »Aber das weißt du wohl, du kennst ihn ja länger als ich?«

      »Ja, hm, ein bisschen. Ben wohnt seit knapp einem Jahr in Bergmoosbach, und da begegnet man sich halt hier und da«, sagte Lisa aalglatt.

      Interessiert schaute Marie ihre Freundin an. »Davon musst du mir erzählen«, meinte sie. »Hab ich da vielleicht etwas verpasst?«

      »Och, na ja-aa…?«, spielte Lisa die Kindlich-Geheimnisvolle.

      »Weißt du, was? Wir machen einfach mal wieder einen gemütlichen Mädelsabend und reden bis nach Mitternacht, genauso wie früher«, schlug Marie vor.

      Ehe Lisa darauf antworten konnte, kam Afra um die Ecke und baute sich neugierig vor den beiden jungen Frauen auf. »Bist du denn gestern gut nach Hause gekommen, den ganzen, langen Weg? Und dann noch beim Gewitter!«, erkundigte sie sich mit glitzernden Augen.