Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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Armen ein paar Mal um sich selbst und kam dann schwankend zum Stehen. Instinktiv streckte sie die Hand aus und suchte Halt. »Ups, jetzt ist mir etwas schwindelig«, meinte sie entschuldigend.

      »Macht doch nichts«, lächelte Ben. Seine Hand hielt immer noch Maries und ließ sie auch nicht los, nachdem der kleine Schwindelanfall vorbei war und das Paar sich auf den Weg zum Ebereschenhof machte.

      Zunächst gingen sie an der Brauerei Schwartz entlang, die den Biergarten betrieb. Hinter den hell erleuchteten Fenstern der Küche war Afra mit einer letzten Bestellung beschäftigt, als sie Marie und Ben einträchtig die Straße entlang gehen sah. Sie verfolgte sie mit einem Blick aus zusammengekniffenen Augen, dann griff sie zum Telefon. Nach mehrmaligen Läuten meldete sich eine verschlafene Frauenstimme.

      »…!«

      »Hallo, Lisa? Hier ist Afra.«

      »…!«

      »Ja, ich weiß, wie spät es ist! Es ist kurz vor Mitternacht.«

      »…!«

      »Nein, ich spinne nicht, so spät noch anzurufen!«

      »…!«

      »Jetzt hör auf zu mosern und rate mal, wer hier stundenlang gesessen hat und eben Händchen haltend Richtung Ebereschenhof gegangen ist!«

      *

      Während Benjamin und Marie nichtsahnend und fröhlich durchs nächtliche Dorf gingen, begann dort bereits die Gerüchteküche zu brodeln. Der Anruf der klatschsüchtigen Afra hatte einen neuen Stachel der Bosheit in Lisas Herz getrieben. Noch Stunden später konnte die junge Frau keinen Schlaf finden.

      Was war das nur mit dieser Marie? Erst flog dieser reiche Franzose auf sie und nun der attraktive Benjamin. Kaum war diese Frau im Ort, wurden die tollsten Männer auf sie aufmerksam. Und dabei hatte Marie, gemessen an Lisas Schönheitsvorstellungen, gar nichts Anziehendes an sich. Während sie, die aufregend blonde Lisa, doch alle körperlichen Attribute besaß, die Männer toll fanden. Das war ganz einfach schreiend ungerecht!

      Wütend sprang Lisa aus dem Bett, stapfte hinüber in ihr kleines Wohnzimmer und holte aus dem untersten Regal eine Schachtel hervor, in der sie Erinnerungsstücke an ihre Affaire mit Fabian Legrand aufbewahrte. Na bitte, da hatte sie es doch Schwarz auf Weiß, beziehungsweise bunt: Zettel mit heißen Liebesschwüren, die in Lisas Augen als Liebesbriefe durchgingen, und Fotos von ihnen beiden in äußerst anzüglichen Situationen.

      Alles aus der Zeit, als Fabian sich um Marie Höfer bemühte, sich mit ihr verlobte, sie heiratete und mit ihr in ein aufregendes Leben nach Paris verschwand.

      Damit musste sich doch etwas anfangen lassen?

      Dumm nur, dass die Ehe auseinander gegangen war und Lisa mit irgendwelchen Enthüllungen keinen großen Schaden mehr bei Marie anrichten konnte. Andererseits – wer wusste denn, wozu es noch einmal gut sein würde? Vielleicht könnte es irgendwie eingesetzt werden, um Marie und diesen Zimmermann zu stoppen?

      Wütend kaute Lisa auf ihrer Unterlippe. Bei der Vorstellung, was Marie und der attraktive Benjamin jetzt wahrscheinlich miteinander trieben, hätte Lisa vor Neid und Missgunst am liebsten laut aufgeschrien. Es war ihr völlig egal, was diese beiden Menschen verband: sie wollte Benjamin Lauterbach haben, genauso, wie ein verzogenes, trotziges Kind ein neues Spielzeug haben will. Und sie würde ihn bekommen, koste es, was es wolle! Ihr würde schon etwas einfallen, womit sie ihr Ziel erreichte.

      *

      Hätte Lisa tatsächlich gesehen, was Marie und Ben in dieser Nacht miteinander trieben, sie hätte laut und verächtlich gelacht.

      Manchmal Hand in Hand, manchmal einfach so schlenderten die beiden jungen Leute durch das Dorf und dann auf die einsame Landstraße hinaus. Nachdem sich die Augen an die Nacht und das Mondlicht gewöhnt hatten, wurde das Gehen sicherer, und manchmal, wenn es zu ihren Erzählungen passte, legten sie sogar ein paar improvisierte Tanzschritte ein.

      Sie verstanden sich blendend. Benjamin sprach voller Begeisterung von seinem Beruf und den Plänen, die er hatte. Als Geselle war er auf der traditionellen Walz auch in Österreich und Ungarn gewesen, und er konnte von vielen Erlebnissen berichten, die Marie zum Lachen brachten oder nachdenklich machten. Ben war kein oberflächlicher Mann; er sah das Leben in seiner ganzen Vielgestalt und teilte freimütig seine Gedanken mit Marie.

      Ben wusste, dass Marie geschieden war, sie hatte es bei dem ersten Treffen auf ihrem Hof erwähnt. Feinfühlig vermied er jede Wendung des Gesprächs, das in diese Richtung ging. Wenn die junge Frau sehr Persönliches aus ihrem Leben erzählen wollte, dann würde sie es tun, da war Ben sich sicher. Bisher erzählte sie Unverfängliches aus ihrem Leben in Frankreich, der stetigen geheimen Sehnsucht nach dem Allgäu und der Freude, jetzt wieder zu Hause zu sein.

      »Weißt du, eigentlich bin ich nicht der Typ, der gern umherzieht«, vertraute sie ihm an. »Ich verreise schon gern, aber ich komme auch immer wieder gerne nach Hause zurück.« Marie war stehen geblieben und umfasste die Weiden jenseits der Landstraße, das schlafende Dorf hinter ihnen, die sanften Hügel und das beeindruckende Bergmassiv, das in der fernen Dunkelheit schlummerte, mit einer weit ausholenden Bewegung ihrer Hände. Dann ließ sie die Arme sinken. »Es war wegen Fabian, dass ich von hier fortgezogen bin«, sagte sie plötzlich.

      Benjamin schwieg einen Moment lang; er versuchte, im Schatten der Nacht Maries Gesichtsausdruck zu lesen. Schmerz konnte er nicht erkennen, eher eine gewisse Nachdenklichkeit. Behutsam strich er eine seidige Haarsträhne hinter Maries Ohr zurück, flüchtig streifte die Wärme seiner Fingerspitzen ihre Wange. »Habt ihr euch lange gekannt, du und dieser Fabian?«, fragte er vorsichtig.

      Sie schüttelte leicht den Kopf. »Nein, wir haben sehr schnell geheiratet.« Ben konnte den Ausdruck des Unbehagens auf ihrem Gesicht sehen. Wieder schüttelte Marie den Kopf. »Lassen wir die Gespenster ruhen! Jetzt ist es viel zu schön für trübe Gedanken.« Sie deutete auf den Bach, der sich zwischen den weichen Moospolstern seines Ufers entlang schlängelte. »Sieh nur, der Mond spiegelt sich im Wasser, und die Schatten der Farnwedel sehen wie verzaubert aus.«

      Ben lächelte und konnte gar nicht anders, als ihr behutsam den Arm um die Schultern zu legen. Einträchtig schauten sie in den dunklen, gemächlich dahin fließenden Bach, in dem sich an einer Stelle das Mondlicht brach, was zitternde Lichtreflexe auf die Wasseroberfläche malte. Zwischen den weichen, bemoosten Stellen waren auch größere Steine und Kiesel sichtbar, welche das Ufer säumten.

      »Als Kinder sind wir oft hier am Bach gewesen, haben kleine Staudämme gebaut, nach schönen Steinen Ausschau gehalten und Feennester oder einen Schatz in der Uferböschung gesucht«, erzählte Marie lächelnd. Sie seufzte leicht. »Seltsam, warum macht man so etwas Schönes eigentlich nicht mehr, wenn man erwachsen ist?«

      Ben lachte und streifte in einer fließenden Bewegung Schuhe und Strümpfe von den Füßen. Schnell waren die Hosenbeine hochgekrempelt, und er watete vorsichtig in den Bach. Seine Hände streckten sich der jungen Frau entgegen. »Worauf wartest du? Wir sind nicht einen Tag älter als sechs Jahre!«, rief er übermütig.

      Marie lachte entzückt. Rasch hatte sie ihre Sandalen abgestreift, griff nach Bens Händen und stieg über den Uferrand. »Uuuuh, kalt!«, quietschte sie. »So kalt hab ich den guten, alten Moosbach gar nicht in Erinnerung!«

      »Liegt vielleicht daran, dass die kleine Marie im Sommersonnenschein hier gespielt hat und nicht zu nachtschlafender Zeit?«, neckte sie Ben.

      Maries leises Lachen klang sehr glücklich. Sie gewöhnte sich schnell an die Kälte des Wassers, ebenso an die Wärme, die von den Händen des Mannes ausging, der sie immer noch umsichtig stützte. Sie spürte die vom Wasser gerundeten Steine unter ihren Füßen, eine kleine Stelle mit weichem Ufersand, die sanfte Bewegung der Strömung an ihren Waden. Sie fühlte die Gegenwart des Mannes, dem sie sich vertrauensvoll zugewandt hatte, mit jeder Faser ihres Körpers. Der Glanz seiner Augen, blau-grün und schimmernd wie ein Bergsee, das zärtliche Lächeln, welches seine Lippen öffnete, schwebten wie ein stummes Versprechen über ihr, als Marie den Kopf hob und ihn anschaute. Bezaubernd, fragend, verlockend – und viel zu gefährlich.

      »Ich,