Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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wenig verdattert, aber sehr erleichtert und glücklich stand Sebastian auf der Terrasse und schaute zu seinem Vater und Traudel hinüber, die lesend in ihren bequemen Korbsesseln lagen. Traudel bemerkte seinen Blick und lächelte ihn über den Rand ihres Buches an. Sie zuckte leicht mit den Achseln und sagte wissend: »Pubertät …«.

      *

      Sonnenstrahlen tanzten auf Maries Nase und weckten die junge Frau. Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie erstaunt fest, wie lange sie geschlafen hatte. Kein Grübeln bis tief in die Nacht hinein, kein schlafloses Herumwälzen lange vorm Morgenrot – das war ihr seit Ewigkeiten nicht mehr passiert.

      Voller Energie und Vorfreude auf den neuen Tag sprang Marie aus dem Bett und begann, in ihren halb ausgepackten Koffern und Kisten nach passender Kleidung zu suchen. Tja, was trug man, wenn ein arbeitsreicher Tag und eine Besprechung mit einem Handwerker vor einem lagen?

      Sicherlich keines der hauchdünnen, kurzen Sommerkleidchen, von denen Marie etliche aus Frankreich mitgebracht hatte.

      Jeans? Nicht bei diesen hochsommerlichen Temperaturen.

      Die Arbeitsklamotten von gestern hingen gewaschen und bereits getrocknet auf der Leine. Sie waren zwar zweckmäßig, aber alles andere als hübsch.

      Marie begegnete ihrem Blick im Spiegel und zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Hab ich das eben wirklich gedacht?«, fragte sie laut ins leere Zimmer hinein. »Dass ich hübsch aussehen möchte? Wie komme ich denn nur darauf?«

      Kritisch musterte sie ihr Spiegelbild. Klein und zierlich war sie schon immer gewesen, aber durch den Kummer der letzten Jahre hatte sie an Gewicht verloren. Jetzt wirkte sie beinahe zerbrechlich. Aber Arme und Beine waren wohlgeformt und verrieten, dass sie auch körperliche Arbeit gewohnt war. Ihre Haut hatte einen sanften Goldton, und ihre dunklen Locken schwebten wie eine seidige Wolke über Schultern und Rücken. Und auf zauberhafte Weise war ein Leuchten in ihre Augen zurückgekehrt, das für immer erloschen schien.

      »Nun, das bedeutet gar nichts!«, erklärte Marie ihrem Spiegelbild. »Ich freu mich halt nur, dass endlich etwas Neues beginnt.«

      Sie griff energisch nach Shorts aus heller Baumwolle und einem Top mit schmalen Trägern in einem zarten Türkis. Die langen Haare fasste sie zu einem nachlässigen Knoten zusammen, und sie entdeckte in der Schale mit ihren Schmuckstücken zarte Ohrringe, die farblich genau zu ihrem Oberteil passten. Jetzt nur noch die Schuhe. In eleganten Riemchensandalen konnte sie nicht den ganzen Tag arbeiten, aber etwas, was ihre frisch lackierten Fußnägel zeigte, durfte es schon sein.

      »Und das alles hat nichts mit einem gewissen Zimmermann zu tun, der gleich zum Aufmaß herauskommt!«, erklärte Marie ihrem Spiegelbild. »Rein gar nichts! Er sieht schließlich nur eine Kundin in mir!«

      Benjamin Lauterbach teilte sich eine Wohnung mit seinem Freund Niklas, der ebenfalls Zimmermann war. Zwei Zimmer, Küche, Bad und ein kleiner Hof bildeten den äußeren Rahmen für die Männer-WG, in der es erstaunlich ordentlich, manchmal feucht-fröhlich und meistens harmonisch zuging.

      Heute Morgen allerdings klopfte Nik­las mit hörbarer Ungeduld an die verschlossene Badezimmertür. »Jetzt beeil dich mal, andere Leute müssen auch zur Arbeit!«, rief er ungeduldig.

      »Sofort! Nur noch einen Augenblick!«, tönte es zurück.

      »Das sagst du seit zehn Minuten!«, beschwerte sich Niklas. »Mach hin jetzt!«

      »Ja-ha!«

      Ehe Niklas noch lauter werden konnte, wurde die Tür geöffnet, und Sebastian trat in den kleinen Flur. Mit frisch gestutztem Bart, schimmernden Haaren und begleitet von einem Hauch Sandelholz und Zitronengras.

      Niklas grinste. »Neues Duftwasser? Riecht männlich, edel und verdammt teuer. Wohin willst du denn heute Morgen?«

      »Arbeiten!«, antwortete Ben und verschwand in seinem Zimmer.

      »Verstehe!«, rief Niklas und verschwand immer noch grinsend unter der Dusche.

      Vor seinem Schrank stehend hatte Ben jetzt die Qual der Wahl. Die klassische Zimmermannskluft aus schwarzem Cord? Zu angeberisch für ein Aufmaß.

      Jeans? Wenn ja, welche?

      Weißes T-Shirt oder ein buntes? Oder ein Polo-Shirt?

      Schließlich erschien Ben in seiner dunklen Lieblingsjeans und einem weißen T-Shirt mit Rundhalsausschnitt in der Küche und griff nach Kaffeebecher und Tageszeitung. Kurze Zeit später ging er in sein Zimmer und kam in hellen Jeans mit abgeschnittenen Beinen und einem blauen Polo-Shirt zurück. Weitere fünf Minuten später trug er wieder seine Lieblingsjeans und ein weißes T-Shirt, dieses Mal eines mit V-Ausschnitt.

      Niklas legte seinen Teil der Zeitung zur Seite und musterte seinen Freund interessiert. »Wohin gehst du heute Morgen noch mal? Zur Königin von Saba?«

      »Quatschkopf!«, knurrte Ben. »Ich mach ein Aufmaß, draußen auf dem Ebereschenhof.«

      »So, so, und dafür musst du dich dreimal umziehen?« Niklas’ Grinsen wuchs in die Breite.

      »Man achtet eben auf sich!«, antwortete Ben so würdevoll wie möglich. »Es ist halt ein großer Auftrag, da muss man schon solide und vertrauenerweckend daherkommen!«

      »Solide und vertrauenerweckend«, wiederholte Niklas schmunzelnd, »was du nicht sagst!«

      »Hey, es ist nicht jeder so geschmacksblind wie du!«, konterte Ben und wies anklagend auf die Kleidung seines Freundes. Niklas saß dort sehr gemütlich in seiner uralten Zimmermannshose, die deutlich bessere Tage gesehen hatte, und einem schreiend bunt gemusterten Hawaiihemd.

      »Ich nehme an, besagter Auftrag wird von einer Sie erteil?«, erkundigte sich Niklas.

      »Genau.« Jetzt wurde Ben wieder ernsthaft. »Der Ebereschenhof gehört Marie Höfer.«

      »Die Frau kenne ich nicht«, erwiderte Niklas. »Sie muss ja sehr besonders sein, dass du dir so viel Mühe mit deinem Aussehen gibst.«

      »Das ist reine Höflichkeit!«, antwortete sein Freund. Er stand auf, faltete umständlich die Zeitung zusammen und suchte nach seinen Schlüsseln. Unter der Tür drehte Ben sich noch einmal um. »Aber du hast recht, sie ist wirklich eine ganz besondere Frau!«

      Wenige Zeit später stand der junge Zimmermann auf dem Ebereschenhof und schaute sich prüfend um. Nichts Auffälliges hatte sich verändert, und dennoch schien eine andere Stimmung als am Vortag über dem Hof zu liegen. Lag es allein daran, dass heute Fenster und Türen einladend geöffnet waren? Dass die Spatzen in den Bäumen so fröhlich lärmten? Dass der Sonnenschein sich im steinernen Wassertrog spiegelte und die Oberfläche zum Glitzern brachte? Auf zauberhafte Weise schien der alte Hof neu belebt zu sein.

      Leichte Schritte knirschten auf dem Kiesweg, als Marie um die Hausecke bog. Sie trug eine kleine Schale in der Hand, aus der sie im Gehen reife Brombeeren naschte. Als sie den Zimmermann sah, leuchtete ihr Gesicht auf. »Oh, Sie sind schon da?«, rief sie. »Guten Morgen!«

      Ben starrte sie einen Augenblick lang schweigend an. Was für ein Unterschied zu der abgekämpften jungen Frau von gestern! »Auch Ihnen einen guten Morgen«, grüßte er zurück. »Dann sind wir also beide bereit für unser Tagwerk?«

      »Ja!« Marie führte Ben wieder in die alte Küche, griff nach ihren Aufzeichnungen und bat den Mann dann weiter ins Haus hinein. Die nächsten Stunden waren arbeitsintensiv und auf eine angenehme Weise anstrengend. Für Maries Wohnung im Erdgeschoss wurden die nötigen Veränderungen festgelegt, dann begann das Planen der oberen Etage für die Gästezimmer. Im Handumdrehen drang das Mittagsläuten aus dem Ort zum Hof hinüber.

      »Was denn, ist es schon so spät? Wir hatten uns den Vormittag zum Planen vorgenommen und haben gerade mal die Hälfte geschafft!« Marie strich sich eine lose Haarsträhne, die ihr immer wieder in die Augen fiel, hinter das Ohr zurück. »Dann müssen wir wohl einen neuen Termin ausmachen«, fügte sie enttäuscht hinzu.

      Ben lächelte. »Wieso? Haben Sie denn für den Rest des Tages etwas Wichtiges vor?«