»Komm, setz dich zu uns, Lisa. Ich freu mich, dass du da bist! Jetzt haben wir endlich Zeit für einander«, antwortete Marie freundlich.
»Ich freu mich auch!« Mit einem strahlenden Lächeln nahm Lisa den Stuhl an Bens anderer Seite in Besitz und legte zutraulich ihre Hand auf seinen Arm. Begleitet von einem schmachtenden Augenaufschlag fragte sie: »Und du, mein lieber Ben, was hat dich denn hier hergeführt? Müssen noch ein paar Reparaturen gemacht werden?«
Wie unbeabsichtigt zog Ben seinen Arm zur Seite, ihm war Lisas übertrieben vertrauliche Art unangenehm.
»Was meinst du damit, dass noch ein paar Reparaturen gemacht werden müssen?«, erkundigte sich Marie, während sie Becher und Kuchenteller vor ihre Freundin stellte.
Lisa bediente sich ausgiebig mit Apfelkuchen und Sahne und antwortete dann: »Na ja, ich dachte, vielleicht ist noch dieses oder jenes zu richten vor dem Verkauf.«
Überrascht schaute Marie ihre Freundin an. »Verkauf?«, fragte sie. »Von welchem Verkauf sprichst du denn?«
»Vom Ebereschenhof natürlich«, antwortete Lisa mit vollem Mund. Es hatte etwas undeutlich geklungen, trotzdem waren ihre Worte von allen gut verstanden worden.
Erstaunte Blicke wurden getauscht, und Maries Kuchengabel klirrte auf ihren Teller. »Was …, wieso …, wer sollte denn den Ebereschenhof verkaufen wollen?«, stotterte sie.
»Du natürlich«, entgegnete Lisa kauend.
Marie schüttelte verständnislos den Kopf. »Warum sollte ich das denn tun? Wie kommst du nur darauf?«
Alle schauten Lisa erwartungsvoll an. Die junge Frau schien nichts von der Spannung zu bemerken, die in der Luft lag. »Na, das ist doch ganz einfach«, erklärte sie und nahm das nächste Stück Kuchen in Angriff. »Was willst du mit dem Hof denn anfangen? Ihn allein bewirtschaften? Das lohnt sich doch vorn und hinten nicht in der heutigen Zeit; außerdem lebst du in Frankreich. Das einzig Vernünftige ist, den Hof zu verkaufen. Er wird schon ein gutes Stück Geld einbringen, mit dem du fein leben kannst, das sagt auch die Miriam Holzer.«
»So, sagt das die Miriam Holzer!«, warf Doktor Seefeld trocken ein. Er kannte die Leute im Ort und wusste, wie viel geredet, gemutmaßt und getuschelt wurde. Welche Spekulationen und Gerüchte bezüglich des Hofes mochten schon im Umlauf sein? Er tauschte einen halb amüsierten, halb resignierten Blick mit Anna, der mit einem verständnisinnigen Augenzwinkern beantwortet wurde.
Marie war blass geworden. »Und was hat Miriam Holzer damit zu tun?«, fragte sie.
»Na, ihr Papa sitzt doch im Gemeinderat, und es kommen viele Touristen nach Bergmoosbach, und eigentlich könnten wir hier noch ein Hotel brauchen und das könnte die Gemeinde aus dem alten Hof machen. So richtig supermodern, mit Wellness und allem, und wo du doch sowieso nach Frankreich zurückgehst …«, plauderte Lisa munter drauflos.
Nachdenklich musterte Marie ihre alte Schulfreundin. »Ist schon interessant, welche Gedanken man sich hier um meine Zukunft macht«, sagte sie trocken. »Ich bin gerührt!«
»Echt jetzt?« Himmelblaue Babyaugen richteten sich auf die junge Frau und versuchten, ihren Gesichtsausdruck zu ergründen. So richtig gerührt sah Marie eigentlich nicht aus, eher … verärgert? »Äh, ja, das ist doch nett, dass wir hier so mitdenken, gell? Weil, du hast ja sonst niemanden mehr«, stotterte Lisa. »Außer Fabian natürlich!«, fügte sie schnell hinzu.
Ben bemerkte, dass Marie unter dem Tisch ihre Hände zu Fäusten ballte. In einer unbewussten Geste legte er seinen Arm auf die Rückenlehne von Maries Stuhl, es war so etwas wie eine zusätzliche kleine Stütze.
»Ich glaube, ich muss einiges klarstellen«, begann Marie. Sie richtete ihren Blick fest auf alle Anwesenden. »Fabian Legrand und ich sind geschieden, seit einer ganzen Weile schon. Ab jetzt ist mein Name wieder Marie Höfer.«
»Waaas? Wieso denn das?«, quietschte Lisa überrascht. Das waren ja höchst interessante Neuigkeiten, mit denen sie nachher im Ort aufwarten konnte!
Marie überging den spitzen Aufschrei. »Mehr gibt es dazu nicht zu sagen! Und was das Gerücht um meinen Hof betrifft: das ist völlig aus der Luft gegriffen! Der Ebereschenhof wird nicht verkauft! Ich bleibe für immer hier und bewirtschafte ihn selbst und zwar als Frühstückspension für Feriengäste.«
»Oh!«, entfuhr es Lisa. Das würde Miriam, ihrem Vater und vor allem dem Gemeinderat aber gar nicht passen! Man hatte sich schon auf einen einträglichen Handel gefreut, und Miriam sah sich (neben der Bürotätigkeit in Papas Sägewerk) bereits als fesche Geschäftsführerin von Bergmoosbachs mondänsten Hotel. »Du willst also nicht verkaufen? Und machst hier eine eigene Pension auf? Das sind ja mal Neuigkeiten, Marie« Lisa hob ihren Kaffeebecher wie ein Glas und prostete damit ihrer alten Schulfreundin zu. »Auf dich und deine Pläne, Marie, viel Glück!«
»Auch von uns, Frau Höfer!«, sagte Anna herzlich. Sie und der Doktor erhoben ebenfalls ihre Kaffeebecher zu einem fröhlichen Salut.
»Dann haben Sie also sehr viel vor«, fügte Sebastian Seefeld hinzu. »Wenn wir Ihnen mit Rat oder Tat zur Seite stehen können, melden Sie sich. Herr Lauterbach hat vor kurzem im Doktorhaus Umbauten vorgenommen, die Sie sich gern anschauen können. Vielleicht ergibt sich die eine oder andere Anregung für Sie.«
»Danke, darauf komme ich gern zurück«, freute sich Marie. »Ich glaube, es wird eine harte, aber aufregende und wundervolle Zeit!«
»Das ist es immer, wenn man aus etwas Altem etwas Neues macht«, sagte Ben bedächtig. Das leise Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, war warmherzig und voller Vorfreude. »Es kommt halt immer darauf an, wie man es angeht.«
Sein Blick suchte und fand den von Marie: Wir wissen, was wir damit meinen!, sagte dieser stumme Austausch.
»Ach, ja, da ist sicherlich ganz viel zu tun!«, stimmte Lisa eifrig ein. Ihre Augen glitten abschätzig durch den Raum. »Dann willst du bestimmt auch eine neue Küche haben? Das musst du doch sogar, wenn du hier Gäste bewirten willst. Ich hab da neulich im Katalog eine ganz tolle gesehen, alles Schwarz und Edelstahl, einfach supertoll, sage ich dir! Und dann eine Esstheke mit roten Barhockern, direkt hier unter den Fenstern. Die lässt du doch bestimmt vergrößern, so richtig tolle Panoramafenster müssen her, und die grausligen Steinplatten fliegen raus, und die altmodische Balkendecke auch!« Mit wenigen, atemlosen Sätzen verwandelte Lisa die charaktervolle alte Küche in Dutzendware aus dem Katalog.
Marie und Ben wechselten einen beredten Blick, Anna verkniff sich das Lachen, und Doktor Seefeld räusperte sich vernehmlich.
»Meinst du nicht, wir sollten die Marie fragen, was sie dazu zu sagen hat?«, wandte Ben sich belustigt an Lisa.
»Was soll sie dazu schon sagen?«, fragte die junge Frau erstaunt. »Genauso eine Küche hat man halt, wenn man in ist. Ich hab auch so eine.«
»Aha!«, machte Ben.
»Das mag schon sein, Lisa, aber ich habe nun einmal einen anderen Geschmack«, antworte Marie freundlich, aber bestimmt. »Meine Küche bleibt genauso, wie sie ist.«
Das konnte Lisa nun überhaupt nicht begreifen, und sie hätte sich noch weiter mit dem Thema beschäftigt, wenn nicht der Landdoktor in Aufbruchstimmung gewesen wäre. Er und die Hebamme verabschiedeten sich, und auch Ben musste, zu seinem stillen Bedauern, weiterfahren, weil der nächste Termin wartete. Die beiden jungen Frauen begleiteten die Besucher hinaus in den Hof und verabschiedeten sie bei ihren Autos.
»Dann bis morgen früh!«, sagte Ben mit einem herzhaften Händedruck. Wie klein und zart sich Maries Hand in seiner anfühlte und gleichzeitig wie warm und zuverlässig! Nur zögernd beendete er diesen kurzen, intensiven Kontakt.
»Bis morgen!«, antwortete Marie, und ihre dunklen Augen lächelten.
Lisa schüttelte ihre blondierte Haarpracht über die Schulter zurück. »So, und nun will ich alles über dich und Fabian hören! Das gibt’s ja nicht, dass ihr geschieden seid!