Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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hatte sie den Arm um Marie gelegt und führte die junge Frau in die Küche zurück. Sie setzte sich auf die Bank unter den Fenstern und klopfte einladend mit der Hand auf den Platz neben sich. »Komm, setzt dich zu mir. Du siehst ganz mitgenommen aus. War es denn so schlimm?«

      »Schlimmer«, antwortete Marie leise. Sie hatte den Kopf gesenkt und starrte auf ihre Hände, die gedankenverloren an ihrem T-Shirt herum zupften. »Du hast ja keine Ahnung.«

      Und ob ich die habe!, dachte Lisa. Du hast keinen blassen Schimmer, mein dummes, naives Mariechen! Und wenn ich es dir erzählte, dann würdest du es nicht glauben wollen. Dein geliebter Fabian und ich waren das heißeste Paar, das du dir nur vorstellen kannst, Herzchen! Und während du dein Hochzeitskleid ausgesucht und vom Kranzbinden geredet hast, waren dein Kerl und ich im Bett, im Heu, haben es nachts im Sternwolkensee miteinander getrieben und noch an ein paar anderen Orten, die dir kleinem Frauchen nicht mal im Traum einfallen würden!

      Bei diesem Gedanken hätte Lisa fast laut aufgelacht, aber gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass sie keinen Grund hatte, sich überlegen zu fühlen. Sicher, sie und Fabian hatten ihr schmutziges Spiel getrieben, und für Lisa war einiges dabei herausgesprungen aber in allen Ehren geheiratet hatte der reiche Windhund die Marie. In weißer Seide und Spitze, mit einem rauschenden Fest und anschließenden Luxusflitterwochen in der Karibik. Während sie, Lisa, als Friseurin in Bergmoosbach blieb.

      Aber dafür besaß sie jetzt ihren eigenen Salon, und Marie stand vor den Trümmern ihrer Ehe, von einer gesicherten beruflichen Existenz ganz zu schweigen. Dieser Umbau zur Pension musste doch ein Vermögen kosten, auf Marie würden drückende Kreditraten zukommen. Und sie war so gar nicht der Typ starke Geschäftsfrau! Maries Lebensglück hatte immer in einer Familie mit Mann und Kindern bestanden. Dieses Ziel war jetzt in äußerst weite Ferne gerückt, und das Führen einer Pension konnte wohl kaum als Ersatz herhalten. Alles in allem betrachtet, sah die Zukunft der jungen Frau nicht gerade rosig aus.

      Betont fürsorglich legte Lisa den Arm um die Schultern ihrer alten Freundin. »Was war denn los«, fragte sie leise. »Magst du es erzählen? Gab es vielleicht – andere Frauen?«

      »Ja«, nickte Marie. »Sogar zwei Kinder. Und da waren auch geschäftliche Dinge …« Sie verstummte. Dann lehnte sie ihren Kopf an Lisas Schulter, arglos und Beistand suchend. »Weißt du, ich mag jetzt nicht drüber reden, nicht hier.« Mit einer müden Handbewegung deutete sie auf die alte Küche, in der sie alle vor kurzem noch so gemütlich zusammen gesessen hatten. »Ich will nicht, dass das alles durchs Erzählen wieder lebendig wird und mein Zuhause beschmutzt. Ich habe gerade das Gefühl, hier zur Ruhe zu kommen und mir eine Zukunft aufbauen zu können. Die Erinnerungen an Fabian haben hier nichts zu suchen! Jetzt sichte ich die Hinterlassenschaft der Eltern, das ist schon schwer genug. Lass uns einfach hier sitzen, und du erzählst mir ein bisschen davon, wie es in der letzten Zeit in der Heimat war. Die beiden letzten Male, als ich hier war, musste ich mich um die Beerdigungen der Eltern kümmern, und vor lauter Trauer hatte ich für nichts anderes Zeit und Kraft. Aber jetzt würden mir ein paar nette Neuigkeiten gut tun. Sag, wie war das letzte Klassentreffen? Hat die Moni den Bernhard immer noch so angeschmachtet wie damals zur Schulzeit?«

      »Unser guter Bernhard trägt inzwischen Bauch und ist mit Sybille aus der 10b verheiratet«, erzählte Lisa, »und unser alter Klassenlehrer Leitner lässt sich die Haare färben, viel zu dunkel für sein Alter, kann ich dir als Fachfrau sagen! Dafür fährt er immer in die Kreisstadt, damit man es hier nicht mitbekommt. Andi und Merle sind immer noch ein Paar, und Karla und ihr Mann haben ein Kind adoptiert. Ach, und neulich haben sich zwei Touristen im Biergarten in die Haare gekriegt, weil einer …«, munter plätscherte Lisas Stimme vor sich hin, und die Schilderungen der kleinen Neuigkeiten waren Balsam für Maries müde Seele. Es waren nur harmlose Begebenheiten, über die Lisa plauderte, nichts Verletzendes oder Hinterhältiges.

      Das, so beschloss die hübsche Blondine, würde sie sich für später aufheben.

      *

      Während die beiden vermeintlichen Freundinnen auf dem Ebereschenhof zurück blieben, fuhren Doktor Seefeld und die Hebamme hinunter in den Ort. Wie vereinbart setzte Sebastian seine Kollegin am Kirchplatz ab. Auf die junge Hebamme wartete gleich der Kursus zur Geburtsvorbereitung in ihrer Praxis, und Sebastian wollte versuchen, mit seiner unglücklichen Tochter zu sprechen. Vielleicht bahnte das Zubereiten ihres Lieblingsessens einen kleinen Weg durch den Ring der Einsamkeit und Abwehr, den Emilia um sich gezogen hatte.

      »Diese gemeinsame Runde war eine gute Idee von dir«, sagte Sebastian zufrieden. »Das sollten wir öfter machen, wenn wir dieselben Patientinnen betreuen.«

      Anna spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. »Danke!«, antwortete sie. Ein warmherziges Lächeln tanzte in ihren grünen Augen. »Das würde ich sehr gern. Wir geben ein gutes Team ab, wie wir in den Stunden auf dem Aussiedlerhof bewiesen haben.«

      »Und nicht nur dort«, fuhr Sebastian fort. »Dass alle so zusammengehalten und Antons Familie in dieser Notlage beigestanden haben, war nicht nur mein Werk. Ohne dich wäre es nicht möglich gewesen! Du sprichst die Herzen der Menschen an, Anna.«

      Wie schön das klang! Aber die junge Hebamme wusste auch, dass es eher aus kollegialer Sicht gemeint war. »Lass gut sein, Sebastian, das haben wir beide uns auf die Fahne zu schreiben«, antwortete sie verlegen.

      »Sag ich doch: Wir beide!«, lächelte er, und Annas Herz machte einen Satz.

      »Ich, äh, ich muss jetzt los«, stotterte sie. »Mein Kurs, beginnt gleich, und ich muss den Raum noch vorbereiten.«

      Sebastian dachte an die hübschen, lichtdurchfluteten Räume mit dem hellen Mobiliar und den sanften Farben. »Die Mütter haben es gut bei dir, Anna«, sagte er.

      »Das, hm, das will ich hoffen«, räusperte sich die junge Frau. Was war nur mit ihrer Stimme los? Sie klang genauso seltsam, wie sich ihr Herz benahm. Sie griff nach ihrer großen Tasche und öffnete die Wagentür. »Dann also bis übermorgen, wenn der Besuch bei der Huber Bäuerin ansteht.«

      »Ja, bis übermorgen«, antwortete Sebastian. Die Autotür wurde geschlossen, und der Wagen setzte sich in Bewegung, Richtung Doktorhaus.

      »Ja, da schau her! Machst du deine Besuche jetzt immer mit dem jungen Doktor zusammen?« Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich Miriam Holzer neben Anna und schaute die junge Hebamme aus schmalen Augen an.

      Anna spürte beinahe körperlich die Woge aus Neid und Missgunst, die sie regelrecht überrollte. Doch davon würde sich die Erinnerung an den schönen Nachmittag mit Doktor Seefeld nicht verderben lassen! Anna antwortete mit einem zuckersüßen Lächeln und dem Spruch: »Nicht immer, aber immer öfter! Ich wünsch dir einen schönen Abend, Miriam.« Mit diesen Worten schwebte sie davon.

      Der Landdoktor, der keine Ahnung davon hatte, welche der Dorfbewohnerinnen sich mit welchen Plänen beschäftigte, war inzwischen zu Hause angelangt. Er ging um das schöne, alte Haus herum in den Garten und wollte von dort aus gleich die Küche betreten, um das geplante Lieblingsessen für seine Tochter zuzubereiten. Wie lange war es her, dass sie Mal diese kleinen Pfannkuchen, triefend von Butter und Ahornsirup, gegessen hatten! Vielleicht würde Emilia sich darüber freuen und mehr noch hoffentlich über die Zeit des gemeinsamen Arbeitens und Redens mit ihrem vielbeschäftigten Vater.

      Aber anstelle abwehrenden Schweigens und einer finsteren Miene überraschten ihn fröhliches, ausgelassenes Rufen und Lachen im Garten! Er blieb stehen und schaute voller Freude auf Emilia und ihre beste Freundin Antonia. Die Mädels tobten mit ihren Hunden über den Rasen. Toni hatte ihre Colliehündin Hazel dabei, und diese war sehr damit beschäftigt, dem Welpen der Familie Seefeld Manieren beizubringen! Mädchen und Hunde sprangen wild durcheinander, es wurde gerufen und gequietscht und sehr viel gelacht. Als Emilia ihren Vater bemerkte, rannte sie auf ihn zu und warf ihm mit Schwung die Arme um den Hals.

      »Hallo, Papa! Wie schön, dass du wieder da bist! Hattest du einen guten Tag? Musstest du weit fahren? Warst du auch droben auf dem Aussiedlerhof? Wie geht’s dem Baby? Kann Toni zum Abendbrot bleiben? Guck‘ mal, was Nolan schon kann!«

      Alles in einem einzigen, atemlosen Satz, mit fröhlich blitzenden Augen