»Sag, Lisa, wo soll ich deine Bank denn aufstellen?«, fragte er.
»Grüß dich, Ben!«, schnurrte Lisa und schlängelte sich katzengleich zwischen der Säule mit den Waschbecken und einem Wagen mit Friseurbedarf hindurch. Ihre himmelblauen Augen hatte sie noch weiter aufgerissen als sonst, und ihre Lippen formten mehr denn je einen atemlosen Kussmund.
»Wie schön, dich zu sehen!« Sie reckte sich auf die Zehenspitzen, legte ihre manikürten Hände auf die breiten Schultern des Mannes und hauchte gefühlvolle Küsschen auf seine Wangen.
Gutmütig ließ der Mann die Begrüßung über sich ergehen, ohne sie seinerseits mit Küsschen zu erwidern. Er trat einen Schritt zurück, bedachte die junge Frau mit einem freundlichen Nicken und wiederholte seine Frage.
»Komm mit, ich zeig’s dir«, flötete Lisa. Mit sorgsam eingesetztem Hüftschwung ging sie vor dem Mann hinaus auf die Straße und wies auf den Platz direkt unter ihrem Schaufenster. »Genau hier, bitte! Zwischen die beiden Blumenschalen.«
Der Mann nickte und öffnete die Ladefläche seines Transporters. Von dort zog er eine Holzbank herab, die er auf den von Lisa bestimmten Platz stellte. Es handelte sich um eine zierliche Holzbank mit geschwungener Lehne, glatt und seidig, eine gelungene Zimmermannsarbeit. Und sie war leuchtend Pink lackiert.
Ergriffen schaute Lisa das neue Prunkstück vor ihrem Salon an. »Wahnsinn! Sieht es nicht einfach toll aus, Ben?«
»Ja, und dann dieses farbliche Zusammenspiel mit den roten Geranien rechts und links …«, antwortete er trocken. Es hatte ihn unglaubliche Überwindung gekostet, die Bank in diesem fürchterlichen Farbton zu streichen ,und er war kurz davor gewesen, Lisa den Auftrag zurückzugeben.
Aber der junge Zimmermann Benjamin Lauterbach war gerade dabei, sich eine eigene Firma aufzubauen, und konnte es sich nicht leisten, persönlichen Geschmack und Schönheitssinn über den der Kundschaft zu stellen. Nur als Lisa auch noch vorgeschlagen hatte, mit Glitzerschrift ›Glamour‹ auf die Rückenlehne zu schreiben, hatte Ben es mit dem Hinweis abgelehnt, dass das nun wirklich keine Tischlerarbeit mehr sei.
»Ben, das hast du so toll gemacht! Genau so hab ich mir die Bank vorgestellt, ich bin begeistert!« Lisa klatschte entzückt in die Hände und machte Anstalten, den Mann mit weiteren Küsschen zu bedenken.
»Schön, dass dir meine Arbeit so gut gefällt«, antwortete er ruhig. Aus sicherer Entfernung überreichte er der jungen Frau einen Briefumschlag. »Hier ist die Rechnung.«
»Dank dir, ich kümmere mich gleich drum«, sagte Lisa. Sie genoss das Zusammensein mit diesem attraktiven Mann und hätte es gern ein wenig ausgedehnt. Es war eine willkommene Abwechslung zum Flechten der weißen Haare der alten Ederin und der schlichten Maniküre bei Doktors Traudel. Außerdem wusste Lisa sehr genau, dass sie durch das Schaufenster beobachtet wurde! Sie war es sich und ihren weiblichen Reizen geradezu schuldig, jetzt ein wenig Charme zu versprühen. Betont sexy lehnte sie sich auf der Bank zurück, schüttelte ihre blonde Mähne und produzierte einen tiefen Augenaufschlag. »Ben, sag‘, magst du dich nicht ein bisschen zu mir setzen? Du kannst mich doch die Bank nicht ganz allein einweihen lassen, wo sie doch sozusagen ein Teil von dir und ein Teil von mir ist. Komm, setzt dich her zu mir, und wir trinken einen Kaffee zusammen. Ich brauch der Jeanette nur zu winken, und wir haben unseren Cappuccino.«
Ben winkte nicht unfreundlich ab. »Nein, danke. Ich habe keine Zeit. Ich muss noch drüben beim Doktor eine Schranktür nachziehen und dann zum Ebereschenhof.«
Zum Ebereschenhof, so, so …
»Dann vielleicht ein anderes Mal, aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben«, schnurrte Lisa. Sie winkte dem abfahrenden Mann hinterher und ging zurück in ihren Salon. Während sie dort mit halbem Ohr den üblichen Gesprächen folgte, hing sie ihren eigenen Gedanken nach.
Man brauchte auf dem Ebereschenhof also einen Zimmermann. Ging es nur um eine kleine Reparatur, um den Hof besser verkaufen zu können? Miriam Holzer hatte da neulich beim Madelstammtisch eine Andeutung fallen lassen, dass der Gemeinderat eventuell Interesse haben könnte. Und warum auch nicht? Was sollte Marie denn mit dem Hof anfangen? Sie wohnte seit Jahren in Frankreich, und ihr windiger Ehemann hatte nie hier leben wollen.
Es war wirklich an der Zeit, der lieben, gutgläubigen Marie einen Besuch abzustatten und zu erfahren, welche Pläne sie hatte. Vielleicht würde dort auch dieser überaus attraktive Zimmermann anzutreffen sein? Man könnte ein wenig plaudern, vielleicht gemeinsam nach Bergmoosbach hinein fahren und ein Weißbier trinken, während die gute Marie ihre Sachen packte und nach Frankreich abreiste.
*
Als Ben den Ebereschenhof betrat, empfing ihn tiefe Stille. Schweigend lag der Hof im Sonnenlicht, das sich in den geschlossenen Fensterscheiben widerspiegelte. Kein Hund meldete seine Ankunft mit wachsamen Bellen, keine Katze strich neugierig um die Hausecke. In den Blumenkübeln neben den Eingangsstufen fehlte die Blütenpracht. Der Hofplatz war sauber gefegt, und es gab keine Spuren großen Verfalls, aber trotzt seiner schlichten Schönheit herrschte auf dem Anwesen eine seltsam trostlose und bedrückende Atmosphäre. Das einzig Lebendige schienen die beiden großen Ebereschen zu sein, deren grüne Blätter im Sommerwind raschelten.
Der Mann musste mehrmals kräftig gegen die alte Haustür klopfen, ehe im oberen Stockwerk ein Fenster geöffnet wurde und eine Frauenstimme rief: »Entschuldigung, ich habe Sie nicht gehört! Bin sofort unten.«
Gleich darauf wurde die Tür geöffnet, und Ben stand einer Frau gegenüber, die offensichtlich mit Aufräumarbeiten beschäftigt war. Sie trug alte, abgeschnittene Jeans, abgetragene Segeltuchschuhe und ein formloses T-Shirt in einem ausgewaschenen Grün. Hände und Beine der jungen Frau wirkten wie mit Staub gepudert, und feine Schmutzstreifen zogen sich über ihre Wangen. Sollten das getrocknete Tränenspuren sein? Aber ihr Gesichtsausdruck war ruhig und gefasst und ihr verhaltenes Lächeln freundlich. Seidige Wimpern umrahmten dunkelbraunen Augen unter fein geschwungenen Brauen. Ihr lockiges Haar war von einem samtigen Schokoladenbraun und mit einem türkisfarbenen Tuch aus der Stirn gebunden. Sie ging dem hünenhaften Benjamin noch nicht einmal bis zur Schulter. Ihre zarte Gestalt und die Verlorenheit, die sie ausstrahlte, weckten Bens Beschützerinstinkte auf den ersten Blick.
»Grüß Gott«, sagte die junge Frau, »entschuldigen Sie, dass ich Sie vor der Tür stehen ließ. Ich war oben auf dem Dachboden und habe Ihr Klopfen zu spät bemerkt.« Nach einem Blick auf die Aufschrift des Transporters im Hof fuhr sie fort: »Ich nehme an, Sie kommen von der Zimmerei Lauterbach?«
Ben lachte leise. »Ich bin die Zimmerei Lauterbach«, antwortete er verschmitzt. Dann hob er die Hand zum Kopf der jungen Frau. »Darf ich?« fragte er leise und entfernte ein graues Gebilde aus Staub und Spinnweben, das sich in den dunklen Locken verfangen hatte und seitlich am Hals herabhing. »Du hast einen schöneren Ohrring verdient, Aschenputtel«, sagte er neckend.
»Was? Oh, …« Die junge Frau trat hastig einen Schritt zurück. »Ich krieche gerade auf dem Dachboden herum und sehe wohl ziemlich unmöglich aus.« Sie verschränkte ihre schmutzigen Hände auf dem Rücken und schaute starr geradeaus.
Ben bemerkte ihre Verlegenheit und Abwehrhaltung und bemühte sich, seinen Fehler wieder gutzumachen. »Das passt schon!«, sagte er munter. »Wer richtig arbeitet, muss auch richtig angezogen sein.« Er deutete auf seine eigene Bekleidung und die Sägespäne, die darüber verteilt waren. »Wie Sie sehen, passen wir sehr gut zusammen.«
Bei diesen Worten entspannte sich die junge Frau ein wenig. »Das hoffe ich, denn ohne Übereinstimmung wird das Arbeiten hier schwierig.« Sie streckte ihm eine schmale Hand zu einem überraschend festen Händedruck entgegen. »Ich bin Marie Höfer, und es geht um den Umbau des Ebereschenhofs.«
»Benjamin Lauterbach«, stellte er sich vor. »Dann lassen Sie uns die Gebäude doch einmal zusammen anschauen.«
Marie führte den Zimmermann zunächst in die große Küche des Hofes. Sie war alt und im Laufe der Jahre an manchen Stellen modernisiert worden, hatte aber nichts von ihrer Ursprünglichkeit verloren. Den Fußboden bildeten alte Steinfliesen,