»Du darfst Miriam nicht trauen, Papa, wie oft soll ich dir das noch sagen.«
»Erinnere mich ruhig immer wieder daran.«
»Ohne mich wärst du richtig aufgeschmissen, Papa«, erklärte Emilia lachend.
»Ich weiß, mein Schatz«, antwortete Sebastian und nahm seine Tochter liebevoll in den Arm.
»Was machen wir denn jetzt, um Anna zu helfen?«, fragte Markus, der sich erst einmal im Hintergrund gehalten hatte.
»Ich kann die Sache leider auch nicht einfach so aufklären«, sagte Sebastian.
»Okay, wenn keiner etwas tun kann, dann fahre ich jetzt ins Dorf und erzähle jedem, den ich treffe, die Wahrheit. Ich kann nicht glauben, dass hier niemand etwas für Anna tun will.«
»Bleib! Das heißt nicht, dass ich nichts unternehmen werde«, beruhigte Sebastian den Jungen, der schon davoneilen wollte. »Ich werde zuerst mit deinen Eltern reden, danach kommt Miriam dran«, sagte er und wählte die Nummer des Mittnerhofes.
»Mittner«, meldete sich Sabine.
»Sabine, was wollt ihr tun, um Anna zu helfen?«, fragte Sebastian sie ohne Umschweife.
»Anton ist noch unschlüssig.«
»Lass mich bitte mit ihm sprechen.«
»Er ist mit dem Traktor unterwegs.«
»Hat er ein Handy dabei?«
»Ja, aber meistens hört er es nicht, wenn er auf dem Traktor sitzt.«
»Wir werden es trotzdem versuchen. Rufe bitte deinen Vater an«, wandte er sich an Markus, nachdem er aufgelegt hatte.
»Tut mir leid, er geht nicht dran«, entschuldigte sich der Junge nach einigen vergeblichen Versuchen.
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte Sebastian, als Markus betroffen zu Boden schaute.
»Halt! Das geht nicht! Stehenbleiben!«, schallte Gertis Stimme durch die Praxis, als die Tür zum Sprechzimmer aufflog und Miriam mit wallenden blonden Locken und in einem engen roten Kleid hereinstürmte.
»Das ist schon in Ordnung, Gerti, ich wollte ohnehin mit ihr reden«, sagte Sebastian.
»Arrogante Schnepfe«, schimpfte Gerti, die ihr gefolgt war.
»Schon gut, Gerti, du kannst dann gehen.«
»Ich kann auch noch bleiben.«
»Danke, wir kommen zurecht«, verkündete Miriam und knallte Gerti die Tür vor der Nase zu. »Sieh an, du hast Besuch. Wie geht es denn deiner armen Mutter, Markus?«
»Es geht ihr gut, es gefällt ihr allerdings gar nicht, was du über Anna erzählst. Was denkst du eigentlich, warum meine Mutter wollte, dass Anna die Patenschaft von Bastian übernimmt?«
»Das war vermutlich voreilig, da sie noch nicht wusste, in welche Gefahr Anna Bergmann sie gebracht hatte.«
»Du hast doch keine Ahnung«, fuhr Markus sie wütend an.
»Würdet ihr uns bitte kurz allein lassen«, bat Sebastian die beiden Teenager, die Miriam kopfschüttelnd musterten.
»Du wirst ihn nie bekommen«, raunte Emilia Miriam im Vorbeigehen zu und verließ mit Markus das Zimmer.
Miriam reagierte nicht. Sich vor Sebastian mit seiner Tochter anzulegen, konnte nur von Nachteil sein, das war ihr bewusst.
»Was willst du eigentlich hier, Miriam?«, fragte Sebastian.
»Ich dachte, wir könnten zusammen essen gehen. Du wirst doch nicht jeden Tag Appetit auf Traudels Hausmannskost haben. In der Nachbargemeinde hat ein neuer Italiener eröffnet. Wir könnten ihn ausprobieren.«
»Nein.«
»Einfach nur nein?«, entgegnete sie verblüfft.
»Ich habe nicht vor, mit dir essen zu gehen oder sonst etwas zu unternehmen. Was sollte das Theater gestern Abend? Warum wolltest du mich unbedingt aus dem Biergarten locken?«
»Ich habe mich nicht gut gefühlt.«
»Miriam, hör auf.« Sebastian packte sie am Arm und hielt ihren Blick fest.
»Ich werde es nicht zulassen.«
»Was wirst du nicht zulassen?«
»Störe ich?«
»Anton.« Sebastian ließ Miriam los und wandte sich seinem alten Schulfreund zu, der ins Sprechzimmer kam.
»Ich gebe es auf, das Chaos ist nicht mehr zu beherrschen. Hier geht offensichtlich jeder ein und aus, wie es ihm gerade in den Sinn kommt«, stöhnte Gerti, die auch Anton nicht hatte aufhalten können.
»Miriam, wir haben etwas zu klären«, sagte Anton, der inzwischen eingesehen hatte, dass Emilia und Markus recht hatten. Es war Zeit für die Wahrheit, und so erzählte er Miriam, dass sie ihre Krankenversicherung verloren hatten und in den letzten Monaten nur noch Geld für das allernötigste ausgeben konnten.
»Aber du hast doch zu Anna Bergmann gesagt, dass du dafür sorgen willst, dass so etwas nicht mehr passiert, dass die nächste Katastrophe vermieden werden soll. Ich dachte, du beziehst das auf sie«, wandte sich Miriam an Sebastian.
»Eine Aussage ohne Hintergrundinformation ist nichts wert, Miriam, das solltest du wissen.«
»Deshalb sorgen wir beide nun für die richtige Hintergrundinformation. Darf ich bitten«, sagte Anton und hielt Miriam die Tür auf.
»Wohin willst du?«
»Das wirst du gleich sehen«, entgegnete Anton und drängte sie aus dem Sprechzimmer.
Danke, Anton, für deine Einsicht, dachte Sebastian erleichtert. Wenig später verließ dann auch er die Praxis.
»Was wird das denn?«, fragte er erstaunt, als er in den Hof kam und Miriam zu Anton auf den Traktor stieg, mit dem er direkt vom Feld gekommen war, als ihm klar geworden war, was er zu tun hatte.
»Papa meint, von dort oben kann sie ihre Sünden besser bekennen«, antwortete Markus amüsiert, der mit Emilia, Traudel und Gerti das Geschehen beobachtete.
»Harald wird ihn nachher abholen!«, rief Miriam. Sie deutete auf ihren Porsche, der im Hof stand, und warf Sebastian die Autoschlüssel zu.
»Kann ich ihn mal Probe fahren?«, fragte Markus.
»Untersteh dich, Junge«, antwortete Anton und schüttelte den Kopf, bevor er den Motor des Traktors anließ und losfuhr.
»Für mich wird es dann auch Zeit. Siggi wartet sicher schon auf mich«, verabschiedete sich Gerti, die mit ihrer Schwester Sieglinde, einer pensionierten Lehrerin, zusammen wohnte. Gleich darauf marschierte sie hinter dem Traktor zur Straße hinunter, während ihre Umhängetasche im Takt ihrer Schritte gegen ihre molligen Hüften schlug.
»Möchte jemand Brombeerkuchen?«, fragte Traudel.
»Ich.«
»Ich auch«, schloss sich Markus Emilia an.
»Was ist mit dir?«, wandte sich Traudel an Sebastian.
»Papa hat noch etwas zu erledigen. Anna wird gleich hier sein. Ich habe sie angerufen und ihr erzählt, was hier los ist. Ich wollte, dass sie Miriams Büßerfahrt nicht verpasst. Sorge bitte dafür, dass Anna in Bergmoosbach bleibt, Papa«, sagte Emilia, bevor sie Markus an die Hand nahm und mit ihm zur Terrasse lief.
»Bis gleich.« Traudel streichelte Sebastian sanft über den Arm, als sie sah, wie der Traktor unten an der Straße anhielt, weil Anna gerade das Grundstück der Seefelds erreichte.
»Tut mir leid, Anna!«, rief Miriam, nachdem Anton den Motor abgestellt hatte.
»Was tut dir leid?« Auch wenn Anna schon von Emilia wusste, dass Anton und Sebastian Miriam