»Ich bin in Augsburg aufgewachsen«, sagte sie und erzählte ihm von ihrer glücklichen Kindheit in einer behüteten Familie, ihrer Ausbildung zur Arzthelferin und der Zeit in der Praxis eines Hautarztes, die sie dazu brachte, ihren Beruf zu wechseln. »Als mir eines Tages klar wurde, dass mein Chef weniger an der Medizin interessiert war, dafür umso mehr an vollkommen sinnlosen Schönheitsoperationen, die ihm aber eine Menge Geld einbrachten, entwickelte ich so eine Art Trotzhaltung. Ich dachte, ich muss etwas tun, um Frauen klar zu machen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, sich schön zu fühlen. Schönheitsoperationen sind ein Segen, wenn jemand wirklich unter seinem Aussehen leidet, durch eine Krankheit oder einen Unfall darauf angewiesen ist. Alle anderen, die nur einem Schönheitsideal hinterherhetzen, setzen sich unnötig einem Operationsrisiko aus.«
»Meine Schwester hatte auch schon die Idee, sich unters Messer zu legen, weil der Mann, in den sie sich verliebt hatte, sie dazu überredete. Ich habe ihr damals gesagt, dass es mit der Liebe nicht weit her sein kann, wenn er das von ihr verlangt.«
»Hat sie auf dich gehört?«
»Ich konnte sie überzeugen, der Mann ist gegangen. Seitdem glaubt sie nicht mehr an die Liebe.«
»Das tut mir leid.« Zumindest war das eine Erklärung dafür, dass Eleonore so verbittert in die Welt schaute. »Ich wünsche ihr von Herzen, dass irgendwann der Richtige kommt, der sie wirklich gern hat. Obwohl …«
»Was?«, fragte Jonas, als Mona innehielt.
»Sie könnte auch ohne Operation viel hübscher aussehen. Sie müsste sich nur ein bisschen Mühe geben und ein paar Ratschläge annehmen.«
»Ich glaube, sie will niemandem mehr gefallen. Deshalb trägt sie auch dieses Ungetüm von Brille und tut so, als sei sie ohne diese Brille beinahe blind. Dabei ist es nur Fensterglas, das habe ich längst herausgefunden, aber ich will sie nicht bloßstellen, deshalb behalte ich es für mich.«
»Ich werde dich nicht verraten«, versicherte ihm Mona, während sie ihm half, die Reste ihres Picknicks wieder in den Korb zu räumen.
»Das ist ja noch nicht alles, da sind auch ihre ständigen Arztbesuche. Jede Woche ist es etwas anderes. Morgen früh lässt sie sich mal wieder Blut abnehmen, so wie alle drei Monate, obwohl Sebastian ihr jedes Mal versichert, dass mit ihr alles in Ordnung ist.«
»Es soll einige im Dorf geben, die öfter als notwendig seine Sprechstunden besuchen.«
»Dieses Phänomen ist mir bekannt«, antwortete Jonas lachend, »aber ich denke, Eleonore geht nicht zu ihm, weil sie ihn anhimmelt. Ich glaube, sie will damit kundtun, wie sehr sie sich für unseren Hof aufopfert, dass sie alles gibt, bis zur totalen Erschöpfung. Manchmal habe ich schon den Eindruck, als seien wir ein altes Ehepaar, das gemeinsam auf seinem Hof lebt und sich gegenseitig das Leben schwer macht.«
»Muss deine Schwester denn so hart arbeiten?«
»Nein, das muss sie nicht. Wir haben gute Leute, die in Bergmoosbach zu Hause sind und während der Ernte für uns arbeiten. Ich könnte auch jemanden zu Elos Unterstützung im Haus und im Garten einstellen, aber sie will keine Fremden auf dem Hof haben.« Jonas hielt inne und schaute an den Horizont.
Mona folgte seinem Blick und war wie immer gebannt von dem beeindruckenden Schauspiel des späten Abends, wie die Sonne allmählich hinter den Bergen verschwand, die Gipfel in orangerotes Licht tauchte, bis schließlich die Nacht heraufzog.
»Es tut mir leid«, sagte Jonas, als er sich Mona nach einer Weile wieder zuwandte.
»Was tut dir leid?«, fragte sie überrascht.
»Dass ich dich mit meinen Sorgen überfallen habe. Ich habe noch nie jemandem erzählt, dass mich Elos Verhalten belastet. Ich habe keine Ahnung, warum mir das eben passiert ist.«
»Es muss dir nicht leid tun.«
»Vorhin habe ich aber gesagt, dass ich hierher komme, um alle Sorgen loszulassen, stattdessen krame ich sie heute hervor.«
»Manchmal muss man sich jemandem anvertrauen. Wenn wir unsere Sorgen aussprechen, dann wiegen sie nicht mehr so schwer, weil der andere sie in diesem Moment mitträgt. Das gibt uns die Möglichkeit, wieder klarer zu denken.«
»Das klingt, als hättest du viel Erfahrung mit dem Zuhören.«
»Oh, ja, die habe ich, meine Kundinnen sind während ihrer Behandlungen meistens sehr entspannt, viele geraten dann ins Plaudern. Aber sag, gehört der Hof eigentlich dir und deiner Schwester zu gleichen Teilen?«
»Nein, unsere Eltern waren da noch ganz traditionell, der Sohn erbt den Hof, die Schwester erhält ein lebenslanges Wohnrecht, für den Fall, dass sie nicht auf einen anderen Hof einheiratet.«
»Das ist allerdings traditionell.«
»Ich weiß, und ich erwarte auch nicht, dass Elo sich nach einem reichen Bauern als Heiratskandidaten umsieht. Sie könnte auch einen armen Schlucker heiraten, wenn sie ihn liebt, und mit ihm auf dem Hof leben.«
»Und wie sieht es bei dir aus? Denkst du denn ans Heiraten?«, fragte Mona, und ihr Herz klopfte schneller, weil sie sich ein wenig vor seiner Antwort fürchtete.
»Ich habe im Moment keine Hochzeitspläne.«
»Du hast noch nicht die Richtige getroffen?«
»Keine Ahnung, woran erkennt man die Richtige?«
»Es wird sein, als hättest du schon immer auf sie gewartet, als sei sie der vertrauteste Mensch für dich, du wirst dir wünschen, jede Minute mit ihr verbringen zu können, und wenn sie nicht bei dir ist, dann wird die Sehnsucht so groß sein, dass sie wehtut, so hat es meine Mutter mir erklärt, als ich ihr vor vielen Jahren diese Frage stellte. Nur mit dem Unterschied, dass es dabei nicht um die Richtige, sondern um den Richtigen ging.«
»Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als du zu uns auf den Hof kamst, von deinem Fahrrad stiegst und mich anschautest, da habe ich genauso empfunden. Es war, als hätte ich schon immer auf dich gewartet, und nun warst du endlich da. Du warst mir so vertraut, deshalb dachte ich auch, wir wären uns schon einmal begegnet.«
»Du warst mir auch gleich vertraut«, gab sie leise zu.
»Was fangen wir beide jetzt mit diesen Geständnissen an?«, fragte Jonas und betrachtete sie zärtlich.
»Vielleicht sollten wir uns erst einmal kennenlernen.«
»Das sollten wir tun, und damit du mich bis morgen nicht vergisst, möchte ich dir noch etwas schenken«, sagte Jonas und lief ein Stück die Wiese hinunter.
Da es inzwischen dunkel war und der Mond sich hinter einer Wolke versteckte, konnte sie ihn nur als Schatten zwischen den Bäumen erkennen. Ihn auf diese Weise zu beobachten, seine Bewegungen zu erahnen, das war ein aufregendes Gefühl.
»Das ist der schönste Apfel, den ich finden konnte«, sagte er, als er zurückkam. Er setzte sich wieder neben sie und legte ihr den Apfel behutsam in die Hand. »Denke an mich, wenn du ihn isst.«
»Das werde ich tun«, entgegnete sie, und als die Wolke weiterzog, den Mond freigab und sein Licht auf die Wiese fiel, war dieses Licht so hell, dass es sich in Jonas‘ Augen wiederspiegelte.
»Vielleicht werde ich heute Nacht von dir träumen«, sagte er.
»Wenn ich eine Fee wäre, würde ich dafür sorgen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.«
»Ich glaube, du kannst es möglich machen.« Behutsam legte er seinen Arm um sie und streichelte über ihren Nacken.
»Wollten wir uns nicht erst kennenlernen?«
»Möchtest du, dass ich dich wieder loslasse?«
»Nein, das möchte ich nicht«, sagte sie, weil es sich wundervoll anfühlte, von ihm berührt zu werden. Ihr Atem wurde schwerer,