»Brütest du eine Gemeinheit aus?«, erkundigte sich Gerti, als sie in das Zimmer kam und Eleonore mit zusammengekniffenen Augen vor sich her starrte.
»Ich? Was sollt ich denn ausbrüten? Ich hab überhaupt keine Zeit, was auszubrüten.«
»Wenn du dir ein bissel mehr Zeit für dich selbst nehmen würdest, dann ging es dir gleich viel besser, und du müsstest nicht so oft zu uns kommen.«
»Bin ich dem Herrn Doktor etwa lästig?«, fragte Eleonore entrüstet.
»Niemand ist lästig. Wer hierher kommt, hat auch einen Grund«, sagte Gerti und legte die Spritze zurecht, mit der sie Eleonore Blut abnehmen wollte. Und wenn es die Sehnsucht nach einer Krankheit ist, die jemand hertreibt, dann ist das auch eine Krankheit, die aber leider schwer zu heilen ist, dachte sie und streifte Eleonore mit einem mitleidigen Blick.
Mona setzte sich auf die Bank unter der alten Ulme, die im Hof vor der Praxis stand. Sie schaute auf die Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln und dachte darüber nach, wie sie es anstellen konnte, sich mit Jonas‘ Schwester anzufreunden. Wenn sie sich von nun an öfter sehen würden, dann blieb es nicht aus, dass sie auch ab und zu auf Eleonore traf. Trotzdem war sie froh, dass Frau Winter schließlich zuerst aus der Praxis kam und sie Eleonore für heute erst einmal aus dem Weg gehen konnte.
»Ein feiner Mensch, der Herr Doktor Seefeld«, sagte Frau Winter, als sie und Mona wieder in das kleine rote Auto stiegen, das Simone gehörte.
»Konnte er Ihnen helfen?«, fragte Mona freundlich.
»Er hat mir eine Salbe gegeben, und er meinte, bis heute Abend sollte die Rötung so weit zurückgegangen sein, dass sie unter einem guten Make-up nicht mehr zu erkennen sei. Er war so freundlich und hat mir aufgeschrieben, welche Zusatzstoffe ich meiden soll«, sagte Frau Winter und zeigte Mona den Zettel.
»Wir werden ein Make-up auf Naturbasis benutzen, darin sind diese Stoffe nicht enthalten. Wussten Sie denn von Ihrer Allergie?«, erkundigte sich Mona vorsichtig, weil sie ihre Kundinnen vor einer Behandlung immer nach Unverträglichkeiten fragte und sie wusste, dass Simone das auch tat.
»Wie gesagt, meine Kosmetikerin zu Hause benutzt dieses aggressive Zeug nicht, deshalb hatte ich keine Ahnung, wie ich darauf reagieren würde. Allerdings meinte Doktor Seefeld, dass Allergien auch ganz plötzlich auftreten können«, fügte sie ein wenig kleinlauter hinzu.
»Bedauerlicherweise ist das so.«
»Wegen des Make-ups verlasse ich mich auf Sie. Ich möchte nicht noch einmal Gefahr laufen, einen Arzt aufsuchen zu müssen.«
»Ich versichere Ihnen, dass bisher noch keine meiner Kundinnen einen Arzt aufsuchen musste«, sagte Mona und vereinbarte für den Nachmittag einen Termin mit Frau Winter.
»Eine Schande ist das«, seufzte Eleonore, die auf dem Stuhl gegenüber Sebastians Schreibtisch saß und auf die schöne alte Vitrine schaute, in der die alten Medizinbücher standen, die Sebastians Vater auf Flohmärkten entdeckt hatte und sorgfältig aufbewahrte.
»Was meinen Sie, Frau Kastner?« Sebastian sah Eleonore aufmerksam an. Auch heute hatte er ihr nur versichern können, dass ihr nichts fehlte, und er fragte sich, warum sie offensichtlich darauf hoffte, dass er ihr endlich eine Krankheit verkündete, an der sie litt.
»Ich spreche davon, dass sich irgendwelche Laien erdreisten, anderen zu versprechen, dass sie durch ihre Behandlungen von einem hässlichen Entlein zum schönen Schwan werden und dabei so stümperhaft vorgehen, dass ihre gutgläubigen Kundinnen zu Schaden kommen.«
»Ehrlich gesagt, so große Versprechungen machen nur die wenigsten. Die meisten bieten ihren Kundinnen nur ein Wohlfühlprogramm an. Vielleicht sollten Sie es einmal ausprobieren.«
»Danke, nein, für solch einen Unsinn gebe ich sicher kein Geld aus. Ich wundere mich doch sehr, dass Sie mir so etwas empfehlen, nachdem sie gerade ein Opfer dieses Geschäftszweiges behandeln mussten«, entgegnete Eleonore und sah den jungen Arzt in dem weißen Poloshirt verblüfft an.
»Wenn Sie so wenig Vertrauen in diese Dinge haben, dann sollten Sie sie wirklich besser meiden. Also dann, bis zum nächsten Mal, Frau Kastner, passen Sie auf sich auf.« Sebastian erhob sich, ging zur Tür des Sprechzimmers und zog sie auf. Er bemühte sich immer, jedem Patienten genügend Aufmerksamkeit zu schenken, aber Eleonore hatte sie inzwischen ausgereizt, und er wollte sich ihre ungerechtfertigte Hetze gegen den Kosmetiksalon auch ungern länger anhören.
»Ich frage mich, warum diese Frau gar so verbiestert ist und sich derart hausbacken und ältlich gibt. Sie ist doch nur fünf Jahre älter als ihr Bruder«, stellte Gerti fest, die Sebastian einen Kaffee brachte, nachdem Eleonore gegangen war.
»Vielleicht versucht sie, trotz des geringen Altersunterschied Jonas die Mutter zu ersetzen.«
»Ich glaube kaum, dass Jonas das von ihr erwartet.«
»Nein, sicher nicht, aber sie wünscht sich, dass es so ist, weil sie keine eigene Familie hat. Sie will sich um ihn kümmern, und er soll sich um sie kümmern.«
»Deshalb die ständigen Anläufe, krank zu werden, damit er sich ihr verpflichtet fühlt?«
»Du bist eine gute Psychologin, Gerti«, lobte Sebastian seine Sprechstundenhilfe.
»Was, glaubst du, wird passieren, wenn Jonas sich irgendwann ernsthaft verliebt?«
»Dann wird eine harte Zeit auf ihn zukommen. Wenn es ihm nicht gelingt, Eleonore zu überzeugen, dass die Frau, die er liebt, ihr nichts Böses will, dann weiß ich nicht, was sie unternehmen wird. Muss er sich bereits mit diesem Problem auseinandersetzen?«, fragte Sebastian, als Gerti die Stirn runzelte.
»Möglicherweise.«
»Wer ist sie?«
»Mona Wagner.«
»Das wird nicht leicht werden, Eleonore kann Kosmetikerinnen ganz offensichtlich nicht leiden.«
»Nein, kann sie nicht.«
»Vertrauen wir mal darauf, dass Jonas es hinbekommt, und jetzt lass uns weiter machen«, sagte Sebastian und gab ihr die leere Kaffeetasse zurück.
»Ja, Chef«, antwortete Gerti lächelnd und verließ das Sprechzimmer.
*
Frau Winter war mit dem Make-up, das Mona ihr aufgelegt hatte, sehr zufrieden, und wie Sebastian gesagt hatte, ließ sich damit die Rötung der Haut gut abdecken. Simone gab Mona für den nächsten Tag frei als Dank für ihre Vermittlung und ihre Hilfe. Als Jonas Mona am Abend zu einem Spaziergang abholte, ließ er sich von ihr noch einmal Simones Missgeschick erzählen, das seine Schwester ihm bereits angedeutet hatte.
»Dann hast du also den guten Ruf des Kosmetiksalons wieder hergestellt«, erklärte Jonas, nachdem er alles gehört hatte.
»Ich hoffe es, zumindest hat Frau Winter sich wieder beruhigt.«
»Mehr kann man in diesem Fall nicht verlangen.«
Sie liefen durch den Park, der zum Hotel Sonnenblick gehörte, und setzten sich nach einer Weile auf den Rand des Springbrunnens, der umringt von Rosenbüschen auf einem weißen Kiesplatz stand.
»Deine Schwester hat sich heute Morgen nicht besonders gefreut, mich zu sehen«, sagte Mona, als Jonas sie zärtlich in den Arm nahm.
»Was meine Schwester betrifft, habe ich eine Idee. Wie wäre es, wenn du morgen am Nachmittag zu uns kommst? Wir kochen zusammen und machen auch deine Apfelküchle. Eleonore besucht morgen ihre Patentante in der Kreisstadt. Wir könnten sie mit einem Abendessen überraschen.«
»Du denkst, das würde ihr gefallen?«
»Viele Freundschaften wurden schon während eines gemeinsamen Essens geschlossen.«
»Also gut, wir können es ja versuchen«, stimmte