»Ich bevorzuge den Biergarten, ich war noch nie dort. Ich möchte endlich einmal das Honigbier frisch aus dem Fass versuchen, von dem alle immer so schwärmen.«
»Also dann, fahren wir«, sagte Jonas, dem es im Biergarten ohnehin besser gefiel als in der Hotelbar.
In der Brauerei Schwartz herrschte wie jeden Abend um diese Zeit Hochbetrieb. Die Tische im Hof des roten Backsteingebäudes waren alle belegt. Die alten Laternen, die schon seit hundert Jahren das Grundstück beleuchteten, verbreiteten ein warmes gemütliches Licht.
»Kommt, setzt euch zu uns!«, rief Anna, die mit Sebastian an einem der kleinen Tische direkt neben dem Bachufer saß.
»Wir wollen euch aber nicht stören«, sagte Jonas, weil er wusste, dass die beiden sich hin und wieder im Biergarten trafen, um berufliche Dinge zu besprechen.
»Wir haben die medizinische Sprechstunde gerade beendet«, erklärte Anna lächelnd.
»Was darf es sein?«, fragte die freundliche ältere Bedienung in dem dunkelroten Dirndl, die mit den Armen voller leerer Maßkrüge an ihrem Tisch vorbeikam, nachdem Jonas und Mona dort Platz genommen hatten.
»Zwei Honigbier, Irmi«, bat Jonas.
»Sie sind doch Mona, die junge Dame, die zur Schönheitsparty ins Dorfgemeindehaus kommt«, stellte Irmi fest. »Ich hab sie in Simones Salon gesehen, als ich neulich eine Creme dort geholt hab.«
»Kommen Sie auch zur Party?«, fragte Mona.
»Aber sicher doch«, antwortete Irmi lachend und marschierte mit ihren Maßkrügen zum Bierausschank ins Brauereigebäude.
»Ich hoffe, deinem Vater geht es gut, ich habe ihn schon eine ganze Weile nicht gesehen«, wandte sich Jonas an Sebastian.
»Er ist zu einem Freund in die Toskana gefahren und nimmt dort an einem Golfturnier teil. Wie es aussieht, wird er einen der vorderen Plätze belegen.«
»Das klingt nach einer neuen Karriere.«
»Ich glaube kaum, dass er sich ganz von der Medizin abwenden wird, dazu liebt er seinen Beruf viel zu sehr.«
»Und die Bergmoosbacher lieben ihn, obwohl inzwischen sogar die Alten davon überzeugt sind, dass der Bub vom Benedikt seine Sache recht gut macht«, zitierte Jonas die ältere Generation im Dorf, die am Anfang ihre Zweifel hatte, ob Sebastian in der Lage sein würde, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.
»Der eine oder andere traut mir aber noch nicht ganz über den Weg. Einige warten stets darauf, dass mein Vater mal wieder die Sprechstunde übernimmt, und lassen sich dann meine Diagnose von ihm bestätigen«, erzählte Sebastian amüsiert.
»Aber es scheint Sie nicht zu verärgern«, stellte Mona fest und versuchte von dem Bier, das Irmi inzwischen an ihren Tisch gebracht hatte.
»Aber nein, die Leute vermissen eben ihren vertrauten Arzt. Und was die Diagnosen betrifft, die bespreche ich ohnehin mit meinem Vater, wenn ich nur den geringsten Zweifel habe. Er kennt die Menschen hier einfach besser, und die meisten Beschwerden, die uns unsere Patienten schildern, lassen sich mit einem Gespräch heilen. Sie suchen einfach nur nach Aufmerksamkeit.«
»Was auch für Elo zutrifft, nicht wahr?«, fragte Jonas, als Sebastian ihn anschaute.
»Du weißt, dass ich dir dazu eigentlich nichts sagen darf.«
»Ich bin ihr Bruder, Sebastian.«
»Deshalb weißt du auch, was sie braucht.«
»Alles klar, danke.« Offensichtlich war seine Vermutung richtig, Eleonore wollte mehr Beachtung. Dieses Essen, das er und Mona für den kommenden Abend geplant hatten, war ein erster Schritt in diese Richtung.
»Wie ist das eigentlich mit dem Make-up für das große Abendessen zum Hochzeitstag ausgegangen?«, erkundigte sich Sebastian bei Mona.
»Die Dame war zufrieden und hat sich auf das Essen mit ihrem Mann gefreut. Sie hat sich sogar freundlich von Simone verabschiedet. Was allerdings auch Ihr Verdienst ist, sie war schon versöhnlich gestimmt, als sie aus Ihrer Praxis kam, und sie hatte leuchtende Augen, als sie von Ihnen sprach.«
»Das nennt man inzwischen im Dorf das Seefeldleuchten«, erzählte Anna lächelnd.
»Mei, eine richtige Epidemie ist das geworden«, erklärte Irmi, die an ihren Tisch kam.
»Bist du auch infiziert?«, erkundigte sich Anna.
»Freilich, es ist doch eine Epidemie, die glücklich macht«, antwortete Irmi und zwinkerte Sebastian zu.
»Wollt ihr mich verlegen machen?«
»Geh, Bub, so leicht bist du doch nicht aus der Fassung zu bringen«, entgegnete Irmi lachend. »Wollt ihr noch was?«, fragte sie in die Runde.
»Für mich nur noch ein Wasser, ich bin mit dem Auto unterwegs«, sagte Jonas.
»Wir nicht«, sagten Anna und Sebastian gleichzeitig, und genau wie Mona bestellten sie sich noch ein Honigbier.
Zwei Stunden später waren Sebastian und Mona beim Du angelangt. Er und Anna nahmen Mona, die sich durch ihre Arbeit in einer hautärztlichen Praxis qualifiziert hatte, in den Bergmoosbacher Zirkel für medizinisches Fachwissen auf, den sie an diesem Abend gut gelaunt gründeten.
»Sollten die erlauchten Herrschaften einmal eine landwirtschaftliche Beratung brauchen, dann stehe ich zur Verfügung«, erklärte Jonas, als sie sich gegen Mitternacht voneinander verabschiedeten.
»Auf dieses Angebot kommen wir sicher zurück«, antwortete Anna.
»Das tun wir«, stimmte Sebastian ihr zu und wünschte den beiden viel Glück für ihr gemeinsames Abendessen mit Eleonore, von dem sie ihm und Anna erzählt hatten.
»Irmi hatte vorhin übrigens recht«, sagte Anna, als sie und Sebastian kurz nach Mona und Jonas den Biergarten verließen.
»Womit hatte sie recht?«, fragte er und blieb unter der Straßenlaterne neben dem Eingang des Biergartens stehen.
»Dass es schwer fallen dürfte, dich verlegen zu machen«, entgegnete sie und fing seinen Blick auf.
»Du scheinst es aber gerade herauszufordern. Ich meine, wenn du mich noch länger so ansiehst.«
»Wie sehe ich dich denn an?« Sie hatte Mühe, ihre eigene Verlegenheit zu verbergen, als sie in diese hellen grauen Augen schaute, die sie stets aufs Neue faszinierten.
»Du siehst mich an, als wolltest du meine tiefsten Geheimnisse erforschen«, erwiderte er und legte seinen Arm um ihre Schultern, als sie weitergingen.
»Was du aber niemals zulassen würdest.«
»Vielleicht möchte ich nicht alle auf einmal preisgeben, aber eines nach dem anderen schon«, raunte er ihr zu, hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und zog seinen Arm wieder zurück.
Sebastian, ich werde nicht schlau aus dir, dachte sie. Da waren immer wieder diese vertrauten Momente, in denen sie sich so nah waren wie gerade eben, aber genauso schnell zog Sebastian sich auch wieder zurück. Sie wusste, dass er noch keine neue Beziehung eingehen wollte, er hatte es ihr ganz offen gesagt, aber in diesen Momenten der Nähe spürte sie, dass er sich ebenso nach ihr sehnte wie sie sich nach ihm.
*
Mona hatte den Vormittag ihres freien Tages im Schwimmbad des Hotels verbracht und sich auch einen Saunagang gegönnt, danach setzte sie sich auf den Balkon und döste ein bisschen in der Sonne. Am Nachmittag zog sie ihr Lieblingskleid an, das rosafarbene mit dem weißen Muster, das an feinblättrige Farne erinnerte, es war knielang und hatte dreiviertellange Ärmel. Sie steckte ihr Haar mit einer weißen Spange am Hinterkopf fest, zupfte ein paar Strähnchen heraus, die ihren Nacken umspielten, tuschte die Wimpern und legte einen zartrosa Lippenstift auf. Als sie sich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Kastnerhof machte, war sie noch immer