»Schau an, die junge Dame vom Land will sich auskennen, aber mit dem Zupacken wär’s dann sicher nichts, nehme ich an.«
»Eleonore, bitte, was soll das denn?«, wandte sich Jonas seiner Schwester kopfschüttelnd zu.
»Es ist doch wahr, da stehen sie in ihren feinen Klamotten im Stall und tun so, als wüssten sie, worum es geht. Das hatten wir doch schon zur Genüge.«
»Keine Sorge, ich weiß, worum es geht.« Und das werde ich dir auch beweisen, dachte Mona.
»Hallo, langsam, was soll das?!«, rief Eleonore, als Mona sich Zenzi näherte.
»Warte«, bat Jonas und hielt Eleonore am Arm fest, als sie Mona folgen wollte.
»Du hast es gleich geschafft, meine Gute, gib dir noch einmal richtig Mühe«, forderte Mona die Kuh auf, die ihren Kopf hob und sie anschaute.
Mona hatte auf dem Hof ihrer Großeltern viele Kälbchen auf die Welt kommen sehen und auch oft mit angepackt, wenn Hilfe gebraucht wurde. Diese Handgriffe waren keine große Herausforderung für sie. Beherzt fasste sie auch dieses Mal im richtigen Moment zu und erleichterte Zenzi die Geburt des Kälbchens.
»Noch immer Zweifel daran, dass sie es kann?«, wandte sich Jonas seiner Schwester zu.
»Glück hat sie gehabt«, murmelte Eleonore, während sie sich über das Kalb beugte, sein Gesicht mit Wasser reinigte und nachschaute, dass es auch richtig Luft bekam.
»Ich hoffe, ich konnte Sie überzeugen, dass ich nicht nur eine feine Dame bin«, sagte Mona, die sich neben Eleonore hockte und das Kalb mit Stroh trockenrieb.
»Sie müssen mich von gar nichts überzeugen. Sie sind nur eine Kundin, die bei uns einkauft, mehr haben wir nicht miteinander zu tun.« Eleonore sprach so leise, dass Jonas, der Zenzi nach dieser Anstrengung mit Wasser und ein paar Möhren versorgte, es nicht hörte.
»Wir sollten die beiden nun allein lassen«, sagte Jonas.
»Sollten wir«, stimmte Eleonore ihm zu und bedeutete Mona, sich zu entfernen.
Mona fragte sich, warum diese Frau so biestig zu ihr war, während sie sich die Hände über dem Waschbecken wusch. Sie hatte ihr doch gar nichts getan.
»Da du dem Kleinen auf die Welt geholfen hast, könntest du ihm auch einen Namen geben«, schlug Jonas Mona vor.
»Da es ein Mädchen ist, wie wäre es mit Aurelia, die Schöne?«
»Eine Aurelia hatten wir bisher noch nicht. Was meinst du, Eleonore?«
»Ein Name ist so gut wie der andere.«
»Gut, dann heißt Zenzis Tochter Aurelia, und darauf stoßen wir jetzt zusammen an«, verkündete Jonas.
»Wo und mit was willst du anstoßen?«, fragte Eleonore.
»Wir setzen uns auf die Terrasse und trinken ein Glas von unserem Brombeerwein. Vorher brauchst du aber etwas anderes zum Anziehen«, stellte Jonas mit einem Blick auf Monas Kleid fest, das bei ihrer Geburtshilfe ein wenig gelitten hatte.
»Von mir passt ihr nichts«, erklärte Eleonore.
»Wir finden schon etwas, bis gleich, Elo«, sagte Jonas.
»Nein, Herzl, so leicht geht das hier nicht, einfach mit Volldampf an mir vorbei und ihn beeindrucken wollen. Dich werd ich schon ausbremsen, darauf kannst du dich verlassen«, schimpfte Eleonore, nachdem Mona und Jonas gegangen waren.
»Das ist ein hübsches Kleid«, sagte Mona und schaute auf das blauweiß gestreifte Hemd, das Jonas ihr gegeben hatte.
Es reichte ihr fast bis zu den Knien und würde seinen Dienst tun, bis sie ihr Kleid wieder anziehen konnte, das Jonas in die Waschmaschine gesteckt hatte und das danach in den Trockner wandern würde.
»Dann musst du mich aber noch eine Weile beherbergen«, hatte sie gesagt, als er sich nicht davon abbringen ließ, ihr Kleid zu reinigen.
»Das empfinde ich nicht als Strafe«, hatte er geantwortet, und der Blick, mit dem er sie dabei angesehen hatte, jagte ihr einen heißen Schauer über den Rücken.
Jonas holte eine Flasche von dem Brombeerwein aus dem Keller, füllte etwas Honiggebäck in eine Glasschale, und sie setzten sich in die bequemen Korbstühle draußen auf der Terrasse.
»Wenn ich nicht wüsste, dass dort irgendwo noch ein Dorf ist, dann könnte ich glatt glauben, dass dieses Haus weit und breit das einzige ist.« So weit sie sehen konnte, gab es nur Weizenfelder, Wiesen und Bäume.
»Die meisten Leute fühlen sich hier auch nach kürzester Zeit wie abgeschnitten von der Welt«, antwortete Jonas nachdenklich.
»Ich finde es schön hier draußen, es beruhigt die Seele.«
»So empfinde ich das auch«, stimmte Jonas ihr zu. »Ich fand es vorhin übrigens beeindruckend, wie entschlossen du Zenzi geholfen hast.«
»Für mich war es etwas ganz Normales«, sagte sie und erzählte ihm von dem Bauernhof ihrer Großeltern. »Die beiden hatten gehofft, dass ich den Hof irgendwann einmal übernehme, aber als kleine Bauern konnten sie dem Preiskampf mit den großen Konkurrenten auf Dauer nicht standhalten. Sie haben ihre Äcker verkauft und nur den Garten behalten, mit dem sie sich selbst versorgen können. Zusammen mit ihrer Rente kommen sie ganz gut zurecht und müssen sich nicht mehr so plagen.«
»Was ist mit deinen Eltern?«
»Meine Eltern haben als Hoteltester für ein Reiseunternehmen gearbeitet. Sie sind vor drei Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen.«
»Das tut mir leid.«
»Was ist mit deinen Eltern?«
»Ein Autounfall vor fünf Jahren, aber wir wollten doch auf ein neues Leben anstoßen«, sagte Jonas und füllte die drei Gläser, die auf dem Tisch standen, mit Brombeerwein.
»Stoßen wir also an.« Eleonore kam in einer sauberen Kittelschürze und ohne Kopftuch zu ihnen auf die Terrasse und musterte Mona aufmerksam.
»Auf Aurelia«, sagte Jonas und stieß zuerst mit Mona und erst danach mit Eleonore an.
»Sie arbeiten in Simones Kosmetiksalon, wie ich hörte«, sprach Eleonore Mona auf ihre Arbeit an, nachdem sie sich in den Korbstuhl neben ihren Bruder gesetzt hatte, während Mona ihm gegenüber saß.
»Gehören Sie zu Simones Kundinnen?«
»Für diesen Unsinn habe ich keine Zeit. Ich habe noch nie verstanden, warum sich jemand diese Chemiecocktails ins Gesicht schmiert, die mehr schaden als nützen.«
»Mona bevorzugt natürliche Mittel, die sie aus den Kräutern herstellt, die wir ihr liefern, wie du weißt«, entgegnete Jonas seiner Schwester.
»Aus einem Aschenbrödel wird so oder so aber keine Prinzessin, auch wenn manch eine das glauben will«, erklärte Eleonore trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Sich ein wenig verwöhnen zu lassen, das tut auch der Seele gut. Kommen Sie doch einfach mal zu uns und probieren Sie es aus«, forderte Mona Eleonore freundlich auf.
»Wie gesagt, dafür ist mir meine Zeit zu schade«, antwortete Eleonore, wandte sich wieder ihrem Bruder zu und verwickelte ihn in ein Gespräch über die bevorstehende Apfelernte. Sie tat ganz wichtig und ließ es nicht zu, dass er Mona in die Unterhaltung miteinbezog.
»Ich nehme mein Kleid selbst heraus, wenn ich darf«, sagte Mona, als der Trockner, der in der Küche stand, piepte und das Ende des Trockenvorgangs ankündete.
»Nur zu«, forderte Eleonore sie auf.
»Du könntest ruhig ein bisschen freundlicher zu ihr sein«, raunte Jonas seiner Schwester zu, nachdem Mona in die Küche gegangen war.
»Soll