Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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stand eine Frau.

      Sie ließ sich durch ihn nicht stören und musterte den Innenraum mit einem ähnlich prüfenden Blick, wie er es vorhin getan hatte. Leander wurde ärgerlich. Er fühlte sich aus seiner Arbeit herausgerissen und beobachtet, und das schätzte er überhaupt nicht! Da er sich in einer Kirche befand, konnte er nicht einfach von der Empore zu ihr herab rufen, sondern ging die Treppe hinunter und durch den Mittelgang auf sie zu.

      Es war eine ungewöhnliche Frau, die dort stand und ihm ruhig entgegen schaute. Sie war sehr zart und wirkte fast zerbrechlich. Wahrscheinlich stammte sie aus dem Süden, denn ihre Haut hatte einen warmen Ton, und die Augen und die fein geschwungenen Brauen waren tief dunkel. Sie hatte exakt geschnittenes, kinnlanges Haar von auffälliger Farbe. Das ursprüngliche Schwarz lag nur noch als Ahnung unter schimmerndem Silber. Zu ihrem jungen Gesicht und der zierlichen Figur bot dieses aparte Silbergrau einen reizvollen Kontrast.

      Bekleidet war sie mit einer schmalen Jeans, einem knappen schwarzen Blazer und einem opulenten Schal aus dunkelroter Seide mit Rosenmuster. Leanders Künstlerauge sah sofort, dass diese Blüten handgemalt waren. Ihre schmalen Hände schmückten zwei moderne Silberringe mit grünem Stein.

      Er fand diese Frau apart, wunderschön und äußerst störend.

      »Äh, bitte, hätten Sie nicht gemeinsam mit den anderen gehen können?«, fragte er gereizt.

      Die dunklen Augen musterten ihn ruhig. »Nein«, erwiderte sie. Ihre Stimme war Gesang.

      »Ich, äh, ich möchte arbeiten und das kann ich am besten, wenn ich ungestört bin!«, sagte er einigermaßen beherrscht.

      »Genau wie ich«, kam die sachliche Antwort.

      Leanders Kopfhaut begann zu prickeln. Wie so viele Menschen, die ganz in ihrer Arbeit aufgehen, verlor er manchmal den Anschluss ans wirkliche Leben. Er konnte vergessen, dass es außerhalb der Musik und des Orgelbaus noch anderes Wichtiges gab, das Menschen beschäftigte.

      »Dann lassen Sie sich doch bitte nicht aufhalten!«, sagte er ungeduldig.

      »Keineswegs!«, antwortete die Fremde, wandte ihren Blick von ihm ab und ließ ihn wieder konzentriert durch das Kirchenschiff schweifen.

      Leander hielt die Luft an, zählte innerlich bis zehn und sagte dann sehr deutlich: »Ich habe hier zu arbeiten und möchte dabei ungestört sein!«

      Jetzt erschien eine steile Falte auf der glatten Stirn der jungen Frau. »Dann arbeiten Sie doch!«, entgegnete sie verärgert. »Ich habe weder vor, hier für ein Rockkonzert zu proben, noch einen Jazz-Dance einzustudieren. Sie können sich also weiter mit Ihrer Orgel befassen, wo ist eigentlich das Problem?«

      »Das Problem sind Sie!«, antwortete er prompt.

      Die Frau zuckte kühl die Achseln und ging zu dem Teil der Wand hinüber, die bereits neu getüncht worden war. Suchend glitten ihre Fingerspitzen über den weißen Farbaufstrich, sie wirkte hochkonzentriert und beachtete Leander nicht weiter.

      Bitte, sollte sie! Was immer sie hier tat, es schien keinen Lärm zu verursachen, und sie ließ auch nicht mehr diesen irritierend intensiven Blick durch den Raum schweifen. Leander ging zur Empore zurück und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Es war so, wie er befürchtet hatte: die Restaurierung würde wesentlich aufwändiger sein und viel länger dauern als geplant.

      Dass ihm jetzt auch noch eine Schönheit mit schwarzen Augen durch den Sinn geisterte, machte es nicht gerade einfacher.

      *

      Im Doktorhaus stand Emilia auf der Terrasse und schaute zufrieden auf den großen Tisch, den die Familie eben gemeinsam gedeckt hatte. Auf dem weißen Leinentuch standen der Korb mit frischem Brot, in das getrocknete Tomaten eingebacken waren, gewürzte Butter, Feldsalat mit Walnüssen und Orangen, verschiedene Käsesorten und ein Wacholderschinken aus Bergmoosbachs bester Räucherkammer. Sollte das den Geschmack der Gäste nicht treffen, lagen natürlich auch Weißwürste und Brezen in Traudels Vorräten bereit. Als Dessert lockten selbst gemachtes Schokoladeneis, nach dem man süchtig werden konnte, und Bayerische Crème mit Himbeersauce.

      »Das ist alles so lecker! Hoffentlich kommen die Gäste bald, damit wir anfangen können zu essen«, meinte Emilia ungeduldig. »Papa, woher kennst du diesen Orgelbauer eigentlich?«

      »Aus dem Krankenhaus«, antwortete Sebastian Seefeld. »Das war eine sehr dramatische Geschichte. Leander hat eine ältere Schwester, an der er sehr hängt. Sie hat ihr erstes Kind durch eine Totgeburt verloren und ist vor Kummer sehr krank geworden. Alles deutete auf einen Herzinfarkt hin, und die Patientin sollte entsprechend behandelt werden. Ich habe noch eine weitere Untersuchung veranlasst und dabei zeigte sich, dass die Frau gar keinen Herzinfarkt gehabt hatte.«

      »Sondern das ›Gebrochenes-Herz-Syndrom‹?«, fragte der Doktor Benedikt Seefeld, sein Vater, interessiert.

      »Was ist das denn? Gibt es wirklich eine Krankheit, die so heißt?«, erkundigte sich Emilia.

      »Ja«, erklärte Sebastian seiner Tochter weiter. »Sie ist noch weitgehend unbekannt. Wenn man einen großen seelischen Schmerz erlitten hat, so wie Leanders Schwester durch den Verlust ihres Babys, dann kann das Herz unter diesem enormen Stress so krank werden, dass es sich anfühlt und aussieht wie ein Herzinfarkt. Und wenn das dann falsch behandelt wird, kann es lebensgefährlich sein.«

      »Mann! Das ist ja krass!«, erwiderte Emilia betroffen. »Dann ist es also nicht nur so eine dramatische Redensart, dass jemand an gebrochenem Herzen gestorben ist?«

      »Nein, offensichtlich nicht«, antwortete ihr Vater und beendete mit einem liebevollen Lächeln das Gespräch. Er wollte nicht, dass Emilia sich mit einem so ernsten Thema weiter belastete.

      Aber seine Tochter musste unbedingt noch etwas wissen: »Papa, was ist dann aus der Schwester dieses Leander geworden? Ist sie wieder gesund?«

      »Ganz und gar!«, konnte der Arzt seine mitfühlende Tochter beruhigen. »Sie hat inzwischen ein gesundes Baby zur Welt gebracht, einen kleinen Jungen. Und nun rate mal, wie der heißt!«

      »Na, Sebastian, natürlich!«, sagte Traudel im Brustton der Überzeugung. Sie fand, das sei ja wohl das Mindeste, was man für ihren Bub tun konnte, nachdem er das Leben der Mutter gerettet hatte!

      Sebastian lachte und drückte ihr einen festen Schmatzer aus die Wange. »Ja, ja, du hast halt ein Genie großgezogen!«, meinte er mit einem Augenzwinkern.

      »Hier, du Genie! Dann schnapp dir doch bitte mal unseren neuen, angeblich so perfekten Korkenzieher und öffne die Weinflaschen!«, sagte Benedikt Seefeld und drückte seinem Sohn die Flasche in die Hand.

      Unter viel Gedrehe und Gezerre an dem widerspenstigen Teil gelang es dem jungen Doktor schließlich, den Korken zu ziehen, und der aromatische Rote konnte in die Karaffe umgefüllt werden. Keinen Augenblick zu früh, denn soeben knirschten Schritte auf dem Kiesweg, und Leander kam über den Gartenweg zum Haus. Es gab ein lebhaftes Wiedersehen zwischen den Männern, der Rest der Familie wurde vorgestellt, und dann setzte man sich an den Tisch. Leander zeigte sich von der Schönheit des alten Doktorhauses und des prachtvollen Gartens beeindruckt und gewann damit sofort Traudels Sympathie.

      »Unser zweiter Gast ist aufgehalten worden und bittet um Entschuldigung«, sagte Sebastian. »Es gab Lieferschwierigkeiten bei einigen ihrer Utensilien, aber sie beeilt sich und wird gleich hier sein. Bis dahin lasst uns auf das Wiedersehen und auf das gute Gelingen deiner Arbeit anstoßen, Leander.«

      In den feinen Klang der Gläser, die einander berührten, mischte sich das Geräusch leichter Schritte, die über den Kiesweg eilten. »Bitte entschuldigen Sie nochmals die Verspätung!«, sagte die junge Frau, welche jetzt die Terrasse betrat.

      Apart. Silbergraue Haare und nachtschwarze Augen. Leander schluckte. Sie war der Störenfried aus der Kirche.

      Sebastian hatte sich erhoben. »Wie schön, dass Sie jetzt bei uns sind!«, sagte er freundlich. »Darf ich vorstellen? Das ist Sophia Corelli, die Künstlerin aus der Toskana, welche bei uns in der Kirche das übermalte Fresko retten wird.«

      Die