Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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interessante Tochter haben Sie!«, stellte Sophia fest. »Fußball und Kunstinteresse.«

      »Ja, nicht wahr?« Das war unüberhörbar der stolze Vater. Dann glitt sein Blick über Sophias schmales Gesicht, das jetzt von Müdigkeit gezeichnet war. »Wann haben Sie eine Pause eingelegt? Sind Sie etwa seit heute Morgen hier mit kaltem Wasser beschäftigt? Sie sehen aus, als könnten Sie eine kleine Abwechslung vertragen. Wollen wir zusammen ein Stündchen durch die Sonne gehen? Ich versuche, das regelmäßig zwischen den Sprechzeiten zu tun, und es bekommt mir sehr gut.«

      Sophia Corelli war der Typ, der ungern seine Arbeit unterbricht, und oft konnte sie sich bis zur Erschöpfung in ihrem Atelier verlieren. »Danke, ich komme gern mit!«, hörte sie sich zu ihrem eigenen Erstaunen sagen. Sebastian und sie gingen auf die weit geöffneten Kirchentüren zu, und im Vorbeigehen winkte der Landdoktor einen freundlichen Gruß zur Orgelempore hinauf, auf der Leander saß.

      Der Orgelbauer trat ein wenig heftiger, als es eigentlich nötig gewesen wäre, auf das Pedal, welches einen besonders schrägen Ton von sich gab. Das, was die Orgel im Augenblick hergab, klang alles andere als harmonisch. Es war die perfekte Untermalung zu seinen düsteren Gedanken. Als Dank dafür, dass Sophia ihm gestern ihr Badezimmer überlassen hatte, hatte er sie heute Abend zu sich in den alten Landfahrerwagen einladen wollen. Einige italienische Spezialitäten und einen guten Wein hatte er schon besorgt, ebenso weiße Kerzen, und er hatte einen Krug mit Gräsern und dunkelrotem Mohn gefüllt. Daraus wurde ja nun nichts, Sophia würde abends mit Sack und Pack beim hilfsbereiten Herrn Doktor einziehen.

      »Jesses!« Afra, die unten im Altarraum mit dem Blumenschmuck beschäftigt war, zuckte zusammen. »Ich hab gar nicht bemerkt, dass die Orgel dermaßen verstimmt ist!«

      Regina, die Haushälterin des Herrn Pfarrer, nickte. »Ja, irgendwie klingt sie heute wirklich grauslig, das ist mir sonst nicht so aufgefallen.«

      Beide Damen beeilten sich mit dem Blumenschmuck, um den Misstönen, welche das Kirchenschiff durchzogen, schnell zu entkommen.

      Auf dem Kirchplatz hob Sophia genießerisch ihr Gesicht ins Sonnenlicht. »Wie gut die Wärme tut!«, seufzte sie. Im Gehen zog sie ihre dicke, handgestrickte Jacke aus und rollte die Ärmel ihres Langarmshirts hoch. Sie wollte so viel Sonne wie möglich auf der Haut spüren.

      Sebastian lachte leise. »Wissen Sie, woran Sie mich erinnern? An eine elegante, schwarze Katze, die sich in der Sonne ein warmes Plätzchen sucht.«

      »Ein hübsches Bild.« Sophias Stimme war freundlich und verriet nichts von der leichten Unsicherheit, die sie empfand. Sie war Komplimente gewohnt, südländische Männer gingen verschwenderisch damit um. Aber das, was dieser Doktor sagte, klang anders. Es war besonders und alltäglich in einem. Wie ein bestimmter Farbtupfer auf der Leinwand, der für sich genommen gar nicht ins Auge fällt, aber dem ganzen Bild einen besonderen Glanz verleiht.

      Sophia beobachtete den jungen Landdoktor bei ihrem Spaziergang und hörte mehr zu, als dass sie selbst erzählte. Immer wieder wurde Sebastian Seefeld gegrüßt, manche verwickelten ihn sofort in Gespräche über ihre alltäglichen Sorgen. Die junge Frau registrierte, wie freundlich und ernsthaft er auf die Menschen einging, jedoch ohne sich zu sehr mit Beschlag belegen zu lassen.

      »Wie machen Sie das nur?«, fragte sie bewundernd.

      »Machen? Was denn?«

      »Dass Sie so offen und zugewandt sind, ohne sich von den Menschen schlucken zu lassen«, antwortete sie nachdenklich. »Ich meine, das hier ist doch Ihre Mittagspause! Sogar dann haben Sie keine Ruhe, sondern werden immer wieder angesprochen. Und Ihr Interesse bleibt echt, selbst nach dem zehnten ›Grüß Gott, Herr Doktor, ich hätt da mal eine Frage …‹ und dabei wollten Sie doch einfach nur spazierengehen.«

      Sebastian schmunzelte. »Ich mag die Menschen, und das spüren sie. Wenn ich nur meine Ruhe haben will, dann darf ich nicht zu dieser Zeit durchs Dorf gehen, da müssen es dann stille Waldwege sein.«

      Auf dem Marktplatz stand ein alter, viereckiger Brunnen, auf dessen steinerne Einfassung sich die beiden setzten und sich ein Eis schmecken ließen. Nolan, der einen Kumpel aus der Hundeschule entdeckt hatte, überschlug sich schier vor Freude und tobte ausgelassen auf dem Platz herum. Inmitten des Arbeitstages und der sommerlichen Betriebsamkeit des Ferienortes fühlte Sophia sich wie auf einer freundlichen, kleinen Insel. Überrascht stellte sie fest, dass sich ihre dumpfen Kopfschmerzen verzogen hatten, und auch die schmerzhafte Verspannung zwischen den Schulterblättern hatte sich gelöst.

      »Sie sind wirklich ein guter Doktor!«, sagte sie unvermittelt.

      »Wie bitte?« Überrascht schaute Sebastian sie an.

      Sophia schüttelte nur den Kopf, pflückte eine tiefrote Geranienblüte vom Brunnenrand und steckte sie in ihre Haare. »Ach, nichts, ich habe nur laut gedacht«, antwortete sei. »Jetzt sollte ich weitermachen, damit ich noch ein gutes Stück des Wandgemäldes freilegen kann. Wir sehen uns dann heute Abend?«

      »Bis dahin«, nickte Sebastian.

      Er schaute ihr hinterher, als sie mit leichten Schritten zurück zur Kirche ging. Die dunkle Strickjacke wippte beim Gehen in ihrer Hand, und das Letzte, was Sebastian von ihr sah, war das Leuchten der kirschroten Blüte in ihren Haaren.

      Als Sophia den Kirchraum betrat, bemerkte sie dankbar, dass jemand, vielleicht der Küster, ihren Wasserkanister frisch aufgefüllt und das Gefäß mit dem Schmutzwasser geleert hatte. Sie wollte schon in ihre Gummihandschuhe schlüpfen, als ihr Sebastian Seefelds Bemerkung von der schwarzen Katze durch den Kopf schoss. Sophia lachte amüsiert auf, griff nach ihrem Skizzenblock und einem Kohlestift und entwarf mit wenigen, gekonnten Linien genau das, wovon der Mann gesprochen hatte.

      Männliche Schritte ließen sie aufblicken und sie bemerkte Leander, der mit dem zweiten Wasserkanister aus der Sakristei kam. »Sie haben an frisches Wasser gedacht?«, fragte sie überrascht. »Das ist nett, danke sehr!«

      Der Orgelbauer nickte. »Ich brauchte mal eine kleine Pause«, sagte er nur. Sein Lächeln war freundlich, aber zurückhaltend.

      Die Leichtigkeit, die Sophia auf dem Spaziergang mit dem Landdoktor empfunden hatte, hallte noch in ihr nach, und mit einer spontanen Bewegung löste sie das Bild aus ihrem Skizzenblock. »Hier bitte, ein kleines Dankeschön fürs Wassertragen!«

      Überrascht schaute Leander auf die Zeichnung. Es war eine Skizze, und sie war perfekt: wenige Striche deuteten einige alte Steinplatten an, auf denen eine schwarze Katze ruhte. Die Haltung des Tieres war königlich und zugleich völlig entspannt. Obwohl auf dem Bild keine Sonne zu sehen war, schien genau deren Wärme von dem Tier eingefangen und an den Betrachter abgegeben zu werden.

      »Das ist wundervoll!«, sagte Leander in aufrichtiger Bewunderung. »Man hält Sonnenlicht in den Händen.«

      Wortlos schaute sie in Leanders dunkle Augen, und ihr Herz öffnete sich vor seinem Einfühlungsvermögen und Verständnis.

      Der Mann räusperte sich unter ihrem intensiven Blick. »Sie, äh, Sie haben inzwischen eine Bleibe gefunden, habe ich gehört. Heute sind Sie sicher mit Ankommen und Eingewöhnen beschäftigt, aber haben Sie vielleicht morgen Abend Zeit? Ich würde Sie gern in meinen alten Landfahrerwagen einladen, wenn Sie mögen. Als Dank, dass Sie mir Ihr Badezimmer zur Verfügung gestellt haben.«

      »Wie schön! Ich bin gespannt darauf, Ihr ungewöhnliches Zuhause kennenzulernen!«, freute Sophia sich.

      Leander nickte und wandte sich wieder seinen Aufgaben zu. Jetzt lächelte er, und die Töne, die unter seinen Händen entstanden, klangen deutlich leiser und harmonischer als noch vor kurzem.

      *

      »So, und das hier ist Ihr Zimmer.« Einladend wies Traudel auf die geöffnete Tür. Die Restauratorin betrat den Raum und lächelte.

      Heller Holzfußboden und Sprossenfenster mit schlichten, weißen Baumvollstoffen. Ein Bauernbett mit Leinenbettwäsche, daneben ein gemütlicher Sessel mit Beistelltisch und einer edlen Designerlampe zum Lesen. Alt und Modern ergänzten sich zu einer ruhigen Einheit. Auf dem tiefen Fensterbrett leuchtete