Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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und begann mit der Untersuchung.

      Später stand er ein ganz klein wenig schuldbewusst in der Küche und informierte Traudel darüber, dass er spontan einen Gast eingeladen hatte, was natürlich Mehrarbeit für die gute Seele des Doktorhauses bedeutete. Traudel winkte lächelnd ab. Sie hatte den Haushalt gut im Griff und war Übernachtungsgäste gewohnt, das bedeutete keine große Sache für sie.

      »Aber sag‘ mir eines, Bub. Warum hast du die fremde Signora eingeladen, bei uns zu wohnen? Warum nicht den Orgelbauer, der doch ein Bekannter von dir ist?«

      »Ich …«, Sebastian stutze überrascht. »Keine Ahnung, Traudel. Es ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen.«

      »Na, macht ja nichts, es war einfach nur eine Frage. Ich richte gleich das Zimmer her«, lächelte sie.

      »Danke, du bist die Beste!« Sebastian drückte seiner Ersatzmama einen liebevollen Kuss auf die Wange und verschwand wieder in der Praxis. Die Frage, die Traudel ihm eben gestellt hatte, geisterte noch durch seinen Kopf, aber sie wurde schnell verdrängt durch die heftige Mandelentzündung der kleinen Marei, die seine nächste Patientin war.

      Im Spiegel an der Orgel konnte Leander die junge Künstlerin beobachten. Er versuchte sehr, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, fühlte sich aber immer wieder abgelenkt. Halb verärgert, halb über sich selbst amüsiert beschloss Leander, eine kleine Pause einzulegen und seine Kollegin zu begrüßen. Er füllte zwei Becher mit duftendem Orangentee und stieg hinunter zu Sophia, die seit geraumer Zeit damit beschäftigt war, vorsichtig den alten weißen Farbanstrich zu entfernen.

      »Guten Morgen!«, grüßte er und reichte der jungen Frau einen Becher. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie jetzt lieber Tee als Kaffee trinken?«

      Sie lächelte. »Ihr Gefühl ist richtig, ich trinke sehr gern Tee. Nur manchmal ziehe ich einen starken Espresso vor.« Ihr Blick glitt durch das Kirchengewölbe, dessen Weiß und Gold im Sonnenlicht aufleuchtete. Sie zog ihre Gummihandschuhe aus und umfasste, dankbar für die Wärme, mit beiden Händen den Becher. »Wir haben zwar Sommer, aber in Kirchen ist es trotzdem immer kühl, und ich arbeite mit kaltem Wasser, da tut etwas Warmes gut. Danke für den Tee!« Sie setzte sich auf das Gerüst und baumelte mit den Beinen. »Haben Sie gut geschlafen in ihrem Allzweckwagen?«

      »Danke, sehr gut; ich bin es gewohnt«, antwortete er. »Es ist schön dort oben unter dem gewölbten Dach, und ich habe ein Fenster eingebaut. Vom Kissen aus kann man direkt in die Sterne schauen.«

      »Letzte Nacht war es bewölkt«, stellte Sophia nüchtern fest.

      »Ich habe nicht die letzte Nacht gemeint!«, konterte Leander.

      Darauf fiel der jungen Frau nicht sofort die passende Antwort ein, und sie schwieg. Wie so oft in letzter Zeit. Schließlich wechselte sie das Thema von Sternennächten zur Notwendigkeit, ein Quartier zu finden. »Es war nett von Ihnen, mir Ihr Zimmer zu überlassen, aber natürlich gehört es ab heute Ihnen. Ich habe mein Gepäck in mein Auto getragen, Sie können gleich einziehen.«

      »Denken Sie an das, was dieses reizende Wesen an der Rezeption gesagt hat: in der Hochsaison ist hier alles ausgebucht«, gab Leander zu bedenken. »Ich habe doch meinen Wagen zum Schlafen.«

      Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Auf Dauer ist das keine Lösung, ich werde schon ein Zimmer finden«, sagte sie bestimmt.

      Leander stand an das Gerüst gelehnt, auf das er die Ellbogen gestützt hatte. Er war ihr so nahe, dass ihr warmer Atem sein Gesicht streifte, als sie ihm den Teebecher zurückgab. Fasziniert schaute er in ihre ungewöhnlichen Augen. Sie waren tatsächlich schwarz und schienen von einer unauslotbaren Tiefe zu sein. Alles an dieser Frau wirkte zart, fast zerbrechlich, begonnen bei den feinen Gesichtszügen bis zu ihrer unwirklich schlanken Figur, und gleichzeitig spürte Leander eine Kälte in ihr, die ihn an eine scharf geschliffene Klinge denken ließ.

      Wer bist du, Sophia Corelli, unter dem Schutzschild deiner perfekten, kühlen Schönheit?, dachte er.

      Die junge Frau sprang vom Gerüst und streifte wieder ihre Gummihandschuhe über. »Also, Ihr Zimmer gehört Ihnen, und ich muss jetzt weiterarbeiten«, sagte sie bestimmt.

      Er nickte schweigend und ging zurück zur Orgelempore. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er die schmale Gestalt in weißer Latzhose vor einer Wand, von der behutsam, Schicht um Schicht, das glatte Weiß abgetragen wurde, um die Bilder freizulegen, die darunter lagen. Sehr nachdenklich setzte Leander sich an die Orgel und widmete sich wieder seiner Arbeit.

      *

      »Danke, Traudel, dein Essen war mal wieder fantastisch!« Zufrieden schob Sebastian Seefeld seinen geleerten Teller zur Seite und griff zu den Dessertschalen. Es hatte geeiste Erbsensuppe gegeben und frisch gebackenes Walnussbrot mit Butter, und nun wartete eine französische Pfirsichtarte auf die Leckermäuler rund um den Tisch im Doktorhaus. »Ich weiß, dass du mit Liebe kochst, Traudel, aber es macht eben auch viel Arbeit. Geht es wirklich in Ordnung, dass ich dir jetzt auch noch auf unbestimmte Zeit einen Hausgast zumute?«

      »Das ist keine Zumutung, sondern es macht mir Spaß«, stellte Traudel richtig.

      »Ein Hausgast? Wen hast du denn eingeladen, Papa?«, erkundigte sich Emilia vorsichtig. Bei ihrem Vater konnte man nie wissen, wer kam: von durchgeistigten Professoren, die bei Tisch die absonderlichsten Dinge diskutierten, bis hin zum Studienkumpel mit seiner flippigen Freundin war alles möglich.

      »Sophia Corelli, die italienische Malerin«, informierte Sebastian seine Familie.

      »Wie cool!«, freute sich Emilia. »Wann kommt sie denn?«

      »Ich denke, heute Abend. Ich gehe gleich noch in der Kirche vorbei und spreche selbst mit ihr. Inzwischen hat Frau Sonnleitner ihr zwar sozusagen als Wiedergutmachung unsere Einladung überbracht, aber ich möchte es auch persönlich tun.«

      »Ich geh mit«, entschied Emilia. »Ich muss sowieso zum Training, und die Kirche liegt auf dem Weg.«

      Vater und Tochter machten sich mit dem verspielten Junghund Nolan auf den Weg hinüber zur alten Kirche. Dabei redete Emilia wie ein kleiner Wasserfall, registrierte ihr Vater schmunzelnd. Die Anwesenheit der jungen Frau schien seiner Tochter gut zu tun.

      Die Kirche empfing die beiden Besucher mit ihrer gewohnten barocken Pracht, der auch das Gerüst und Handwerksgegenstände nichts von ihrer Schönheit nahmen. Nach der Sommerhitze draußen empfanden Vater und Tochter die Kühle unter dem steinernen Gewölbe als angenehm, und Nolan streckte sich im Vorraum zufrieden auf den Steinplatten aus.

      »Doktor Seefeld!« Die italienische Malerin wandte sich zu ihm um, und ihr Gesicht leuchtete auf. »Wie nett von Ihnen, mir ein Quartier anzubieten! Frau Sonnleitner hat es mir schon gesagt, und im Hinblick auf die ausgebuchten Zimmer komme ich gern.«

      »Oh!« Es war nicht eindeutig herauszuhören, ob die Enttäuschung in diesem Ausruf gespielt war oder echt. »Nur im Hinblick auf die ausgebuchten Zimmer?«, lächelte Sebastian.

      »Natürlich nicht!«, versicherte Sophia. Sie musste den Kopf ein wenig anheben, um dem Mann in die Augen schauen zu können, Sebastian Seefeld war deutlich größer als sie. Und er hatte, wie sie überrascht feststellte, eine Art zu lächeln, die sie traf wie eine sanfte Berührung.

      »Wir alle freuen uns auf Sie«, sagte er aufrichtig.

      Emilia war inzwischen an die Wand getreten und begutachtete die Fläche, welche die Restauratorin bisher freigelegt hatte. »Ich finde das so spannend!«, sagte sie. »Wenn man sich mal vorstellt, dass genau hier vor Hunderten von Jahren ein anderer Künstler gestanden und das alles gemalt hat, was jetzt langsam wieder ans Licht kommt. Dass wir jetzt wieder erkennen können, was er sich beim Malen gedacht hat. Wie es wohl aussieht, wenn Sie fertig sind!«

      »Du interessierst dich für Kunst?«, fragte Sophia. Sie freute sich über die Art, in der das junge Mädchen von dem Wandgemälde sprach, und über ihre Gedanken zur Malerei.

      »Natürlich!«, antwortete Emilia, als wäre das für eine Vierzehnjährige ganz selbstverständlich. »Tut mir leid, aber jetzt muss ich los zum Fußballtraining.