Nachdem er so mit sich ins reine gekommen war, lachte er befriedigt, rieb sich die Hände, zog den Kopf zwischen die massigen Schultern und trat durch das kleine Türchen in den Hof. Der Himmel glühte in einem schimmernden Blaugrün, in dem lange, ausgefranste, brennend rote Streifen lagen.
»Verknucht, 's is ja Abend!«
Noch hatte er seit dem Frühstück nichts gegessen.
Er stellte sich, als habe er geschlafen. Seine Augen reibend, trat er in die Stube und verlangte unter Gähnen zu essen.
Sein Weib saß am Tisch, ihr Gesicht der dämmrigen Stube zugewandt. An ihrer Stimme erkannte man, daß sie geweint habe; es war, als klebten die Worte aneinander.
»Ja, du willst essen?« fragte sie in schmerzlichem Verwundern.
Der Lahme ließ sich schwer auf die Bank fallen und antwortete gutgelaunt:
»Nu'ch, ich ha doch keen hölzernen Magen. Wenn ich au geschlafen hab'; der Hunger is doch gekommen.«
»Du hast geschlafen, du?«
»Nu, darf ich denn nich?«
»Ach dürfen schon, aber können!«
»Können, ich dächt', daß ich's kann«, und der Klumpen begann laut zu schnarchen.
»Karla, wenn ich nich of dr Stelle verrückt wern soll, hör uf zu schnarchen!« rief sie verzweifelt und begann zu schluchzen.
»Ihr Weiber könnt eben nischt wie flerrn un Kinder kriegen.«
»Soll ma da etwan noch tanzen? Draußen eim Borne liegt der Schuster. Un ich weeß nich, erschlag' mich of'm Flecke, du bist schuld.«
Der Lahme saß eine Weile stumm da, den einen Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und sah vor sich hin. Dann lachte er verächtlich hinaus.
»Haha, mußt du denn au verrückt sein, wenn de Steindorfer Leute um a Verstand komm', durch de Banke alle miteinander?«
Sie schüttelte den Kopf und weinte leise weiter.
»Wenn der Schuster nundergefallen wär', da hätt' doch müssen der Born offestehn«, fuhr Exner zu reden fort; es klang, als fertige er eine müßige Belästigung ab. »Denn durch de Bretter kann er doch nun eemal nich fallen, Un warum ei aller Welt hätt' ich den Schuster, der mr nischt getan hat, ei den Born schmeißen sollen! Gefimper, nischt wie Weibergefimper!«
Marie schüttelte wieder den Kopf.
»Aber Karla, der Geruch, der Leichengeruch!«
»Das is das schlechte, faulige Wasser, was de jetze vom Berge herzutritt, und der Lehm, of dem's steht. Hättste och geschmeckt, kaum wie dr Born fertig war, wie Freiwald de erschte Flasch' vll raufbrachte, genau wie Jauche. Der scheene Freiwald! Jetze is derselbe Geschmack. Ich wer halt müssen eenige Fuhren Steene neifahrn, daß's rufkömmt aus dem Morast, Und das glei, eh's harte und feste gefriert, Zentrum. Was? Meenste nich au Marie, das wär's beste.«
Marie schwieg. Sie hatte den Kopf gesenkt und schien etwas zu überlegen.
Dann fuhr sie auf, zündete am Ofen ein Licht an und trat an Exner dicht heran, daß sein Gesicht hell erleuchtet wurde.
»Sieh mich an, ganz, mach de Augen weit uf!« sprach sie mit tiefernster vibrierender Stimme.
Der Lahme blinzelte ins Licht und dann wieder auf sein Weib, aber er hielt den Blick dieser blauen, verzweifelten Augen nicht aus.
Als das junge Weib das wahrnahm, begann ihr Arm zu zittern, daß sie den Leuchter auf den Tisch stellen mußte.
»Steh uf vo dr Banke – und tritt her zu mir – vors Licht.«
Ihre Stimme war leise, doch von einer seltsamen Tiefe.
Exner ward es unbehaglich, aber lächelnd gehorchte er.
»Schwör' mir beim Lichte un bei dr Sonne, daß du nich schuld bist, wenn dr Schuster ei'm Born liegt, schwör' mir's beim Himmel und allen Heiligen...«
»Mit allen sechsen, wenn de willst.«
Er unterbrach sie und hob bereitwilligst die Hand.
Aber sie zog seinen Arm nieder und fuhr fort:
»Und daß der Herr uns alle trifft, wenn's nich wahr is, und verflucht, zerreißt un ei alle Winde treibt die Menschen, das Haus, das Holz samt den Steinen!«
Den Schluß sprach sie mit psalmodierender Stimme, feierlich getragen. Dann setzte sie mit einem tiefen Atemzuge aus und sah ihm forschend ins Gesicht.
Keine Fiber rührte sich darin; es war mürrisch wie ein Astknorren.
»Nach, soll ich eße?« fragte er endlich.
Marie rührte sich nicht; sie stierte ins Licht, und langsam rannen Tränen über ihre blassen Wangen.
Dann sagte sie tonlos:
»Laß – laß sein – nee, nee – lieber nich –« und verwandte den Blick nicht von der Flamme.
Der Lahme setzte sich schweigend, und auch sie kehrte an ihren Platz am Fenster zurück, wo sie hockte, wie zusammengedrückt, mit demselben Blick ins Leere.
Plötzlich erhob sie sich leise und ganz langsam, wie Träumende im Bett sich aufrichten in banger, beängstigender Mitternacht, und mit suchendem Schritt, als gehe sie durch dichte Finsternis, bewegte sie sich zu ihrem Manne hin, hielt vor ihm und streichelte ein paarmal seinen Scheitel. Schweigend, und ihre eiskalten Hände bebten dabei.
Darauf begab sie sich wieder an die andere Seite des Tisches, saß da, hatte die Hände gefaltet und bewegte lautlos die Lippen, bis sie in eine schmerzensstarre Haltung verfiel und mit ihrem blassen Gesicht einer jener Statuen leidender Büßerinnen glich, die uns in dem Dämmer katholischer Kirchen das Herz mit so dumpfem Weh beladen.
»Karla«, sprach sie schüchtern.
Der Lahme hob den plumpen Kopf.
»Laß mich meine Heil'ge Mutter und de Engala hulln. Karla, gell och, du hast nischt dawider?«
Ihre Stimme hatte einen Klang rührender Liebe.
Exner fuhr unwirsch in die Höhe, weil »bei der ganzen Geschichte wieder nischt als Weibergefimper« herausgekommen war, tat einige lange Schritte in der Stube hin und antwortete dann gleichgültig: »Jees ja, freilich. Weger mir, immerzu«, und verließ eilig das Zimmer. Nach einigen Minuten stand die Muttergottes mit ihren zwei Engeln wieder auf dem Eckbrett über dem Tisch und sah mit starren Punktaugen nieder in den Raum, in dessen Dunkel das kleine Licht an tausend verschmachtenden Glühfäden hing.
Gegen acht Uhr, nach dem Abendbrot, suchten beide das Bett auf.
Marie versank bald in Schlaf und träumte von blühenden Lichtbergen, aus deren Gebüsch geflügelte Kinder niederflatterten.
Der Lahme lag lange mit offenen Augen da und ließ den Tag an sich vorüberziehen, stieß endlich einen verächtlichen Laut aus, wickelte sich ins Bett und schlief auch ein.
Draußen aber spielte der Nachtwind mit dem Atem des Todes.
17
Doch ehe der Lahme mit der Gewinnung alter Grenzsteine und dem Verschütten des Brunnens beginnen konnte, fingen die Steindorfer auf eigene Faust ein Ermittlungsverfahren gegen ihn an. Späher umlauerten Tag und Nacht sein Gehöft. Pischkewill um Pischkewill, wie man die Schmähbriefe hier nennt, klebte an seiner Tür, dem Brunnenhäuschen oder flatterte, von ungesehener Hand geworfen, vor seine Fenster. Die zur Schule gehenden Kinder standen schreiend auf der Mauer, wiesen erregt nach seinem Hause und liefen, wenn er sich sehen ließ, mit