Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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zur Tür herein: es dämmerte.

      Er hob den Kopf, sah prüfend hinaus und ließ ihn dann wieder sinken: es war noch zu licht dazu.

      Neben ihm, im Stall, begannen die Kühe zu stampfen, die Schweine rannten quiekend gegen die Bretter des Kobens. Dann sprach begütigend eine weiche Stimme. Darauf hörte er gleichmäßig die Milch in die Blechgelte plärren. Einigemal gingen noch die Türen. Der Lahme holperte in den Hof und kehrte gleich wieder ins Haus zurück. Dann war alles lautlos.

      Nur ein leises Nieseln in der toten, tiefen Nacht und vom Walde her ein wühlender Laut, als rühre sich ein Schlafender in seinem Bett.

      Der Schuster stand auf, fuhr sich unter einem tiefen Atemzug durch die Haare und schlich dann vorsichtig aus dem Schuppen.

      15

       Inhaltsverzeichnis

      Der Lahme hatte eine peinvolle Nacht.

      Wie – wenn der Schuster zu zeitig an die Arbeit ginge und seine Frau erwachte! Wenn in dieser stockfinsteren Nacht jemand von der Straße abkäme und auf seinem Irrwege den ahnungslosen Säufer zufällig ertappte! Was dann? Ihm wurde heiß, und vorsichtig streifte er das Deckbett etwas nieder, hob den Kopf eine Handbreit über das Kissen und lauschte gespannt. Aber nichts rührte sich. Durch die Pflaumenbäume vor den Fenstern ging ein streichendes Geräusch. Die Uhr in der Wohnstube verkündete die elfte Stunde. Oder, wenn der Schuster schlief, anstatt ihn zu retten, wenn er, der »Gelitterte, mit allen Hunden gehetzte«, das Weite gesucht hätte und dann umherginge und allen, die es hören wollten, von seinem Anschlage erzählte. –

      Bei diesem Gedanken erblindete seine Seele in Wut.

      Aber nein! Jetzt wurden schlürfende Schritte laut, hielten einigemal an und verloren sich in der Ferne.

      Nun ist er fort.

      Exner war es, als sei die Finsternis um ihn siedend geworden; aber er rührte sich nicht.

      Nach langer, langer Zeit nahten sich die Schritte wieder. Doch nun waren sie langsam und schwer, wie belastet. Vor dem Hause hielten sie an. Nach einer Weile entfernten sie sich wieder.

      Der Lahme überlegte: Die Steine müssen nicht leicht sein; er trug sie nicht beide auf einmal. Freilich nicht, er ist ausgemergelt vom Suff.

      Nun schlichen die Schritte abermals heran, schwer, zögernd – ganz wie vorher.

      Exner atmete auf. Gott sei Dank, nun war es bald vorbei! Dann sollte jemand auftreten! Er hatte recht gehabt, nun lag es klar am Tage, daß ... Plötzlich! Poltern von hohlliegenden Brettern. Ein banger Schrei – – Er fuhr, alles vergessend, in die Höhe und schrie: »Der Hund!«

      Sein Weib erwachte:

      »Karla«, was is dir'n!«

      Voll Schreck sank er leise zurück und begann laut und immer lauter zu schnarchen.

      Marie wälzte sich noch einigemal hin und her; dann erklangen wieder ihre gleichmäßigen, tiefen Atemzüge: sie schlief.

      Dem Horchenden schoß es durch den Kopf: Vielleicht glitt ihm der Stein aus der Hand und siel auf die Bretter. Ja, anders konnte es nicht sein. Aber der Schrei! Es war ein Schrei ... und dann: keine Tür hatte sich nachher gerührt. Klose mußte doch unter Dach schlafen; er konnte doch nicht im Freien nächtigen!

      Diese und andere Zweifel bestürmten ihn.

      Endlich machte er ihnen ein Ende:

      »Hol' dich der Teufel, Esel! meinetwegen schlaf' unter der Erde! Das beste wär's. Du hast nicht mehr verdient, und ich wär' dich los.«

      Er drehte sich gegen die Wand, schloß trotzig die Augen und schlief auch ein.

      Bald jagten furchtbare Träume durch seinen Schlaf. Er ging fortwährend zugrunde. Aus einem Tode fiel er in den andern. Bald stürzte er von einem Eisenbahnzuge, und die Räder zerfleischten ihn; bald versank sein Haus in einem Abgrunde, Flammen schlugen daraus hervor, und er verbrannte; bald war er auf der Flucht vor einem bleichen, schrecklichen Riesen, der mit einer Schlinge hinter ihm herlief, um ihn zu fangen. Denn er war ein Hagel gewesen und hatte das ganze Land verwüstet, eine Pest, die Tausende umgebracht hatte, eine Hungersnot, eine furchtbare Dürre. Dafür sollte er sterben. Alle Bäume, an denen er vorüberjagte, streckten blutrote Zungen nach ihm aus und langten mit den Ästen nach ihm. In Todesnot flog er auf die Berge, klammerte sich an die Sterne, setzte sich auf den Sturm, kroch in Höhlen. Aber der Riese fing ihn, warf die Schlinge um seinen Hals und schleifte ihn hinter sich her. Doch er starb nicht. Als die Steine des Weges schon alle von seinem Blute rot waren, raffte er sich auf, warf sich verzweifelnd auf den Entsetzlichen und rang mit ihm. Der Schweiß rann rauschend von seinem Leibe nieder, die Augen traten ihm aus den Höhlen. Zuletzt siegte er und zerstampfte den Ungeheuren mit seinen Füßen. Dann wuchs er, wuchs als Baum, als Stein, sah sich um, fand sich in seiner Stube am Walde und sprach dumpf zu sich:

      »Ich bin in der Hölle.«

      Da erwachte er, strich sich den perlenden Schweiß von der Stirn und schüttelte die grausen Bilder von sich. Doch kaum war seine Seele hereingewandelt und hatte ihren Vorhof, sein irdisches Bewußtsein, wieder erhellt, als er auch schon die Not seiner Lage sah.

      Er raffte die Kleider vorsichtig vom Stuhle vor seinem Bett, beugte sich über sein Weib, um zu sehen, ob sie schlafe, schlupfte im Hemd in die Wohnstube und kleidete sich hier an. Dann trat er vor das Haus.

      Im Westen hing der Mond. Sein rotes Licht wurde von einer weißen Dunstschicht gedämpft, die über den ganzen Himmel gebreitet lag. Es sah aus, als glühe verlöschendes Feuer durch lichte Asche. Die Bäume des Waldes waren von dickem Reif überzogen, der in dem trüben Licht glitzerte. Von allen Gegenständen gingen leichte, zerfließende Schatten aus, die ihre Wirklichkeit in einen Spuk verwandelten.

      In diesem Lichte tastete sich Exner nach dem Brunnenhäuschen und sah zu seinem Staunen den Born offenstehen und die Rodehaue danebenliegen. Geräuschlos brachte er das herausgehobene Brett in seine frühere Lage und verbarg die Haue im Schuppen.

      Dann machte er sich auf den Weg, um zu sehen, ob die Grenzsteine auch wirklich verschwunden seien.

      Klose hatte alles besorgt. Es standen Steine da wie alle andern, die Gott erschaffen hat.

      Beruhigt begab er sich in sein Haus zurück, denn die Helle im Osten hatte zugenommen. Auf dem Wege nach Erlengrund erklangen Schritte, und er sah einen Männerkopf im Takt des Ganges hinter der Steinmauer auf und nieder tauchen. Der Sicherheit halber kauerte er sich in den Graben. Die Schritte setzten auch einen Augenblick aus, dann strebten sie gleichmäßig weiter und verloren sich im Rauschen des Frühwindes, das ganz leise einsetzte, als wandle es schlaftrunken aus großer Ferne herbei. In der Wohnstube brannte Licht; sein Weib war also auch schon wach. Er guckte verstohlen hinein und fand das Zimmer leer.

      »Wo wird se sonst sein wie bei der Tocke!« murmelte er und meinte damit, sein Weib habe wieder heimlich ihren Gott aufgesucht. Wo aber mochte der Schuster sein?

      Exner suchte die Scheuer, den Schuppen, den Stall und, als er sein Weib wieder im Hause hantieren hörte, auch den Heuboden ab. Nirgends eine Spur von ihm. Wieder und wieder durchstöberte er jeden Winkel, jede Ecke. Der Gedanke, Klose habe sich absichtlich verborgen, um ihm Angst einzujagen, führte ihn dazu, nach dem Verschwundenen zu fahnden, als sei er kein Mensch, sondern eine Nadel, ein Stock oder eine Feder. In der Scheuer hob er einen Spreukorb und stieß mit einem Stock unter die Plender; im Schuppen begann er die Reisigbündel wegzuräumen, obwohl zwischen ihnen und der Wand kaum eine Handbreit Raum war. Er rief in allen Schattierungen nach dem Schuster: neckisch, drohend, gleichgültig. Die Ecken blieben stumm, kein unterdrückter Atem keuchte aus dem Dunkel.

      Da kam ihm eine furchtbare Mutmaßung.

      Er warf das Reisigbündel hin, das er in der Hand hielt, eilte an den Brunnen und starrte auf die Bretter. Nein, das war schon die pure Tollheit.

      Wenn man eines derselben heraushob,