Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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saß auf der Ofenbank, ganz starr und hielt den Quirl mit der Hand krampfhaft wie eine Waffe.

      »Nee ha, Marie!« rief Kathe fassungslos.

      Das junge Weib erhob sich sogleich, kam aufrecht herüber und begann mit Lächeln das Arbeitskleid Kathes zu befühlen:

      »Gude, reene Wolle, gell och, Kathe. Oh, die hält! Ich hatt amol een Porganrock, das war das reene Eisen ...«

      Sie konnte nicht weiterreden, der Laut erwürgte in ihrem Halse, sie hob das Gesicht und sah das Mädchen verzweifelt an. Da stürzte sich Kathe an ihre Brust, und verschlungen, am Leibe bebend, standen die beiden lange da.

      Als sich ihre Herzen verständigt hatten, zog Kathe ihre Schwägerin auf die Bank und begann, liebevoll kosend, ihre welken Hände zu streichen.

      Marie hatte gar zu gern gewußt, warum das Mädchen zu ihr gekommen sei, wagte aber aus Furcht, irgend etwas zu verraten, nicht zu fragen.

      »Gell, Karla ist herbe zu dr?« begann Kathe mitleidig.

      »Nu, ihr wißt's ja alle ...«

      »Un mit dem verdammten Gerichte immerfort.«

      »Auch das.«

      »Wenn is'n heute dr Termin?«

      So, so. Da hatte sich also Marie getäuscht. Er war aufs Polnische zu.

      »Ja, hat er das gesagt?« fragte sie gleichgültig.

      »Mir nich, aber Seffen.«

      »Nee, nee, Kathe. Dir kann ich's ja sagen. Er is nach Landeck und er hebt's Geld vo dr Sparkasse.«

      Sie hatte die Empfindung, ausgesucht schlau gewesen zu sein.

      »Wie is dr denn?«

      »Ganz gut.«

      »Fühlst dich nich schwach?«

      »Ach Gott, nu je.«

      So redeten sie eine Weile leere Worte, indessen ihre Seelen heimlich zitterten wie Grashalme, die im Winde eines Abgrundes stehen.

      Plötzlich schrie Marie auf: »Nee!«, riß sich empor und trat an den Tisch. Draußen ging der alte Freiwald vorüber.

      »Hast's gesehn?« fragte das arme Weib und faßte hart des Mädchens Hand.

      Da trat der Greis auch schon über die Schwelle und wünschte mit heller Stimme guten Morgen.

      Marie ergriff seine Hand und fragte schnell:

      »Nu, Freiwald, auch schon da?«, um zu zeigen, daß sie alles wisse.

      »Wohl nie schon!« Freiwald legte seine Pelzmütze auf den Tisch und strich sich seine spärlichen Haare über den Kopf. »Er is doch schon fort. Hm. Nee, nee, nie schon. Ich sollte doch um siebne da sein, un etze is schon halb achte. Nach, 's is och gut, daß a nie da is. – Aber was habt ihr'n mit'm Borne gemacht? 's is ja ein höllscher Gestank um das Häusel.«

      »Ach deswegen«, fuhr es Marie durchs Hirn, und es überkam sie eine namenlose Angst.

      »Marie! Marie! Was is dr denn!« riefen beide fast zu gleicher Zeit, da sie sahen, wie Maries Gesicht sich mit einer graulichen Blässe überzog, und das Mädchen packte sie am Arme.

      »Nischt, 's is schon gut. Mir wur bloß weech.«

      Kathe und Freiwald wechselten mitleidsvolle Blicke. Der alte Brunnenbauer glaubte daraus zu entnehmen, das Mädchen meine, man tue am besten, gleich an die Arbeit zu gehen.

      Indem er die Joppe ablegte, dies und das umständlich ordnete, zupfte und legte, wie ein greisenhaftes Leben es nur immer säuberlich tun kann, redete er aus dem gemütvollen Unterstrom seiner Seele zu jedem Handgriffe in Absätzen, die er mit einem Schmecken verband:

      »'s is eigentlich a ganz schlechte Zeit zu der Arbt. – Weil etze im Winter dr Erdgeist de Oberhand hat über a Wassergeist. – Gegen de starken Queller, na, da kann er ja nischt ausrichten. – Nie zuviel. – Aber de Faden, de armen kleen Fadenla! An die macht er sich schon. – Un euer Born hat den Zug noch nich, a pfeift, ma mecht sprechen, noch nich of'm rechten Loche. – Jedoch aber, de Hauptsache, ich find' den Puls – drnach helf ich'm schon.«

      Die Frauen aber standen, hörten ihm zu und folgten seinem Trödeln mit aufmerksamem Auge.

      »Ja, ja, ihr Weibla, da hat's euch a so Sachen!« Damit wandte sich der Greis den beiden zu und lächelte liebenswürdig. »Zum Beispiel der Gestank, 's kann eene Katze sein, irnd a Zeug, was de vrbeigangen is un nundergestürzt. Ma muß ja de Bretter manchmal heben, ma muß se; das is ganz ei der Ordnung. Ja, ja. Aber merschtenteels is doch's Wasser alleene, was de fault und stinkt. Denn das Wasser is auch lebendig und springt und flißt, alls. Sterbt auch und fault auch wie alls, was de etze is und ehe nie is. Dazwischen is de Verwandlung.«

      Kathe ging und sah in den Ofen.

      Der Alte verstand den Wink.

      »Freilich, hast recht, Käthe. Was nich geht, muß ma stoßen. Aber weger dem bißla Gesinne arbt ma ja eigentlich bloß. Das is wie der Faden, cm dem ma sich weiterfühlt.«

      Er hatte eine Prise Tabak genommen und ging frohen Mutes der Tür zu:

      »Na, da kommt och ei Gotts Namen!«

      »Ja, ja, 's is gut. Kommt. Was nutzt alles!« sprach Marie aus einer Betäubung heraus und wandte sich mit gewaltsamer Anstrengung auch dem Ausgange zu. Allein, kaum stand sie in der Hausflur, als sie hastig umkehrte:

      »Geht och! Ich bin glei bei euch ... oder wartet – oder geht. – Aber kommt mr ja nich nach.«

      Ihre Stimme flutete aufgelöst, verwirrt, trotz ihres Bestrebens, gleichmütig zu erscheinen.

      Der Greis sah starr auf die Tür, die sich huschend geschlossen hatte, und wiegte den Kopf bekümmert hin und her.

      »Kathe, paß of die uf, da is nich alles, wie's sein muß. Die wird mangolsch oder is schon«, flüsterte er dann.

      »Ach, 's is zwar mei Bruder, aber ...«, bitter brach das Mädchen ab.

      »Ich darf mr keen Vorwurf machen. Dr alte Freiwald tut, was a muß«, sagte der Brunnenbauer zu sich und versiel in Sinnen.

      Nach langer Pause hob er den Kopf, und als er zur Haustür hinausgesehen hatte, begann er wieder mit gedämpfter Stimme: »'s is ein häßlicher Tag worn! Grau und alls eigesackt. Siehch och, wie's schneit, als wollt's alls begraben!«

      Mit ernstem Gesicht sahen beide in den Wintermorgen, dessen Klarheit schon wieder einer trüben Helle gewichen war, die der dichte Tanz großer Flocken ganz erfüllte. Und obwohl sie nichts hörten, es war ihnen doch, als empfänden sie ein weiches, melancholisches Summen, die müde, bedrückende Melodie des Schneefalles, in deren Bann sie in tiefes Schweigen versanken.

      Da schwamm ein Laut durch die Stille, kam und ging, wie das Stöhnen eines angeschossenen Wildes durch den Wald streicht.

      »Hast's gehört, Kathe?«

      Die Gefragte nickte.

      »Kam's nich aus der Stube?«

      Das Mädchen hatte genau gehört, daß es aus der Stube gedrungen war, in der Marie weilte, zuckte aber die Achseln und schwieg.

      »Dahier is ja auch der Stall«, antwortete sie endlich irreführend.

      »Nu, 's war auch möglich.«

      Dieser geflüsterten Unterhaltung wurde ein Ende gesetzt, da Marie wieder unter der geöffneten Tür erschien. Sie schritt aufrecht, gestärkt; ihr bleiches Gesicht trug die Züge verklärten Ernstes, wie Krieger aussehen, die von der Einsegnung weg dem Kampf entgegengehen.

      Der Greis und das Mädchen hatten auf den Laut der aufgehenden Tür sich nach dem Ausgang zu in Bewegung gesetzt. Marie folgte ihnen.

      Als dann die zusammengebundenen Leitern in dem Brunnen standen und der Alte im Begriff war hinabzusteigen, schickte Marie ihre Schwägerin auf den Heuboden nach