Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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im Gasthaus saß, Passanten unter nichtigem Vorwand auf dem Wege zu einem Gespräch preßte, da mußte er die Wahrnehmung machen, daß er von den Meinungen und Absichten der Leute nichts erfahren konnte. Man stahl sich von ihm, um aus gesicherter Weite eine Drohung nach ihm hinzuschreien, auszuspeien oder ihm die Faust zu zeigen. Störrisch zog er sich in das Netz zurück, das ihre feige Emsigkeit um ihn gesponnen hatte, und lag auf der Lauer, wie er listigerweise doch noch zur Ausführung seines Planes kommen könnte. Allein es gelang ihm nichts, als in einer finstern Nacht einige Grenzsteine von der fernen Gemarkung Petzdorfs unter großen Schwierigkeiten herbeizuschaffen und im Schuppen unter den Reisigbündeln zu verbergen.

      Dabei mußte er ängstlich sein Weib hüten, damit sie mit niemand zusammenkomme. Er besorgte alle Einkäufe selbst und war immer auf der Jagd nach den vermaledeiten Pischkewillen.

      Marie klagte nie und verdächtigte ihn mit keinem Worte. Nur vor seinen plumpen Zärtlichkeiten, mit denen er sie nun häufig verfolgte, floh sie entsetzt. Sonst sah sie mit einer starren Milde auf ihn hin. Sie ging mit langen, festen Schritten umher, ihr Gesicht trug einen gespannten Ernst. Mit harten, überwindenden Bewegungen, wie ein Mensch in großer Kälte arbeitet, rührte sie sich bei ihrem Tagewerk. Schlug der Wind irgendwo eine Tür zu, oder klang ihres Mannes Schritt unvermutet von dem Hofe her, so fuhr sie zusammen, lief mit erbleichendem Gesicht ans Fenster und spähte lange den Weg hinauf, um dann stumm und versunken, gleich einer Verschollenen, weiterzuschaffen.

      Nur die Ampel vor der Heiligen Mutter auf dem Eckbrett brannte ohne Unterbrechung, selbst am hellen Tage, und in gar mancher Nacht, wenn der Lahme, durch ein schreckhaftes Gesicht aus unruhigem Schlaf gerissen, nach ihrem Lager griff, fand er das Bett kalt und leer und hörte durch die Tür ihr monotones, leises Gebet.

      Aber sie vermochte nicht den rollenden Stein der Vergeltung aufzuhalten.

      Infolge einer anonymen Denunziation stellte sich eines Morgens der Wachtmeister Stief aus Walsdorf auf dem einsamen Höfchen am Freibusch ein, um den Klumpen über das Verschwinden der Grenzsteine und des Schusters zu verhören und das Haus samt seiner näheren Umgebung einer peinlichen Untersuchung zu unterwerfen.

      Exner war ehrerbietig, freundlich, spielte den Gebückten, aus gekränkter Ehre Kummervollen, wurde brutal, tat tölpelhaft, sprach Lügen mit unbefangener, blöder Miene, redete Wahrheiten mit jener unsicheren Stimme und jenen ausweichenden Blicken, welche die Notlüge charakterisieren, überlistete den Wachtmeister vollständig, der, je aussichtsloser sich das Verhör gestaltete, immer mißvergnügter wurde und zuletzt nur noch auf dieser und jener Nebensächlichkeit herumritt, um den Lahmen gehörig zu stäupen.

      Marie lief es heiß und kalt über den Rücken, als sie ihren Mann in solch glatter Verachtung der Wahrheit mit dem Hüter des Gesetzes umspringen sah. Mehreremal öffnete sie den Mund zum erlösenden Schrei; aber Exners Auge zwang sie, ihre Aussagen auf der Linie seines Zeugnisses zu machen.

      Endlich traf der Wachtmeister Stief Anstalten, sich von seinem Sitze am Tisch zu erheben, klappte das Taschenbuch zu, und indem er das ausgedehnte Gummiband bedächtig und sorgsam darüberlegte, sagte er:

      »Das is eine ausgemacht lausige Geschichte, verstehn Sie mich, Freundchen, und ich kann Ihn bloß so viel sagen, da wird Ihn schon noch ein Patzen Dreck uf die Krempe fallen.«

      Der Lahme reckte sich absichtslos aus seiner gebückten Haltung zur vollen, vierschrötigen Höhe.

      »Immer tun Sie sich!« brauste Stief auf und erhob sich, den Stuhl mit der Hand zurückschleudernd. »Ich Hab' schon andre gefressen, wie Sie sind, das merken Sie sich. Lassen Sie's och gut sein, der Staatsanwalt wird Ihn die Läuse schon aus'm Magen klauben.«

      Er ließ seinen stöbernden Blick rund um die Stube laufen, strich, zur Erde sehend, seinen schwarzen Schnurrbart und kommandierte dann:

      »Nu woll mr mal nachsehn!«

      Dienstbeflissen sprang der Lahme hinzu und öffnete die Tür. Im Hinausschreiten herrschte Stief ihn an:

      »Machen Sie keene Dänste! Wo haben Se die Steine hingeschafft?«

      Exner versicherte zum hundertsten Male, daß er ihm darauf keine Antwort geben könne, weil er mit den Grenzsteinen nichts zu schaffen gehabt habe, und bat ihn, sich doch die Mühe zu nehmen, sein ganzes Haus und alles, was drum und dran hänge, zu untersuchen, damit endlich der ärgerliche Verdacht von ihm genommen werde.

      Stief ließ sich nicht irremachen, und wenn er sich auch von der Haussuchung nichts versprach, so hatte er doch Gelegenheit, den Hartgesottenen nach allen Regeln der Kunst zu bearbeiten, weich zu machen, und hoffte dies oder das zu finden, das seiner festgefahrenen Kombination einen neuen Weg wies. Er stieg treppauf und treppab, schnurrte mit klapperndem Mundwerk überall umher, setzte ihm mit immer stärkeren Drohungen hart zu, klopfte ihm endlich in einem dunklen Winkel auf die Achsel und flüstere ihm herzlich ins Ohr, nun könne er es ihm sagen, sie seien unter vier Augen, er habe auch ein Gemüt und werde zu schweigen verstehen. Als sie im Schuppen an dem Stoß Reisig standen, kam dem Lahmen wirklich der Gedanke, ob es nicht besser sei, dem Wachtmeister zur Auffindung der gestohlenen Grenzsteine zu verhelfen, denn er hatte eine unbestimmte Hoffnung, dadurch den Gang der Untersuchung auf einen toten Weg zu leiten, Und begann tatsächlich, Bündel um Bündel herabzuwerfen.

      »Was machen S'n da?« fragte barsch der Behelmte.

      »Sie sollen sehn, ob de Steene dahinter sein«, antwortete Exner und warf Stief ein andres Bündel vor die Füße. »Sie – Sie – Astloch, haha! Stief sucht nach seiner Nase, verstehn Se mich?« rief der Wachtmeister verächtlich und kroch durchs Türchen ins Freie.

      Exner folgte ihm, und da er wahrnahm, daß die Untersuchung zu Ende sei, sagte er:

      »'s tut mr recht leed, Herr Wachmeester, daß Se weger solcher alberner Lügerei durch den tiefen Schnee herkommen mußten. Wenn's Ihn un 's hätt Ihn och nischt getan!«

      »Verflucht, halten Se's Maul! Ein Königlich preußischer Schandarm macht sich überhaupt keen Schaden nich, verstehn Se mich!«

      »Nee, nee, sein Se och nich böse, Herr Wachmeester. Ma is halt a tummer eefacher Mann und weeß nich, was herrsch is. Ma redt halt vo der Leber runter – adje, Herr Wachmeester, adje!«

      Er hatte ihn bis zum Brunnenhäuschen begleitet, machte abermals eine ungeschickte Verbeugung und wollte ins Haus.

      Plötzlich spuckte Stief aus und schrie:

      »Pfui Teifel! was is das für ein Gestank in Ihrem Hofe. Wie in einer Leichenhalle!«

      »Das is das Wasser, Herr Wachmeester, ja. Sehn Se, da hat ma siebzig Ellen gegraben, das scheene Geld hamfelweise ei de Erde geschmissen, un nu hat das Wasser een Geschmack, daß Mensch und Vieh krank drvo wird. A so geht's eem armen Manne. Wollen Se amal kosten? 's is nich zum Trinken!«

      Stief sah ihm unverwandt ins Auge. Der Lahme fühlte, wie sich ein Häutchen über seine Augäpfel schob, und hob die Hand, um es fortzuwischen. »Komm' Se mal her zu mir!« befahl ihm Stief mit unheilschwangerer Stimme.

      Nach einem kurzen Zögern gehorchte der Lahme; aber nun war es ihm, als hüpfe das Brunnenhauschen auf und nieder, und den Wachtmeister sah er wie erlöschen.

      »Ja, ja«, sprach er dennoch und ging auf den grauen Punkt vor ihm los.

      Gott sei Dank! Er hatte es getroffen. Drei Schritte vor der blankknöpfigen Brust war alles wie sonst, und mit gut geheuchelter Einfalt sah er Stief an.

      »Wissen Se was?« fragte dieser drohend und zeigte auf den Brunnen: »Wissen Se was? – Ich wer ...«

      Er unterbrach sich aber, griff rasch in die Tasche und schrie:

      »Die Hände her!«

      Der Lahme warf einen Blick auf den nahen Wald und sah, wie die Baume auf ihn zuzumarschieren begannen, die Erde donnerte unter ihnen, und Rauschen erfüllte die ganze Luft. Er erkannte, daß kein Entrinnen möglich sei, und streckte mit irrem Lächeln seine Arme aus.

      Stief aber hatte sich plötzlich eines anderen besonnen, versenkte die Handschellen wieder in seine Hosentaschen, sah auf die