Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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die Stube, setzte sich an den Tisch, klemmte die Hände zwischen die Knie und begann, den Kopf tief gesenkt, zu sinnen. Aber es war ein Wühlen in einer formlosen Masse.

      Endlich rettete er sich wieder in seinem Trotz: »Ist er weg, so ist es für mich das beste; ich bin mein eigener Zeuge, das Geld bleibt mir, die Hosen und der Rock.«

      »Was hast'n du mit'm Rocke?« fragte seine Frau vom Ofen her.

      Um Marie irrezuführen, kniff er die Augen ein, sah mit pfiffigem Lächeln auf und fragte:

      »Na rat, was für'n Rock!«

      »Ja, das weeß ich nich!«

      »Nee, nee, Mariela, Rätsel raten kannste nich, da biste doch nie gescheide genug.«

      Dazu lachte er beißend.

      Nachdem er diese unvermutete Gefahr abgewendet hatte, stand er auf und verließ, seinem Weibe einen höhnischen Schlag auf den Rücken versetzend, das Zimmer. Eine Art Zuversicht war über ihn gekommen, und es fiel ihm leichter, an das zu glauben, was er sich vorschrieb: Der Schuster sei aus Angst vor der Entdeckung seines Frevels fortgelaufen, werde sich bis zum glücklichen Ende des Grenzhandels verborgen halten und dann wieder, wie aus dem Boden gewachsen, im Hofe stehen. Aber die Unruhe wich doch von dem Lahmen nicht; ausgestoßen vom Willen, wühlte sie in den Tiefen seines Wesens.

      In den Wänden der Holzhäuser schrotet der Holzwurm, leise und träge. Im Lärm der Arbeit und des Tages hört man sein Graben nicht. Aber in dem Frieden der Nacht tönt sein schwaches Ticken. Wenn die Leute es vernehmen, erschrecken sie und sagen: »Die Totenuhr geht.«

      Marie nahm keine Veränderung an ihrem Manne wahr, denn ihr Herz hing in den Blütenzweigen ihrer Träume und sang Kinderweisen und Wiegenlieder.

      In der Nacht, die diesem unruhigen Tage folgte, überzog sich der Himmel mit schweren Kuppelwolken: es fiel Schnee. In der Kälte des Morgens ließ das Schneien nach, und als es völlig Licht geworden war, ging ein dünner Regen seiner Eiskörnchen nieder, die gegen die Fenster prickelten. Als Exner das sah, war er sehr vergnügt und trat gleich nach dem Ankleiden auf den Hof. Alles war weiß, jede Spur verwischt. Er schlenderte an die Hausecke, lugte nach der Straße, die nach Erlengrund führte, und pfiff, wie er wohl sonst zu tun pflegte.

      Dann ging er zurück und rief seiner Frau, sie solle Wasser holen. Marie trat gehorsam heraus.

      »Immer geh hin und tritt of die Bretter!« rief er ihr zu, und als sie, verwundert über diese unnötigen Worte, ihn ansah, fügte er lachend hinzu: »Nee, nee, die sein feste. Ha och kee Bange «ich, da kippt kees.«

      Die Schritte Maries polterten auf dem Belag, das Wasser quoll aus der Röhre, klar und lebendig, und füllte beide Gefäße.

      »Na, du kindsche Meste!« rief er froh, als er all das gesehen hatte.

      Lange blieb er dann stehen »nd betrachtete das Brunnenhäuschen, als könne sich doch Unvorhergesehenes damit ereignen. Aber es stand wie immer regungslos da, und der rote Knopf hielt auf dem kleinen Dächlein wackere Wacht wie je.

      Da schüttelte er lachend den Kopf und murmelte: »Was will ich denn noch mehr! Ha ich's nie gesehn? Ma is schon manchmal wie mit'm Pürdel vernietet.«

      Der Schuster mußte ja kommen; aus dem Walde, dem Graben, der Schenke, der Scheuer, irgendwoher. Es gab doch keinen Menschen in Steindorf und der ganzen Umgegend, der etwas anderes erwartete. Er atmete erleichtert auf, als ihm dies einfiel. Seine schwere Sorge schlüpfte in die steckenlose Erwartung anderer, die nichts wußten von der häßlichen Nacht und von dem Ahnen, das aus ihr wie eine lastende Wolke in seine Seele gestiegen war. Und plötzlich war es ihm, daß sein Verborgenes Spintisieren an allem schuld sei und daß noch manches Unangenehme seines Lebens unterblieben wäre, wenn er nicht von jeher »solch verrücktes Zeug im stillen getrieben hatte«.

      Er tat daher, was alle kleinen Wirtschafter so des Wintertags früh tun, ging in die Scheuer, warf Garben auf die Tenne und breitete sie, die Ähren gegen die Mitte, in zwei Reihen auf.

      Ferne Schritte auf der halbgefrorenen Erde ließen ihn aufhorchen. Schnell warf er die Arbeit hin, ergriff ein Seil, damit es aussehe, als sei er tief beschäftigt, und ging über das Höfchen an die Ecke des Hauses. Da sah er, seiner Vermutung gemäß, den Freirichter daherkommen und der Stelle zuschreiten, wo die Mauer gewesen war. Jetzt bog er ab und eilte, um den Weg abzukürzen, querfeldein.

      Der Lahme zog die Mütze und rief: »Guten Morgen, Herr Freirichter!«

      Der Mann mit dem braunen Barte und dem papierweißen Gesicht gab keine Antwort und strebte eilig dem Orte zu, wo die Grenzsteine stehen mußten, die die Knechte bloßgelegt hatten. Er scharrte den Schnee mit den Stiefeln fort, bückte sich und schüttelte den Kopf.

      Als Exner das sah, rief er hinüber:

      »'s is kalt, a ganz hübsch Schneela; aber er wird wieder weggehn. Dr Eschberg is schlimmer dran, druba Hannig Seffe hat gewiß schon de Pudelmütze offe.«

      Der Freirichter verstand wohl keines seiner Worte, mußte aber glauben, der Klumpen verspotte ihn, richtete sich auf und drohte mit der Faust herüber:

      »Ich wer Ihn schon kriegen, Freundchen!«

      Exner lächelte freundlich, als habe sich der Freirichter nach seinem Befinden erkundigt, und nahm mit einem Gruß die Mütze abermals ab, da der Großbauer sich anschickte, den Rückweg anzutreten.

      Am liebsten wäre er ihm nachgelaufen, um zu fragen, wo wohl der Schuster geblieben fei. Er sann unschlüssig, ob er gehen solle oder nicht, bis sich sein Denken in gestaltloses Hinbrüten verlor. Er mußte über etwas klar werden und konnte nicht finden, über was.

      Die Stimme seines Weibes erlöste ihn von diesem unfruchtbaren Bemühen. Sie forderte ihn auf, das Wasser zu kosten, welches sie vorhin aus dem Brunnen gepumpt hatte. Ohne weiteres nahm er ihr die Kanne ab, tat einen tiefen Schluck daraus, wischte sich den Mund mit dem Handrücken und sprach ruhig:

      »Wie de Kresse a so frisch un süße wie Mandelkern. Was soll's denn sein?«

      »Was sein soll! Nu, ma hört doch manchmal, 's fällt was ei a Born, a...«

      »Ja'ch, ja'ch!« höhnte er, »nee ha, was du a so für ein gescheites Weib bist. Was fallt'n a so nei ei de Borne?«

      »Nu, 'ne Katze oder irn'd was.«

      »Oder ne Kuhe, was? oder a Mann, was? Verleicht dr Schuster, meenste, weil er seit gestern fort is. Gell och un durch de Bretter, was?«

      »Warum wirst'n bleech?«

      »Weil ich lach.«

      »Un du brauchst doch nich mit den Augen a so zu finkeln!«

      Exner maß sein Weib mit glühenden Blicken, sein Atem begann zornig zu rauschen; dann zerriß Wut die Maske seiner vorsichtigen Mäßigung. Stoßweise, grollend, immer lauter schrie er:

      »Mei Auge finkelt. Mei Hand wird lose, un' gehst du nich glei, da liegt se dir eim Gesichte. Du! Was willst du denn vo mir? Du hast mich schon genung geschindt. Nu soll ich noch fürs Bornwasser könn! Da geh und frag lieber deine Tocke. Die is ja gescheide genung.«

      Niedergeschlagen ging Marie davon.

      Aber auch den Lahmen hatte dieser Ausbruch nicht aufgerichtet.

      Er verfiel in eine heißhungrige Arbeitslust, hackte Holz, drosch allein in der Scheuer, daß alles bebte, grub Abzugsgräben auf dem gefrorenen Felde, spaltete Steine. Ja, er tat völlig Zweckloses. So schob er mit langen Stangen den Schnee von dem Dache, besserte den Weg, obwohl der Schnee schon fußhoch lag, nur, um gegen sein Schicksal zu ringen. Einen geistigen Kampf, ein seelisches Auseinandersetzen gab es für ihn nicht. Er glaubte seine Untat zersägen, mit dem Pürdel zerschlagen, mit dem Beile töten zu können.

      Aber die Bilder seiner Furcht wichen nicht von ihm, und am Ende der Woche fühlte er sich verlorener als am Anfange.

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