Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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die Knie und verfiel in Grübeleien.

      Das folgende Gericht, gekochte Klöße in irgendeiner Soße, rührte er nicht an.

      Als ihn sein Weib schüchtern aufforderte, doch einmal zu kosten, richtete er sich auf, sah an ihr vorbei und redete rauh zum Schuster hinüber: »Guste, iß dich satt, a so viel, wie de kannst. Drnach gehste ei a Schuppen und hackst Holz kleen.«

      Der Angeredete nickte stumm, schluckte schnell alle dargereichte Speisen hinunter, dankte kaum hörbar und machte sich auf. An der Tür drehte er sich um und fragte:

      »Aber, Marie, wenn ich dir noch soll was machen, da brauchst de's bloß zu sagen.«

      »Nee, Schuster, nee, geh och.«

      Nach einer Weile scholl träges Schlagen vom Schuppen her.

      Der Lahme stand auf, ging erregt in der Stube auf und ab und warf verstohlene Blicke auf Marie.

      Als sie mit dem Melkgerät das Zimmer verlassen hatte, blieb er stehen und horchte. Nun fiel die Klinke der Stalltür in die Haspe. Er wartete noch eine Weile, dann schlich er leise zur Tür hinaus, an der Wand hin, in den Schuppen.

      Dort setzte er sich auf einen Holzklotz.

      Der Schuster drehte sich um, schlug das Beil ins Scheit und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Willst mr helfen?« fragte er und ließ sich auf dem andern Holzklotz nieder.

      Exner atmete tief.

      »'s wird ein kalter Winter wern, Schuster«, sprach er nach einigem Sinnen und sah zum kleinen Türchen hinaus.

      »Ja, ja, 's kann sein, a trockner, denn 's sackt nischt wie Nebel raus.«

      »Wirste nich heemgehn?«

      »Was sollte ich'n dorte!«

      »Essen und schlafen.«

      »Nu ja, satt essen, a warm Stübla han, derheeme sein... siehch och, das is etzunder fr mich noch nischte. Es is no nich reif fr mich. Ich ha etz noch anders zu tun.«

      Dann trat langes Schweigen ein. Klose sah traurig vor sich nieder.

      In des Lahmen Gesicht arbeitete es. Darauf begann er mit leiser Stimme:

      »Möchst dr een andern Rock kaufen. De Hosen sein au zerlumpt. Aus a Stiefeln guckt 's Stroh.«

      »Ja, woher nehmen un nich stehlen.«

      »Ach, wer redt denn vo stehlen.«

      »Oder rauben, derschlagen.«

      »Das alls nich.«

      Wieder trat eine Pause ein. Dann begann der Lahme abermals gedämpft:

      »'s hat dich geforkelt, armer Kerle. Aber ich bin dei Freund.«

      Plötzlich wurde er erregt.

      »Bin ich ein schlechter Kerle, zahl ich nich meine Steuern, laß ich mei Weib hungern, ha ich nich Kühe wie de Bohlen... Schuster, bin ich nicht ordentlich, scharf un gerecht?!«

      Er war unwillkürlich laut geworden.

      Die Stalltür knarrte. Dann hörte man Schritte ans dem Hofe.

      »Schuster, hack, schlag, hau zu!« eiferte er.

      Dieser griff langsam nach dem Halme.

      Aber die Tritte verloren sich im Hause.

      Beide nahmen ihre vorherige Stellung wieder ein.

      »Karla«, fragte der Schuster, als alles wieder still war, den Lahmen, »is denn a Weib nich wie ne Katze?«

      »Da haste recht, wie ne Katze!« bekräftigte Exner, und in sein Gesicht gruben sich Falten einer bitteren Wut.

      »Ich meen', ma muß scheen' tun mit'r, wenn se eem Freede machen soll«, verwies es ihm Klose, senkte aber sogleich unter dem bohrenden Blicke des Lahmen verwirrt seine Augen.

      »Was willst'n du damit sagen, he?« fragte der Klumpen, und seine Stimme bebte in Zorn. »Kümmer ich mich etwa um deine Lumpenklaft oder dei Schwester, die Stoppelhengstpaule?«

      Dann saß der Ungefüge lange unbeweglich, und seine Augen lagen brütend im Leeren.

      Der Schuster hockte wie gezüchtigt auf seinem Platze.

      Endlich sah er den Lahmen unterwürfig an.

      Von diesem Blick ward die Stille zwischen den beiden leichter, und der Lahme nahm das Gespräch wieder flüsternd auf:

      »Siehch, Guste, ich bin dei Freund, ein richtiger Kerle – isnich aso? Du mußte mit solchem Zeuge »ich noch of mich neistoßen, nee! Siehch, 's hat bei mr Platz, ich schmeiß dich nich naus, und wenn du den ganzen Winter nich fortgehst. Kriegst essen, zu trinken, ich ha noch a gut Röckla, 's hat au noch Hosen und Stiefel ... Du machst a paar Handgriffe ...«

      Der Schuster wurde blasser, die Falten seines Büßergesichtes furchten sich einen Augenblick tiefer, dann bekam es den Schimmer von einer Seele, die ihre tiefste Sorge los wird.

      »Karla«, stotterte er, »wenn's em Gott eim Himmel hat, der lohn' dir's. Vielleicht, wenn's Frühjahr is, bin ich alls wieder los und laß den Draht fliegen.«

      »Nu aber sei vernünftig und verlaß dich nich wie ein Bock bloß of de Hörner. Verstehste, alls, was ich gesagt hab', bleit. Guste, war'n das Grenzsteene, die Freirichters Knechte gefunden han, war'n das Grenzsteene? Wenn du mich noch weiter ärgerst, ich weeß nich, was ich mache, ich erwürg' dich.«

      Exners Stimme zitterte; er war aufgestanden und hatte sich dem Schuster langsam genähert. Nun schüttelte er seine große Faust vor des Trinkers Gesicht, und seine Mienen entstellte eine tödliche Verzweiflung.

      Entsetzt wich der Säufer zurück. In Angst verwirrten sich seine Gedanken. Ohne daß er es wollte, hatte er schon geantwortet:

      »Nee, Karla, nee! Keene Grenzsteene, Steene wie alle andern, die der Herrgott wachsen läßt.«

      »Na siehste, das wüßt' ich ja, du Narrnsack! Is das etwan 'ne Sünde, wenn ich een Krappen vo Steen hierhin schmeiß oder dorthin, is Steen nich Steen? Könnten für die Klumpen nich andre dorte steh«? Haha! – 's is Nacht – dr Nebel steht – die Hacke geht leise – hinter dr Mauer gehn Leute, aber niemand sieht was – raus de Brocken, raus! – ei a Born – 's Wasser gluckt, siebzig Ellen tief – ma hört nischt fallen – ei a so eem Loche sehn drei Brillen nischte. De Spitzhacke lehnt hinterm Bornhause, wo de Blutbretter sein. Wenn dr Hahn kräht, is alles vrbei.«

      Der Lahme sprach fliegend; in seinen Augen lag eine bohrende Wildheit, so kalt, so entschlossen, daß des Verkommenen Seele davon betäubt wurde. Er sah nichts vor sich, in seinem Innern lag es wie summender Nebel. Eine dumpfe Empörung gärte in ihm, aber sein Wille war nach allen Seiten zerstoben. An seiner Statt wirkte ein fremder Drang, unerbittlich, starr.

      Schwer, wie im Zwang eines drückenden Traumes verloren, ließ er seine Hand in die dargebotene Rechte des Lahmen sinken.

      Als er sich umsah, war er allein.

      Er erhob sich eilig, zu entfliehen, kehrte vor dem Türchen um, ging zurück, setzte sich, stand auf, drückte das Beil aus dem Scheit, hob es, um zuzuschlagen, warf es hin und starrte lange auf den Holzklotz »...'s is Nacht«, murmelte er willenlos, »dr Nebel sieht – de Hacke geht leise – de Brocken raus – 's Brett is locker – dr Born is tief – ma hört nischt fallen...« er bebte, sein Herz gefror, aber sein Bewußtfein drehte sich, als sitze er auf einem sausenden Karussell, und wie er die Augen seiner hilflosen Seele über dies Tanzende, Graue schickte, tauchte eine Lichtgestalt aus der trostlosen Weite in ihm auf, kniete nieder, hob die Hände bittend und sah ihn aus großen Augen angstvoll an. Ihr Leib war von Züchtigung und Gram entstellt. Es war dasselbe Bild, vor dem seine arme Einsamkeit in Büßerqual, in peinvoller Inbrunst so oft stammelnd gelegen hatte.

      Noch einmal sah er hin in sich. Da wußte er, daß das, was er sollte, jenes war, was er wollen mußte.

      Bereit setzte er sich auf den Holzklotz, stützte