Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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wühlte, desto unfaßbarer wurde es ihm, alles zu verlassen: die Kühe, die Schweine, das Haus, den Acker, das Geld. Nur dieses ärmliche Buch rettete er von allem. Er, der ganz Steindorf unterjochen wollte, den Freirichter gängeln, er, der alle zusammenhauen konnte wie ein Taschenmesser, wenn er wollte! Wie ein Hund sollte er über die Straße laufen, gehetzt, verarmt.

      In Wut raffte er mit beiden Händen das Heu auf und warf es gegen den Mondschein. »Hunde!« schrie er, »Brut!«, furchtbare Verwünschungen und schleuderte das Heu immer nach der Dachluke hin. Der Schweiß strömte über sein Gesicht, seine Stimme ward heiser, aber er hörte nicht auf.

      Immer bückte er sich und warf Bürden hinter sich. »Mei Geld! mei Geld! mei Haus! mei Acker!« Er röchelte nur mehr.

      Plötzlich fühlte er, wie der Fußboden sich hob, Knistern lief durch die Schindeln, Trommeln hämmerten in den Wänden unter ihm. Alles begann zu kreisen, brausend drehte es ihn, er erhielt einen Schlag gegen den Kopf. Alles um ihn stand in spritzendem Feuer. Dann brach er zusammen.

      Gepolter und Kuhgebrüll trieben ihn zeitig früh aus der Betäubung, in der er die ganze Nacht gelegen hatte.

      Er setzte sich auf, um einen klaren Gedanken zu fassen. Zuletzt hatte er es beisammen, was unabweislich war.

      Er wollte nach Landeck, das Geld auf der Sparkasse erheben und dann über die böhmische Grenze entweichen.

      Stumpf, trotzig, erhob er sich, bahnte sich einen Weg durch das Heu und stieg hinunter in die Stube.

      Sie war eiskalt. Das graue Licht der ersten Frühe hing darin. Niemand war zu sehen, die Betten in der Schlafkammer unberührt.

      Endlich entdeckte er sein Weib vor dem Tisch liegend, zusammengeringelt wie ein Tier.

      Er rüttelte an ihr.

      Sie stand auf, taumelte, ging am Tisch hin, ließ sich auf die Bank nieder und starrte auf den Boden.

      Dann hob sie das Auge, ließ es über ihn gleiten und sagte tonlos:

      »Es bleibt dr nischt anders übrig.«

      Der Lahme nickte stumm.

      Wie sie wieder emporsah, bemerkte sie, wie er bleicher wurde, erdfahl. Immerfort nickte er mit dem Kopfe und schlang, daß sie das Drucksen des Kehlkopfes hörte.

      Scheu streckte er ihr endlich die Hand hin. Sie schüttelte das Haupt.

      Er ließ den Arm sinken und ging, den Kopf auf die Seite geneigt, holpernd zur Tür hinaus, ohne sich umzuwenden. Im Hause stand er einen Augenblick still, hustete einigemal fauchend und verließ mit schweren Schritten das Gehöft.

      Dann war nur noch das Picken der Uhr lebendig.

      Marie wandte starr den Kopf und sah zum Fenster hinaus. Der Wald stand wie eine undeutliche Wand in den Nebeln der Frühe. Ein dunkler Ballen bewegte sich darauf zu. Das war ihr Mann. Nun tauchte er unter wie ein böser Spuk. – »Etze is er fort«, murmelte das junge Weib und sank schluchzend zusammen.

      Dritter Teil

       Inhaltsverzeichnis

      18

       Inhaltsverzeichnis

      Die Hand ihres Gottes lastete schwerer als je auf dem armen Weibe. Während sie so lag und schluchzte, kam ihr der Gedanke, ob es nicht besser sei, aus dem Leben zu gehen. Wies nicht Gott selber sie deutlich nach dem Tor des Todes hin, da seine Heimsuchungen nicht von ihr ließen? Vielleicht war ihr Leben ein Widerstreben gegen seinen Willen, eine Sünde und darin zu verharren nichts als Vermessenheit.

      Das Haupt aufgerichtet, mit unverwandtem Auge sah sie in diese Tiefe.

      Aber war sie allein? Riß sie ihr schuldloses Kind, das so nahe vor der Geburt stand, nicht mit in die ewige Verdammnis?

      Eben jetzt, da sie betäubt den grausen Weg hinsah, wie Erschöpfte das Haupt gegen den Sturm lehnen, kämpfte das Ungeborene in ihrem Leibe, wie ein Lamm wider den Strick dessen ringt, der es zur Schlachtbank führen will.

      Ohne weiter zu überlegen, wischte sie die Tränen aus den Augen, und gehorsam, willenlos ließ sie sich von der Faust Gottes weiterstoßen auf dem Wege, den sie nicht erfaßte. Sie entzündete das Feuer im Ofen, stellte ihr Frühstück auf und versank demütig in ihre Not. Ohne dem Denken ins Gesicht zu sehen, ging sie einher.

      »Wie Gott will, halt still« und »Gott schlägt mit einer Hand und vergilt mit hundert«, diese und ähnliche Sprüche geheiligter Altenweisheit beruhigten sie in ihrer Seele, daß ihr wilder Schmerz sich in jene dumpfe, fiebernde Gelassenheit verwandelte, mit der Verurteilte aus dem dunklen Kerker auf alle Geräusche draußen lauschen.

      Ihr Mann war nach dem Niederstücke zu fortgegangen, also konnte er nur in der Richtung nach Landeck hin seinen Weg genommen haben. Natürlich, wenn er entfliehen wollte, so konnte er nur so hoffen, über die Grenze zu kommen, ehe die Polizei die ganze Schwere seines Verbrechens erkannt und sich zu seiner Verfolgung aufgemacht hatte. Sie begann zu Gott zu beten, daß er seine Flucht gelingen lasse, damit ihrem Kinde und ihr die Schande erspart bleibe. Um sich aber gewiß zu sein, stieg sie in die Sommerstube hinauf und suchte im Schrankschube nach dem Sparkassenbuch. Es war verschwunden. Das Zeitungspapier, worin es sonst eingeschlagen gewesen war, lag zu einem Ballen zusammengeknüllt in einer Ecke. Gott sei Dank! Um elf Uhr spätestens konnte er das Geld auf der Sparkasse erhoben haben, um fünf Uhr nachmittags war er über der Grenze. Erleichtert und zugleich betrübt darüber, daß es so weit mit ihr gekommen sei, wegen eines solchen Vorkommnisses befriedigt zu sein müssen, begab sie sich wieder in die Wohnstube, und ihr Herz füllte sich zum Zerspringen mit all den marternden Möglichkeiten der Zukunft.

      Der Wintertag war klar geworden. Der Nebel hatte sich in die Hohe gezogen. Sein weißes Licht wandelte still durch die Fenster, und alle Gegenstände sahen aus, als flösse intensiver Mondschein darüber. Manchmal fiel eine große Schneeflocke durch die Luft, langsam und unentschlossen, wie wohl in der stehenden Stille eines Maitages weiße Blütenblätter säumend zur Erde wanken. Dann war wieder nichts als das Wogen dieser milchweißen Helle vor dem ferneren Walde zu sehen.

      »Du?« fragte Marie in die schöne Gestorbenheit hinein ihren Gott und ihr Schicksal, »du? ... du? ...« erstickend, hilflos.

      In der Ferne klangen Schritte auf, die sich hastig dem Höfchen näherten. Marie trat vom Fenster zurück in die Mitte der Stube, um möglichst unauffällig den Ankömmling mustern zu können, und sah gleich darauf Käthe, ihre Schwägerin, eilig an dem Brunnenhäuschen vorüber der Haustür zustreben. Sie trug einen Korb am Arme, war sonntäglich gekleidet, und ihre Wangen waren von dem schnellen Gange gerötet. Marie hatte kaum Zeit, an den Herd zu treten und, einen Quirl ergreifend, sich den Anschein zu geben, als sei sie in emsiger Tätigkeit, als das Mädchen auch schon, vor der Stubentür angelangt, sich den Schnee von den Füßen stieß und dann geräuschvoll hereinkam. Weißer Dunst, wie ein Wolf, quoll vor ihr her, wälzte sich über die Diele und verschwand, als verkrieche er sich unter der Bank.

      Im Augenblick wußte Marie, daß sie Kathe nichts von dem Vorgefallenen merken lassen dürfe, um größeres Unglück zu verhüten, und launig erwiderte sie auf den Gruß des Mädchens: »Ja, ja, die Kälte macht schnelle Füße!«

      Dabei verfolgte sie Kathe, die mit ihrem Korb nach der Bank hinging, mit totblassem, mißtrauischem Gesicht und dachte: Was wird nur werden?

      »Du haste recht, das beißt ja orndtlich unter de Nägel«, sprach das Mädchen und legte, ohne sich umzuwenden, eifrig alte Kleider aus dem Korbe. Dabei redete sie hastig.

      »Gell, immer wunder dich, eine ganze Lade bring ich mite. Nu ja, ma kann doch nie aso durchs Dorf gehn«. Du kennst'n wohl noch nicht, nu nee, 's kann ja auch nich sein. Er is doch erscht zu Michaeli vo a Soldaten heemgekommen, Schreiber Gusta Seffe. Ach, was ma a so dumm is! Aber dir kann