»Setzen wir uns oder stehen Sie lieber?«, fragte sie.
Drass drehte sich vom Fenster weg und lächelte.
Sie setzten sich an den Küchentisch, schwiegen eine Weile und schlürften den heißen Kaf fee, bis Cosma aufstand und eine Tüte Kekse aus dem Schrank nahm.
»Schokokekse. Sie sind mein absolutes Laster. Aber heute habe ich mir wohl welche verdient. Oder?«
Er nickte und bediente sich.
»Ich auch«, antwortete er und begutachtete den Keks. »Eigentlich wollte ich heute mit Freunden aufs Land fahren und dort grillen.«
Er sah sie an.
»Ums Grillen ist es nicht schade. Das hätten wir wahrscheinlich bei diesem Wetter sowieso gelassen, aber einer der Freunde fährt morgen für ein Jahr zu einem Auslandseinsatz. Ich hätte ihn gerne noch einmal gesehen.«
»Vielleicht später? Nach Feierabend?«, fragte Cosma.
Drass schüttelte den Kopf.
»Er fliegt um vier.«
»Mmh.«
»Und was waren Ihre Pläne für diesen Sonntag?«
»Laufen – den Teil habe ich erledigt. Auf dem Sofa liegen und lesen und abends der obligatorische Weltspiegel. Das kann ich ja noch alles tun.«
»Keine Verabredung?«
»Nein, Sonntag ist mein ›freier Tag‹.«
Sie malte Anführungszeichen in die Luft.
»Der einzige Tag, den ich versuche, nicht zu verplanen. Manchmal ergibt sich etwas … zum Beispiel wie heute. Ich f inde eine Leiche und lerne richtige Polizisten kennen.«
Sie holte tief Luft, zögerte einen Moment und seufzte. »Aber eigentlich lasse ich mir lieber von meiner Schwester,die ein absoluter Krimifan ist, solche Geschichten erzählen, als mittendrin zu sein.«
Sie schwiegen wieder. Nach einer Weile stand Cosma auf.
»Bin gleich wieder da.«
***
Breschnow war gespannt, was die Spurensicherung entdeckt hatte. Am Telefon wollte Manfred es ihm nicht sagen.
Elender Geheimniskrämer, dachte er, schaf ft es immer wieder, mich rennen zu lassen.
Er stellte den Wagen am Parkeingang ab und hetzte den breiten Weg entlang. Unter Regenschirmen halb verborgen, standen die Dealer wieder an ihren Stammplätzen, boten ihm aber keine Drogen an. Mittlerweile hatte sich eine Traube von Presseleuten und Gaf fern an der Tunnelabsperrung versammelt. Der Mord war für die Neuköllner eindeutig das Ereignis des Morgens.
Er ignorierte die Fragen der Journalisten, stieg über das Absperrband und eilte zu Manfred.
»Was habt ihr gefunden?«, fragte er ungeduldig.
Sein Kollege führte ihn zu dem Zelt und reichte ihm eine große durchsichtige Tüte. Breschnow sah erdverschmierte blutige Kleidung. Er besah sich die Fundstücke von allen Seiten und konnte eine Sandale, eine Jeans und ein rotes T‑Shirt erkennen.
»Wo habt ihr das her?«
»Aus dem Gebüsch am Tunnel. Die Sachen waren zwar vergraben, aber die Erde darüber war nicht besonders sorgfältig verteilt worden. Der Regen hat sie zusammengedrückt und Pfützen gebildet. Also haben wir gewühlt und voilà!«
»Meinst du, das ist die Kleidung des Täters oder, wie es ja eher aussieht, der Täterin?«
Manfred zuckte mit den Schultern.
»Kann sein, ist auch wahrscheinlich. Es wäre schon ein merkwürdiger Zufall, hier und heute blutige Sachen zu f inden, die nichts mit dem Mord zu tun haben. Aber Genaueres wissen wir erst, wenn wir das Blut des Opfers bestimmt und mit dem an der Kleidung verglichen haben.«
Er drehte sich wieder zum Tisch.
»Und hier haben wir noch was«, sagte er und reichte Breschnow einen in Plastik verpackten Zettel.
»Wo habt ihr den her?«
»Steckte in der Gesäßtasche der Jeans.«
»Außer Erde und Blut kann man kaum noch etwas darauf erkennen«, brummte Breschnow.
»Wir nicht, aber die im Labor bestimmt«, grinste Manfred und nahm ihm den Zettel wieder aus der Hand.
***
Drass schob sich noch einen Keks in den Mund und sah sich um. Es interessierte ihn, wie andere Leute sich einrichteten. All diese Details, all das unnütze Zeug, das nur herumstand, aber eine Wohnung erst gemütlich machte und viel über ihre Bewohner verriet. Er hatte kein Händchen für Wohnungen, wohl eher für Autos. Er stopfte sich noch einen Keks in den Mund und sah sich den schönen alten Küchenschrank genauer an. Seine Großmutter hatte einen ähnlichen besessen, und er fragte sich, wo dieser schon überall gestanden hatte.
Sein Blick glitt den Fußboden entlang. Sie hatte die Dielen abgezogen, um anschließend rote Farbe ungleichmäßig darauf zu verstreichen. Das gef iel ihm. Und es passte hervorragend zu der Farbe des Schrankes.
Aber der Staub, dachte er, neben dem Schrank ist der Staub unterbrochen.
Neugierig erhob er sich, um genauer hinzusehen. Berufskrankheit, dachte er und ging in die Hocke.
Cosma erstarrte, als sie in die Küche zurückkam. Vor ihr stand der Polizist mit einem langen blutigen Messer. Er hielt es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigef inger hoch und sah sie fragend an.
»Frau Anderson, was ist das?«, fragte er mit kalter Stimme.
Sie starrte auf das Messer, konnte nicht antworten. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Drass sah sie fragend an. Mit der freien Hand zog er umständlich eine Plastiktüte aus seiner Sakkotasche und verstaute den Fund darin.
»Ich frage Sie noch einmal. Was hat das mit dem Messer auf sich? Frau Anderson? An dem Messer klebt Blut! Erklären Sie mir das … Bitte.«
Seine Stimme erwärmte sich etwas.
Cosma starrte auf den Boden, der leicht zu schwanken schien.
Sie zwang sich, den Blick zu heben, und räusperte sich.
»Ich weiß es nicht. Ich habe das Messer vorher noch nie gesehen. Was macht es hier in meiner Küche?«
Sie schlich an ihm vorbei zum Tisch, musste sich setzen. Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie zitterte.
»Was passiert hier?«, fragte sie schluchzend.
Drass machte einen Schritt auf sie zu, zögerte, drehte sich um und ging zur Küchentür. Er musterte Cosma misstrauisch, versperrte mit seinem Körper den Ausgang, holte das Handy hervor und wählte.
***
Es klingelte in Breschnows Hosentasche.
»Ja … gut. Ja, lass sie abholen. Aber wartet auf mich. Ich möchte noch kurz mit ihr reden.«
Er sah Manfreds fragenden Blick und hielt die Plastiktüte hoch.
»Kannst du das heute noch untersuchen?«
Manfred nickte.
»Gut. Pack deine Sachen. Wir fahren zum Maybachufer. Ein blutiges Messer in der Küche der Zeugin. Wo sind Delego und Subat?«
»Waren vor ungefähr zehn Minuten noch hier.«
Breschnow wählte die Nummer der Kollegin.
»Wie läuft es bei euch?«
»Negativ«, seufzte Delego. »Unsere Klienten sind nicht besonders gesprächsbereit. Entweder schnell im Gebüsch verschwunden oder schon zu besoffen, um reden zu können.«
»Mmmh,