Oben angekommen schloss sie ungeschickt die drei Schlösser ihrer Wohnungstür auf. Subat ließ sie los, und sie betrat den kleinen Wohnungsflur. Die Polizisten folgten ihr. Delego schloss die Tür und sah sich um. Schon auf den ersten Blick war die Wohnung der totale Gegensatz zum Haus. Sie war sauber, aufgeräumt und hell. Von dem schmalen Eingangsflur zweigten vier Türen ab. Die erste führte in ein schmales Bad, die zweite in eine kleine Küche und die dritte, an der Stirnseite des Flures, in ein verdunkeltes Schlafzimmer.
Cosma öf fnete die vierte Tür. Sie führte in ein großes Wohnzimmer, das nach vorne zur Straße hin lag.
»Wohnen Sie allein?«, erkundigte sich Delego, als sie an ihr vorbeiging.
Cosma nickte.
»Vielleicht sollten wir beide erst einmal ins Schlafzimmer gehen, damit Sie sich umziehen können«, schlug die Polizistin vor.
»Ich muss vorher noch aufs Klo, und umziehen kann ich mich alleine.«
Subat löste sich vom Fenster, sah sich die CD‑Sammlung an und pf if f anerkennend durch die Zähne. Delego stellte sich neben ihn.
»Schau dir das an! Sie ist eine richtige Sammlerin, Musik quer durch die Geschichte«, sagte er leise. »Jazz, Klassik, Pop, einige Raritäten.«
Sie hörten erst die Klospülung, dann den Wasserhahn rauschen. Kurz danach kam Cosma mit zwei grünen Handtüchern ins Wohnzimmer und reichte sie den beiden. Dann trat sie an die Stereoanlage und legte eine CD ein. Wenig später erfüllten Trompetenklänge von Miles Davis den Raum. Die beiden Polizisten sahen sie erstaunt an.
Als Cosma zum Schlafzimmer ging, folgte Delego ihr. Im Raum war es dunkel. Cosma zog die blaue Jalousie hoch, um das trübe Licht von draußen hereinfließen zu lassen. Delego lehnte die Tür nur an, sodass Miles Davis immer noch leise zu hören war. Langsam streifte Cosma sich die Überzieher von den Füßen und öf fnete den Kleiderschrank.
»Ich habe mit der ganzen Sache im Park nichts zu tun«, sagte sie leise, während sie sich eine Jeans und ein langärmeliges T‑Shirt grif f. Aus der Kommode holte sie einen BH, einen Slip und Socken.
»Ich war beim Joggen, und da lag dieser Mann. Ich weiß auch nicht, warum ich stehen geblieben bin …«
Langsam zog sie die nassen Sachen aus.
Delego stand am Fenster und schaute auf den trostlosen Hinterhof hinunter. Dann drehte sie sich langsam um und sah die blauen Flecken auf Cosmas Rücken und ihren Oberarmen.
»Was ist mit Ihnen passiert?«, fragte sie besorgt.
Hastig zog sich Cosma das langärmelige T‑Shirt über.
»Nix!«, antwortete sie barsch und sammelte nervös ihre nassen Sachen zusammen. Bevor sie die Schlafzimmertür aufmachen konnte, grif f Delego ihren Arm und hielt ihr eine große durchsichtige Tüte hin.
»Wir brauchen Ihre Kleidung für die Spurensicherung.«
Cosma sah sie fragend an.
»Sie standen neben der Leiche«, ergänzte die Polizistin.
»Und?«
»Eventuell haben Sie Fasern hinterlassen.«
Widerwillig stopfte Cosma ihre Kleidung in die Tüte, riss die Schlafzimmertür auf und zwängte sich wortlos an Delego vorbei. Sie raste in die Küche, holte ihren Rucksack und hielt Subat ungefragt ihren Ausweis unter die Nase.
»Können wir jetzt gehen?«, fragte sie genervt.
Verwundert sah der Polizist seine Kollegin an. Delego nickte.
»Klar, los geht’s«, antwortete Subat etwas zu fröhlich.
Wortlos ging Cosma ins Wohnzimmer und stellte die Anlage ab. Dann stöpselte sie sich die Kopfhörer ihres iPod in die Ohren, öf fnete die Wohnungstür, winkte die beiden an sich vorbei und zog die Tür zu. Delego ging voran, Subat bildete das Schlusslicht. Niemand hielt sie am Arm fest.
Draußen nahmen die beiden sie wieder in die Mitte und überquerten die Straße. Schweigend stiegen sie in den Transporter. Dieses Mal setzte sich Subat neben sie, und Cosma war froh, dass die Polizistin fuhr. Es war ihr peinlich, dass sie ihren Rücken gesehen hatte.
»Du kannst losfahren, Delego. Hier hinten ist alles klar.«
***
Er stand auf einer kleinen Anhöhe und sah dem regen Treiben dort unten aufmerksam zu. Der große Regenschirm hielt ihn trocken. Zufrieden stieg er den niedrigen Hügel wieder hinab.
***
Breschnow war zurück zum Tunnel gegangen. Er war heute sehr schlecht in Form. Zu viel Alkohol und zu viele Zigaretten gestern Nacht in seiner Stammkneipe. Um kurz nach fünf dann der Anruf von der Zentrale. Eine Leiche in der Hasenheide. Sie hatten ihn nach knapp zwei Stunden Schlaf aus seinem Sessel geklingelt, und er hatte eine eiskalte Dusche gebraucht, um überhaupt zu sich zu kommen. Auf dem Weg zum Tatort hatte er die Kollegen von der Spurensicherung und der Gerichtsmedizin informiert.
Sein Schädel hämmerte, und sein Magen rebellierte nach den Schmerztabletten auf nüchternen Magen. Missmutig dachte er an die junge Frau. Sie war an seinem Tatort herumgetrampelt – oder war sie dahin zurückgekommen?
Und er war sauer, heute Morgen im strömenden Regen hier in der Hasenheide sein zu müssen. Wieder einmal kam ihm der Gedanke, den Dienst zu quittieren. Aber wofür? Um sich dann vor lauter Langeweile totzusaufen?
Vielleicht keine schlechte Alternative, dachte er bitter und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.
Of fensichtlich hatten die Uniformierten die Kollegen unterstützt, denn das Gelände war bereits weiträumig abgesperrt. Zwei Scheinwerfer tauchten den Tunnel in gleißend helles Licht, der kleine Generator stand am Eingang und brummte geschäftig vor sich hin.
Breschnows Handy klingelte. Kurz darauf hörte er von einer trockenen Stimme aus der Zentrale, dass heute keine weiteren Kollegen zur Unterstützung bereitgestellt werden konnten.
Ohne etwas zu erwidern, drückte er die Stimme weg und fluchte. Jetzt würden sie den ganzen verdammten Tag in diesem Park verbringen.
»He, du siehst heute echt scheiße aus!«, grinste Manfred. »Kommst du direkt aus der Kneipe?«
»Mehr oder weniger«, knurrte Breschnow.
Die beiden tranken öfter mal ein Bier zusammen. Der Spurensicherer ein bis zwei, Breschnow in derselben Zeit acht.
Manfred klopfte ihm kameradschaftlich auf den Rücken und drückte ihm einen weißen Overall in die Hand.
»Du kannst dich da hinten umziehen.«
Breschnow ging zu dem kleinen Zelt, das die Spurensicherung aufgebaut hatte, um ihre Instrumente zu schützen.
Drinnen war es sehr eng, und er bemühte sich, keines der Geräte umzuwerfen. Seine nassen Klamotten ließ er einfach auf den Boden fallen und schob sie mit dem Fuß unter das nächste Regal. Auf einem kleinen Tisch daneben stand eine große Thermoskanne mit Kaf fee. Er goss sich einen Becher voll und stimmte innerlich einen Lobgesang auf die Kollegen an. Das heiße Getränk wärmte ihn ein wenig, und er verließ besänftigt das Zelt. Die Gerichtsmedizinerin kniete bereits neben der Leiche. Ihr Overall spannte ein wenig über ihren üppigen Kurven. Die Haare hatte sie unter einem geschickt gebundenen roten Tuch verborgen. An den Seiten lugten schwarze Löckchen hervor. Sie war wie immer kunstvoll geschminkt. Ein junger Fotograf schwirrte aufgeregt um sie herum.
»Na, Gerichtsmedizinerin aus Leidenschaft, ist der denn schon volljährig?«, fragte Breschnow grinsend mit Blick auf den jungen Mann.
»Grade mal eben«, lachte Monika. »Heute Morgen war niemand aufzutreiben, da habe ich in meiner Not den Praktikanten angerufen. Aber er macht seine Sache sehr gut!«
Sie schenkte