Im innersten Herzen hoffte Jule dennoch, daß alles gut ausgehen werde. Sogleich nach Feierabend packte er sein Handwerkszeug rasch zusammen, zog den Arbeitskittel aus, kleidete sich sorgsam an und nahm vier schöngebundene Bücher unter den Arm. Damit ging er nach der Buchhandlung des Herrn Kalks.
Im Laden waren mehrere Käufer. Jule, der sehr selten eine Buchhandlung betrat, schaute heute voller Aufmerksamkeit die ausgelegten Bücher an. Bange Zweifel überkamen ihn. Er sah dicke Bücher, die den Preis von zwölf Mark zeigten. Andere kosteten acht Mark, ja es gab sogar recht viele für eine Mark. – Und er wollte viertausend haben! Scheu drückte er sich in die Ecke des Ladens und wartete, bis die Käufer das Geschäft verlassen hatten. Dann trat er hervor. Ein wenig beklommen legte er die vier Bücher vor dem Buchhändler nieder.
»Das sind Bücher von dem berühmten Professor Bender, der über Steine und Blumen schreibt. – Ich möchte diese Bücher verkaufen. Sie haben keine Schmutzflecke und keine Eselsohren. Ich möchte dafür genau so viel Geld haben, wie der Professor bekommt.«
Buchhändler Kalks betrachtete die Bücher. Es waren funkelnagelneue Exemplare.
»Wo haben Sie denn die Bücher her, junger Mann?«
»Es sind meine Bücher.«
»Wie kommen Sie zu diesen Büchern?«
Jule reckte sich hoch auf. »Wie ich dazukomme?« sagte er grob. »Der Herr Professor hat sie mir gegeben. Wenn ich ihm die Steine nicht gebracht hätte, würden die Bücher nicht geschrieben worden sein. Ich bin der Jule Kretschmar, der Freund vom Professor. Darum hat er mir die Bücher gegeben.«
»Und nun wollen Sie sie verkaufen?«
»Ja.«
»Mein lieber junger Mann, ich habe bereits einige Bücher des Herrn Professors. Von wissenschaftlichen Büchern lege ich mir nicht gern ein Lager hin. – Sie haben diese Bücher geschenkt bekommen?«
Jule beugte sich über den Ladentisch und klappte eines der Bücher auf. »Von dem Buch weiß man in der Schweiz und in Schweden. Alle berühmten Leute kommen wegen dieser Bücher hierher. Ich sollte meinen, eine Buchhandlung müßte solch ein Buch haben. – Nehmen Sie es doch, ich will es Ihnen gern verkaufen.«
Jule achtete nicht darauf, daß während seiner Rede ein neuer Kunde den Laden betreten hatte. Eifrig fuhr er im Reden fort: »Das hier hat einen schönen blauen Deckel und goldene Schrift darauf. Das müssen Sie mir sehr gut bezahlen. Ich kann das Buch nicht brauchen.«
»So, so, Jule – –«
Jule fuhr herum und wurde blaß. Hinter ihm stand Professor Bender, sein Vormund.
»Der Kater – der Kater – der Besen«, murmelte er zusammenknickend. »Ich hab's ja gewußt.« Erregt packte er die Bücher zusammen, schob sie unter den Arm und rief: »Ich komme wieder, wenn der Herr Professor nicht mehr da ist.«
Aber Bender verstellte dem Flüchtenden den Weg. »Wir sprechen noch darüber, Jule. Die Bücher kannst du mir heute nach dem Abendessen zurückbringen.«
Jule war froh, daß er sich an seinem Vormund vorbeidrücken konnte. Im schnellen Lauf ging es heimwärts. Die Bücher rutschten ihm zwar dreimal unter dem Arm weg und fielen auf die Straße, doch das erregte Jule nicht so sehr, wie die Begegnung mit seinem Vormund. Er fühlte, daß er etwas Ungeschicktes getan hatte. Erst die Bücher erbitten, dann zum Verkauf anbieten, das würde Professor Bender kränken.
»Ich hätte heute nicht gehen dürfen – der Kater hat's mir doch angezeigt, daß Schlechtes bevorsteht. Ich bin ein Esel, ja, ich bin ein großer Esel. – Ach, ich habe doch gar keine Freuden mehr!«
Am Abend kam Jule zu Benders. Sogleich suchte er Pommerle auf, drückte ihr die vier Bücher in den Arm und stotterte: »Gib sie dem Professor – ich mag sie nicht mehr. Und reisen können wir nun auch nicht. Fahre du nur ruhig weg. Du hast immerfort Freude, und ich hab' keine.«
»O doch, Jule, du sollst auch viel Freude haben. Jeden Tag eine neue! – Warte nur, ich weiß schon, was ich mache. Du wirst dich sehr freuen.«
»Ich freue mich überhaupt nicht mehr. – So, nun muß ich fort.«
Schon war er davongelaufen.
Jule hatte es heute sehr eilig. So brachte Pommerle dem Vater die Bücher.
»Väti, er meint, er hat keine Freude mehr. – Väti, wollen wir ihm nicht zu Ostern rasch noch 'ne große Freude machen? Wenn wir gleich nach Ostern fortfahren, muß der Jule doch noch mit Freuden an uns denken.«
»Der Jule hat eine Strafe und keine Freude verdient, Pommerle.«
Die Kleine kletterte auf des Professors Knie. »Väti, du weißt doch, jeder muß seine Freude haben, sonst wird er ein knurriger Mensch. Und wer viel Freude in seinem Leben hat, wenn er noch klein ist, der lacht dann immer noch, wenn er alt und häßlich ist. Dann denkt er zurück an die Freuden, die er früher hatte. Bald sind wir vier Monate fort von Jule. Wenn er in den vier Monaten gar keine Freude hat, wird er ein vergrämter Herr, wenn wir wiederkommen.«
»So schlimm wird es nicht sein, mein Kleines. Doch du hast recht, jeder Mensch muß von Zeit zu Zeit eine Freude haben – Was willst du denn dem Jule für eine Freude machen?«
Pommerle brachte die Lippen an des Vaters Ohr, dann schwabbelte sie so hastig Satz für Satz hinein, daß Bender mehrmals den Kopf fortbeugte, weil es im Ohr summte und brummte.
»Meinste nicht auch, Väti, daß er damit seine große Freude hat, solange wir in der Schweiz sind?«
»Ich soll dir also Geld geben, Pommerle? Was kostet dein Geschenk?«
»Du brauchst mir nur noch ein bißchen zu geben. Seitdem ich weiß, daß wir nach der Schweiz fahren, habe ich mir immer was zurückgelegt. Das nehme ich jetzt für den Jule.«
»Wieviel hast du denn zurückgelegt?«
»Dreiundachtzig Pfennig, und eine Mark und fünfzig Pfennig kostet die Freude. – Nicht wahr, Väti, für den Jule können wir doch soviel Geld ausgeben? Wenn wir nach der Schweiz fahren, kostet es viel mehr. Ich habe gestern den Speisezettel vom ›Hotel zur Schneekoppe‹ gelesen, er hängt draußen neben der Tür. Wenn man dort ein einziges Mal Mittag essen will, kostet es eine Mark und fünfzig Pfennig, und wenn wir alle drei essen, kostet es – – kostete es – vier Mark und fünfzig Pfennig. – Meinst du nicht, Väti«, schmeichelte die Kleine, »daß wir da für den Jule eine Mark und fünfzig Pfennig ausgeben können?«
»Wenn du meinst, daß du ihm damit eine große Freude machst – –«
»Die aller-allergrößte, die er überhaupt haben kann. Ich habe mich gestern so gefreut und die Mathilde auch. Als wir aus der Schule kamen, haben wir uns alles angehört. Es war herrlich!«
»Meinetwegen, Pommerle. – Hier hast du eine Mark und fünfzig Pfennig – –«
»Nein, Väti, ich will doch von meinem Geld dem Jule was schenken. Du brauchst mir nur das zu geben, was noch zu meinem Gelde fehlt. Aber – wenn du mir dann das andere schenkst, damit ich mir in der Schweiz auch mal eine Freude machen kann, nehme ich es gern, und dafür gebe ich dir jetzt diesen Kuß. – So!«
Pommerle strich die drei Fünfzigpfennigstücke rasch ein.
»Du kleine Krabbe«, sagte Bender zärtlich. »Ich würde mit dem Geschenk aber warten bis zum Tage unserer Abreise.«
»Freilich, Väti, aber morgen kaufe ich es schon. Ich darf doch? Wenn ich aus der Schule komme, gehe ich gleich zum Herrn Gumpel.«
»Aber sei hübsch vorsichtig, Pommerle. Solch ein Ding ist zerbrechlich.«
Am nächsten Tage konnte Pommerle kaum den Schulschluß erwarten. Sie vertraute ihrer Schulfreundin Mathilde an, daß sie heute zu Gumpel gehen werde, um für den Jule ein