Die bekanntesten Kinder- & Jugendbücher. Magda Trott. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magda Trott
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027221226
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Und nun hatte Pommerle, ganz durch Zufall, eine Platte gehört, die »alpisch« redete und von den Alpen sang. Meister Reichardt besaß auch ein Grammophon, und Jule starrte jedesmal die schnellaufende Platte mit großen Augen an; er konnte nicht begreifen, daß aus der Platte die Töne kamen. Wenn er jetzt sogar das »alpische« hörte, konnte er in Gedanken Pommerle auf der Reise begleiten und jeden Abend, wenn die Platte spielte, seine große Freude haben. So würde er kein vergrämter alter Herr werden.

      »Hier hätte ich eine sehr hübsche Platte, Pommerle: Wo die Alpenrosen blühn, dahin – dahin möcht' ich ziehn!«

      »Lassen Sie die Platte, bitte, mal spielen.«

      Das Lied wurde gespielt, doch Pommerle schüttelte den Kopf. »Ich finde das Lied von den roten Alpenrosen, vom blauen Enzian und vom weißen Edelweiß noch viel schöner. Der Jule hat alle Blumen so lieb, dem wird das Lied auch gut gefallen. – Bitte, ziehen Sie noch mal die Platte auf.«

      Entzückt lauschte das kleine Mädchen dem Gesang. Das war gewiß ein Alpenmädel, das dieses Lied in der schönen Schweiz sang, solch ein Mädel mit rotem Rock und schwarzem Samtmieder. Es sprach so komisch, gar nicht so, wie man in Hirschberg redete. Der Vater meinte, in der Schweiz sprächen viele Leute anders als hier in Schlesien.

      »Almenrausch, Almenrausch, bischt a liab's Blümle,

       Almenrausch, Almenrausch, blüahst so schön rot.«

      Pommerle warf der Freundin einen verzückten Blick zu. Weiter und immer weiter sang die Stimme.

      »Hör mal, Mathilde, jetzt geht es vom Enzian los. Enzian haben wir auch im Riesengebirge. – Ach, wird der Jule eine große Freude haben!«

      »Enzian, Enzian, bischt a liab's Blümle,

       Enzian, Enzian, blüahst so schön blau.

       Blau ischt die Treue, und treu ischt mein liaber Bua ...«

      Pommerle hätte am liebsten gejauchzt. Es war gerade so, als ob das Lied nur für den Jule sei. Er war auch ein lieber Bua und treu dazu. Der dritte Vers, der vom Edelweiß handelte, wurde andächtig von den Mädchen angehört. Er war sehr traurig, das Büble war tot.

      »Der Väti hat gesagt, das Edelweiß wohnt hoch oben in den allerhöchsten Bergen. So hoch werde ich wohl nicht kommen, um eines herunterzuholen. Man darf es auch nicht pflücken, sonst kommt ein Schweizer Polizist oder ein Grenzjäger und verbietet es. Das hat auch der Väti gesagt. Aber wenn ich mal eins sehe und es ist gerade kein Schweizer Polizist in der Nähe, dann knipse ich doch ganz behutsam ein Edelweiß für den Jule ab, damit er seine Freude hat. Ich werde dem Blümchen die Beinchen nicht ausreißen, Mathilde. Sie können in seinem Erdbettchen steckenbleiben. Aber der Jule hat doch soviel Freude an schönen Blumen und –«

      »Soll es diese Platte sein, Pommerle?«

      »Ja, vom Enzian und dem treuen Bübelein. Die Platte schenke ich meinem Jule, weil er auch so treu zu mir ist.«

      »So, so«, lachte der Musikalienhändler. »Du bist wohl schon mit dem Jule einig?«

      »Der Jule wird mal ein großer Tischler, ein berühmter Tischler. Er macht dann für die Schweiz und für Schweden die Möbel. Dann kann er auch in die Schweiz fahren und Edelweiß pflücken. Aber jetzt müssen wir den Jule hier allein zurücklassen. – Ich hätte wohl eine Bitte – –«

      »Was soll's denn sein, Pommerle?«

      »Damals sind wir aus der Schule hier vorbeigekommen, da war die Tür auf, und Musik kam aus Ihrem Zimmer. Wenn die Tür zu ist, hört man nichts. Der Jule hat aber so gern Musik. Wollen Sie nicht die Tür rasch aufmachen, wenn Sie den Jule vorbeigehen sehen? Wir fahren doch weg, dann hat der Jule nur die Meisterfamilie, und er braucht doch auch ein bißchen Freude. Nicht wahr, Herr Gumpel, wenn Sie den Jule sehen, spielen Sie ihm was Schönes vor.«

      »Du kleines liebes Mädelchen! – Wenn der Jule uns die Stühle zurückbringt, die bei Meister Reichardt zur Reparatur sind, werde ich ihm was vorspielen.«

      »Ach, ich danke schön.«

      Beglückt zog Pommerle mit der Grammophonplatte los, nachdem sie vorher nochmals von Herrn Gumpel ermahnt worden war, recht behutsam damit umzugehen, weil sie sehr zerbrechlich sei. So trug das Kind das wertvolle Geschenk mit größter Vorsicht in beiden Händen heim.

      Am Nachmittag mußten sich Benders die Platte vom Almenrausch etwa zehnmal vorspielen lassen, und immer wieder wollte Pommerle bestätigt hören, daß der Jule an dem Blumenlied seine große Freude haben werde.

      Auch in den nächsten Tagen wurde die Platte so häufig gespielt, daß Pommerle das Lied bald auswendig konnte.

      »Mutti«, jubelte sie, »jetzt bin ich ein richtiges Schweizermädel, jetzt kann ich alpisch sprechen!« –

      Vor dem Freunde hielt Pommerle ihr Geschenk noch streng geheim. Erst am Abschiedstage sollte es ihm das Scheiden versüßen. Jule würde, die Platte unter dem Arm, heim eilen, um das Lied zu hören, würde sich freuen und nicht an sein Pommerle denken, das ihn für vier Monate verlassen hatte. Trotzdem überlegte das gutherzige Mädchen immer wieder, was es Jule noch für Freuden bereiten könne. Das Osterfest würde man gemeinsam verbringen, und Pommerle beschloß, beim Suchen der Eier recht flüchtig zu sein, damit Jule die meisten fände, denn auch Schokolade machte ihm Freude.

      Das kleine Mädchen war von den Reisevorbereitungen vollkommen ausgefüllt. Was würde es alles sehen? Immer wieder begann es von Wilhelm Tell zu erzählen, und ebensooft rümpfte der Jule verächtlich die Nase.

      »Pah, der Wilhelm Tell! Der ist gar nichts. Aber der Rübezahl, der kann sich in eine Maus verwandeln, er kann Steine zu Gold machen. Das kann dein Wilhelm Tell nicht. – Mir gefällt der Rübezahl viel besser, ich würde niemals aus seinem Reich 'nausgehen.«

      »Oh, Jule, ich werde das Wasser sehen, auf dem der Tell bei großem Sturm gefahren ist. Dann hat er den Kahn mit dem Fuß zurückgestoßen, ist auf eine Klippe gesprungen. Die Klippe werde ich auch sehen und die Gasse, in der er den scheußlichen Geßler niedergeschossen hat – –«

      »Was ist denn dabei? – Hier siehst du Rübezahls Leichenstein, Rübezahls Wurzgarten, Rübezahls Kanzel und vieles andere. Der Tell ist lange nicht so wichtig wie der Rübezahl.«

      Ganz plötzlich wurde das ärgerliche Gesicht Jules sorgenvoll. Mehrmals legte er den Finger an die Nase und rieb sie kräftig.

      »Es geht nicht gut aus. Ich falle heute noch in den Schmutz.«

      »Warum denn, Julchen?« fragte die Kleine neugierig.

      »Wenn die Nase juckt«, erwiderte Jule düster, »bekommt man entweder ein Stück Kuchen oder fällt in den Schmutz. – Ich bekomme wochentags aber keinen Kuchen vom Meister – also falle ich in den Schmutz. Gerade heute, wo es so stark geregnet hat, werde ich auf der Straße stolpern. Dann soll ich noch den Nähtisch forttragen. – Dabei werde ich stolpern, in den Schmutz fallen, der Nähtisch wird zerbrechen, und der Meister wird schelten. – Es geht nicht gut aus!« Und wieder rieb Jule die Nase kräftig.

      »Vielleicht kriegste doch noch ein Stück Kuchen«, tröstete ihn Pommerle.

      »Nein, nein, ich falle in den Schmutz«, beharrte Jule.

      Ein Weilchen betrachtete Pommerle den sorgenvollen Ausdruck im Gesicht des Freundes. Dann lief sie hastig aus der Werkstatt. Am Ende der Straße wohnte der Konditor Hanke, der hatte viel Kuchen. Der arme Jule sollte nicht in den Schmutz fallen, sollte auch nicht den Nähtisch zerbrechen. Die zehn Pfennig, die Pommerle gestern, am Sonntag, von der Mutti bekommen hatte, wollte es eigentlich für die Schweizer Reise sparen, um mal mit der Bergbahn ein Stück an einem Berg emporzuklettern. Da aber der arme Jule heute noch in den Schmutz fallen sollte – –

      »Geben Sie mir ein recht großes Stück Kuchen für zehn Pfennig. Es kann schon ein bißchen vertrocknet sein. Das merkt der Jule nicht. Er stopft alles rasch in den Mund und schluckt es 'runter.«

      Die gutherzige Konditorsfrau schenkte Pommerle außer dem gekauften Kuchenstück noch zwei Anisplätzchen. Pommerle