Dorian van Delft. Wolfram Christ. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfram Christ
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946691204
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Vollmacht keine Gültigkeit besitzen, Herr Leutnant.“

      „Ich kann Sie auch wieder binden lassen.“

      „Sie können mich von mir aus erschießen, Herr Leutnant. Ich habe einen Schwur geleistet. Im Übrigen sollten Sie wissen, dass ein ranghöherer Offizier dem rangniederen grundsätzlich nie zur Auskunft verpflichtet ist.“ Weil er einen Moment überlegte, beschloss ich nachzulegen. „Wissen Sie, außer uns überqueren zurzeit mehrere preußische Spezialisten die spanische Grenze. Zu Land, zu Wasser und sogar mit dem Ballon. Auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an. Wenn die Ehre von König und Vaterland auf dem Spiel steht, zählt ein Leben wenig.“ Ich brachte dies so gelangweilt wie möglich vor, sog an meiner Zigarre und beobachtete den Leutnant. Der Mann wurde sichtbar nervös. Also wollte ich ihn nicht zu sehr auf die Folter spannen. Nicht, dass er die falschen Schlüsse zog und uns gleich abknallte.

      „Weil ich Ihnen aber mein Wort als Offizier gegeben habe, bin ich zur Kooperation bereit. Ein Vorschlag: Bringen Sie uns zu Ihrem Vorgesetzten und ich werde ihm erzählen, was ich weiß.“

       Fußnote van Delft, Rotterdam im Januar 1871

      Da hatte ich mir ja einen tollen Begleiter ausgesucht. Irgendwie ließen mich Menschenkenntnis und Glück Gott sei Dank nie im Stich. Fridolin, Fridolin! Ein gerissener Bursche. Wie er diese ganze lange Rede in stoischer Ruhe vortrug? Dazu wäre ich viel zu aufgewühlt gewesen. Ich rieb mir die schmerzenden Handgelenke und folgte gespannt dem Geschehen.

      Und tatsächlich. Der Franzose schien beeindruckt. Kein Wunder. Wenn Fridolins Angaben gestimmt hätten, dann wäre eine vollständige und gründliche Untersuchung natürlich unvermeidlich gewesen. Den „Spion“ voreilig zu erschießen, konnte unserem Leutnant in dem Fall den Kopf kosten. Andererseits beging Fridolin nicht mal einen Meineid, wenn er versprach „alles zu sagen, was er wusste“. Er wusste ja nichts. Raffiniert. Ich war neugierig, ob die Soldaten den Köder schlucken würden.

       Erinnerungen von Fridolin Bergmann, Rotterdam im Januar 1871

      Der Leutnant beriet sich mit seinen Sergeanten. So viel ich verstand, wollten die Soldaten uns nicht allein zurück nach Frankreich begleiten. Sie hatten Angst vor mir. Sie befürchteten von einem preußischen Generalstabsoffizier im geheimen Einsatz Wunders was für Fähigkeiten. Uns allerdings wieder zu fesseln, hätte den Abstieg in dem unwegsamen Gelände erheblich erschwert. Zumal der Leutnant mir sein Wort als Offizier gegeben hatte. Also verhandelte er als nächstes mit den Räubern wegen einer Eskorte. Es gab einen ziemlich lauten Streit. Für mich sah es so aus, als ob die Bande für den Rücktransport mehr Geld haben wollte.

      Ich hab mich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen. Konnte ja nur besser werden. Weil sie uns nun nicht mehr direkt mit ihren Bajonetten bedrohten, wanderte ich ein bisschen im Lager umher. Ich weiß nicht, was die Franzmänner den Räubern erzählt hatten, aber diesmal traute sich niemand, mir den Hund wegzunehmen, als ich mich zu ihm hockte. Esmeralda guckte mich auch sehr merkwürdig an. Alles ziemlich seltsam. Immerhin schien sie zufrieden, dass ich Schecki kraulte.

      Mit Mynheer van Delft und dem Doktor durfte ich trotzdem nicht reden. Einer der Sergeanten wich nie von meiner Seite, der andere blieb bei meinen Begleitern. Die Gefahr, dass am Ende einer von den Kerlen den Braten gerochen hätte, war zu groß. Ich glaube aber, dass mein Herr meine Absichten durchschaute. Er lächelte mir aufmunternd zu. Unauffällig gab ich ihm Zeichen, ruhig zu bleiben und abzuwarten.

       Anmerkungen von Dr. Frans Ingmarson, Rotterdam im Januar 1871

      Ich weiß nicht, was genau Fridolin diesem brutalen Offizier erzählte. Gesichert ist nur folgender Ablauf.

      Erstens: Sie nahmen uns die Fesseln ab. Anschließend begannen sie ein Palaver mit den Freischärlern.

      Zweitens: Fridolin begann währenddessen im Lager umherzuwandern, ohne dass jemand etwas dagegen unternahm. Ich war perplex, konnte mir keinen Reim darauf machen. Oder anders: Ich machte mir durchaus einen Reim darauf. Aber da ich heute Fridolins Absichten kenne, werde ich meine damaligen Vermutungen wohlweislich verschweigen. Ich täte ihm unrecht. Jedenfalls, sogar die alte Frau, die meines Erachtens so etwas wie das Familienoberhaupt der Bande war, hielt plötzlich respektvoll Abstand.

      Drittens: Für die Nacht bereiteten uns die Frauen unter dem Felsvorsprung Felle aus. Zum Schlafen legten uns die Franzosen nach einigen Diskussionen mit Fridolin erneut Handfesseln an und ließen sich anschließend zwischen uns nieder. So verhinderten sie, dass wir miteinander reden konnten. Die Freischärler lagerten sich im Halbkreis um uns und stellten zusätzlich Wachen auf. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings schon etwas mehr. Van Delft war es gelungen, mir ein paar Worte zuzuflüstern. Ich ahnte, dass Fridolin einen Plan schmiedete, wie wir uns befreien könnten. Geschlafen habe ich trotzdem nicht besonders gut.

       Fußnote van Delft, Rotterdam im Januar 1871

      Dem kann ich meinerseits beipflichten. Der Boden war steinhart gefroren. Die Felle hielten die Kälte nur unwesentlich ab. Dazu kamen die auf den Rücken gebundenen Arme. Rohe, scheuernde Stricke an den Handgelenken. Die Franzosen schnarchten schauerlich und der Doktor, wenn er sich nicht gerade stöhnend hin und her warf, hielt in ihrem Konzert wacker mit. Eine schreckliche Nacht!

      Vor allem der Ungewissheit wegen. Im Prinzip konnten wir zwar mit der vagen Hoffnung leben, am nächsten Morgen Richtung Frankreich und damit zumindest in wärmere Gefilde abgeführt zu werden. Ob sich damit jedoch eine Fluchtmöglichkeit ergab ober ob wir am Ende womöglich alle unter der Guillotine landen würden?

      Da die Franzosen keineswegs die Absicht hegten, erneut mit mir zu reden und ich meinerseits keinerlei Lust verspürte, ein zweites Mal mit der Pistole des Leutnants Bekanntschaft zu schließen, konnte ich das Geschehen nicht weiter beeinflussen. Ich hoffte inständig, dass Fridolin keinen Fehler beging und der einmal von ihm eingeschlagene Weg zum Erfolg führte. Ich glaube, ich habe selten in einer Nacht inniger gebetet als in dieser.

      Vielleicht eins noch. Fridolins kecke Behauptung, er gehöre zum preußischen Generalstab und ich sei lediglich seine Tarnung, brachte mir weitere leichte Verbesserungen. Das Mädchen, das den Freischärlern zu Diensten war, erhielt die Erlaubnis, meine Wunde zu säubern und zu verbinden. Sie wischte mir das Blut aus dem Gesicht und kümmerte sich wirklich rührend. Ich fragte mich, in welchem Verhältnis sie zu der Truppe stand. Irgendwie schien sie nicht hierher zu passen.

       Erinnerungen von Fridolin Bergmann, Rotterdam im Januar 1871

      Ziemlich ärgerlich, über Nacht wieder Fesseln angelegt zu bekommen. Aber ich verstand die Argumente des Leutnants. Hier gab es keine Türen, die er verschließen konnte. Die Ansicht der Räuber, dass in den wilden Schluchten der Pyrenäen für Ortsunkundige jede Flucht sinnlos wäre, teilte er keineswegs. Obwohl der Schafskopf selbst Führer benötigte, um zu diesem Flecken und wieder zurück zu finden. Anders als den Entführern konnte es ihm natürlich nicht gleichgültig sein, ob ich das Abenteuer überlebte oder nicht. Die Aussicht, mit meinen Geständnissen quasi zum Retter der Nation aufzusteigen, durfte er nicht aufs Spiel setzen. Ich war für ihn so etwas wie der Garant zur Beförderung. Er hatte mit einem dicken Fisch gerechnet. Mein Hokuspokus übertraf seine Erwartungen. Ich gelangte mehr und mehr zu der Überzeugung, dass er keine Zweifel an meiner Räuberpistole hegte. Typischer Fall von Verfolgungswahn! Wenn es nicht schon so spät gewesen wäre, hätte er sich wahrscheinlich sofort mit uns auf den Weg nach Frankreich gemacht.

      Ich nutzte seine aufgekratzte Stimmung, ihn ein bisschen auszufragen. Zum Beispiel, wie sie auf uns gekommen waren. Er plauderte ziemlich ungehemmt drauflos. Wahrscheinlich hielt er es für sinnvoll, mir als Ranghöherem die Effektivität der kaiserlichen Geheimpolizei vor Augen zu führen. Ein grüner Junge, der sich wichtigmachen wollte.

      Interessanterweise lag ich mit meiner Vermutung, den Markt in Toulouse betreffend, gründlich daneben. Unser seltsamer kleiner Tross mit den Unmengen an Werkzeugen und Ziel Spanien war ihnen bereits an der belgisch-französischen Grenze aufgefallen. Und schon dort im Zug hatte ich auf Deutsch geflucht, als ich sämtliche Koffer für die Zöllner öffnen und auspacken musste. Verdächtig, wie wir von diesem Augenblick an waren, platzierten sie ab Paris zwei weibliche Spione im Abteil