Dorian van Delft. Wolfram Christ. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfram Christ
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946691204
Скачать книгу
achten Jahrhundert die Alhambra auf jenem Hügel errichteten und nach und nach mit Palästen, Gärten und Wasserkünsten verschönten, stießen sie zwangsläufig auf Höhle und Bruderschaft. Nun wäre es ein Leichtes gewesen, mit diesen ungläubigen Hunden und ihrem Spektakel kurzen Prozess zu machen. Allein, unsere Krieger zollten in jener Zeit, anders als heute, auch Wundern und Geistern ihren Respekt, die älter waren als der Koran. Das Wissen um eine heilige Quelle konnte von Nutzen sein. Zumal sie geeignet schien, das Bewässerungssystem des Hügels, zu speisen.

      Fortan wurde die Existenz der Höhle zwar weiter vor der Öffentlichkeit geheim gehalten, allein die Führung der Bruderschaft übernahmen brave Muslime, die ihren Königen treu ergeben waren. An die Stelle blutiger Rituale traten Blumenopfer. Und so ist es gar kein Wunder, dass in jener trockenen Gegend blühende Gärten aus dem Stein wuchsen und die Herrschaft der Nasriden dem Land Glück und Wohlstand brachte.

      Die katholischen Könige interessierten sich nur wenig für Granada und seine Alhambra. Jedenfalls unter militärischen Gesichtspunkten. Da jedoch der prächtige Palastkomplex im Innern der Festung ein durchaus schöner und romantischer Flecken war, wohin man sich gelegentlich zur Erholung zurückziehen konnte, überließen sie Erhaltung und Pflege der Anlagen jenen, die etwas davon verstanden.“

      „Angehörigen der Bruderschaft?“ kombinierte ich.

      „Genau. Ohne natürlich zu wissen, dass diese Konvertiten einer Bruderschaft angehörten. Von der tieferen Bedeutung der Quelle hätten sie schon gar nichts erfahren dürfen. Alle, die damit zu tun hatten, wären vermutlich als Ketzer verbrannt worden.

      Uns eröffnete die neue Konstellation die Gelegenheit, mitten im Herzen von Spanien einen Brückenkopf zu belassen. Mit dem Segen von oberster Stelle. Und was ein Brückenkopf im strategischen Sinne bedeutet, muss ich Ihnen, meine Herren, nicht erklären.“

      Ich war verblüfft. Die Mitteilung meines Freundes bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass sich seine Familie seit nunmehr fast vierhundert Jahren auf eine Rückeroberung Spaniens vorbereitete. Unglaublich. Nun, als protestantischem Niederländer, dessen Ahnen einst selbst den Spaniern ihre Freiheit abgetrotzt hatten, waren mir die tieferen Absichten der Araber egal. Abgesehen von deren Erfolgsaussichten. Von Bedeutung schien allein die Tatsache, dass Tarik für uns wahrhaftig der Schlüssel zum Erfolg sein konnte. Ich gratulierte mir innerlich zu der Entscheidung, im letzten Jahr mit meinen Geschäften nicht zu einem Konkurrenten gewechselt zu sein. Es hatte da ein interessantes Angebot gegeben.

       Es riecht nach Krieg

       Tagebuch des Dorian van Delft Donnerstag, 2. Juni anno Domini 1870, Rotterdam, in meinem Schlafgemach

      Mein Gott, zwei Wochen, vergangen wie im Fluge. Seit dem Abend in Leiden komme ich nicht mehr zur Ruhe. Ich werde zwischen meinen kaufmännischen Verpflichtungen, den wissenschaftlichen Belangen des Doktors und unseren Reisevorbereitungen regelrecht zerrissen. Wenigstens konnte ich Ingmarson nun endgültig aus seinem Dienst entlassen und gegen einen echten Lakaien tauschen. Für mein geliebtes Tagebuch fehlte mir abends die Kraft. Deshalb vorab ein kurzes Resümee:

      Von Leiden holte uns gegen Mittag des 21. Mai die Kutsche ab. Jasper hatte einen Jagdwagen geschickt. Ein erneuter Beweis, dass mein Kontorist ein kluger Kopf ist. Ich liebe diese schnellen Gefährte. Der größte Teil unseres Gepäckes war auf der „St. Egidius“ geblieben. Der Himmel zeigte sich zur Begrüßung in der Heimat freundlich, fast wolkenlos. Beste Voraussetzungen für eine fröhliche Tour im leichten, offenen Wagen. Schneller kommt man nur voran, wenn man selbst reitet.

      Nach der langweiligen Schiffspassage genoss ich das flotte Tempo und den warmen Frühlingswind um die Ohren. Die Dampfeisenbahn soll zwar ähnliche Geschwindigkeiten erreichen aber von Leiden führt keine direkte Verbindung nach Rotterdam. Überhaupt messen meine Landsleute dem Thema Bahn bislang wenig Bedeutung bei. Die meisten Güter werden nach wie vor auf Kanälen transportiert. Ob das mit Blick auf künftige Entwicklungen klug ist, sei dahingestellt. Außerdem sagen die Leute, störe bei so einem Dampfross der ewige Qualm und Ruß. Vielleicht sollte ich es irgendwann selbst ausprobieren. Aber für den Moment? Nein, besser ging‘s nicht. Erst die guten Neuigkeiten von Tarik, dann die rasante Fahrt durch blühende Wiesen und Felder. Das Getrappel der Hufe und das Klappern der unzähligen Windmühlen, an denen wir vorüber kamen.

      Unterwegs schmiedeten Doktor Ingmarson und ich bereits eifrig Pläne, wie uns unser weiterer Weg nach Granada führen sollte. Denn nach Tariks Erzählungen, auf die ich hier nicht weiter eingehen will, sind wir uns nahezu vollständig sicher, dass genau dort die Trollhexe zu finden sein muss. Wobei ich den Namen „Trollhexe“ nicht mehr verwenden darf. Ingmarson bat mich darum. Soviel wir bisher über die Wahrsagerin in Erfahrung bringen konnten, neigt er dazu, sie ein für allemal „Kassandra“ zu nennen. Er ist in das Weib regelrecht vernarrt. Dabei kennt er sie gar nicht persönlich. Ich lasse ihm seinen Willen. Er hat ja recht. Ehre, wem Ehre gebührt.

      In Rotterdam angekommen, erwartete mich eine böse Überraschung. Neue Einfuhrbeschränkungen und Zölle für maritime Erzeugnisse, die nicht von holländischen Fischern stammen. Egal, ob sie hierzulande überhaupt zu erlangen sind oder nicht. Gieriges Bürokratenpack! Sogar mit meinen Robbenpelzen erziele ich nur mäßige Gewinne. Einerseits überschwemmen wieder einmal die Russen den Markt mit billigen Rauchwaren, andererseits verdirbt die Rivalität zwischen Preußen und Franzosen jegliches Börsengeschäft. Es riecht nach Krieg. Die spanische Krone ist vakant. Beide Großmächte wittern ihre Chance. Sie lassen die Muskeln spielen.

      In ihrer Angst agieren unsere Händler vorsichtig. Wenigstens bei Luxusgütern. Sowohl der Norddeutsche Bund als auch das französische Kaiserreich sind wichtige Absatzmärkte. Ihr schwelender Konflikt schneidet uns vom Rest des europäischen Festlandes ab. Ich hätte meinen Pittsburgher Stahl lieber direkt nach Hause bringen sollen. Eisen erzielt in unruhigen Zeiten immer höchste Preise.

      Am enervierendsten benimmt sich allerdings mein lieber Dr. Frans Ingmarson. Seitdem er wieder Herr seiner selbst ist, überschwemmt er mich fast täglich mit Sonderwünschen: Schaufeln, Lupen, Pinzetten, Kerzen, Fackeln, Papier, Bleistifte und weiß der Kuckuck was alles. Ich habe ihm jetzt ein festes Budget gesetzt. Mit dem muss er auskommen. Außerdem habe ich ihm einen meiner Lagerarbeiter zugewiesen, der ihm den ganzen Krempel schleppen hilft. Bis zur Abreise.

      Unsere Reisegesellschaft selbst soll möglichst klein bleiben. Arbeitskräfte und sonstige Helfer werden wir sicher vor Ort finden. Tarik hat uns einen Begleitbrief an seine Verwandten mitgegeben. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, wird er obendrein einen Boten voraussenden. Also reicht es, wenn uns mein neuer Kammerdiener begleitet.

      Der Knabe heißt Fridolin und genauso sieht er aus. Pausbäckig, rotblond mit Stubsnase und Sommersprossen. Keine Schönheit. Ich muss ihn mal fragen, ob seine Mutter aus Irland stammt. Väterlicherseits ist er wohl Deutscher. Sein Familienname lautet Bergmann. Allerdings spricht er akzentfrei niederländisch, weswegen ich es bei seinem Vorstellungsgespräch versäumte, ausdrücklich zu fragen. Muss ich demnächst nachholen.

      Fridolin ist etwa fünfzehn Jahre jünger als ich, Mitte zwanzig. Er versteht sein Handwerk blendend. Ein Mann, passend für unsere Zwecke. Jedenfalls auf den ersten Eindruck. Für eine anstrengende, langwierige Reise brauche ich keinen distinguierten Butler englischen Zuschnitts, der sich die Hände nicht schmutzig macht und bestenfalls das Personal zu kujonieren versteht. Wir brauchen einen Menschen mit Herz und Verstand, einer Portion Abenteuerlust und kräftigen Muskeln. Auf diese Arbeitsplatzbeschreibung passte Fridolin von allen Bewerbern am besten.

      Ich hoffe, dass wir bald zum Aufbruch bereit sind. Warum die Eile? Ganz klar, jetzt, wo schon so viele von unserem Vorhaben wissen, könnte es auf jede Stunde ankommen. Nur wenn wir die ersten sind, die Kassandra finden, werden wir Nutzen aus dem Geschäft ziehen. Außerdem bin ich neugierig, wie die Geschichte ausgeht.

      Gott sei Dank muss ich mich nicht um Johanns Verwandte kümmern. Die wissen noch gar nichts von ihrem „Glück“. Sie wohnen draußen in der Provinz und bekommen nicht viel mit von dem, was bei uns in der Stadt passiert. Jasper wird ihnen am Sonntag einen Kondolenzbesuch abstatten und bei der Gelegenheit Johanns zurückgelassene