Dorian van Delft. Wolfram Christ. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfram Christ
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946691204
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daran erinnere ich mir nur noch schemenhaft. Mich traf ein harter Schlag an den Kopf.

       Anmerkungen von Dr. Frans Ingmarson, Rotterdam im Januar 1871

      Dieser französische Offizier schreckte offenbar vor nichts zurück. Als er Mynheer van Delft den Pistolenknauf auf den Schädel hieb, dachte ich, dies sei das Ende. Van Delft sank sofort auf seinem Sitz zusammen und gab keinen Mucks mehr von sich. Nur die Handfesseln verhinderten, dass er zu Boden fiel. Völlig zusammengekrümmt hing er an den Stricken und kippte zur Seite. Blut floss aus einer klaffenden Wunde an der Schläfe. Als nächster bekam ich Schläge. Ich beteuerte zwar immer wieder, seine Sprache nicht zu sprechen, aber der Franzose verstand mich natürlich ebenso wenig wie ich ihn und sein Dolmetscher sprach wohl nur deutsch. Ich wünschte mir, ich könnte sterben. So schön schnell wie Mynheer van Delft. Wäre ich bloß auf unserer Insel geblieben. Gott sei Dank mischte sich Fridolin ein.

       Erinnerungen von Fridolin Bergmann, Rotterdam im Januar 1871

      Um ganz ehrlich zu sein, ich kapierte das alles nicht. Erst schlagen sie meinen Herrn zu Brei, dann verprügeln sie den Doktor. Warum? Ich konnte den Mund nicht halten und brüllte den Franzmann wütend an.

      „Hören Sie auf mit dem Unsinn! Der Mann versteht Sie nicht. Der ist Isländer und spricht nur isländisch. Dazu etwas niederländisch, englisch und Latein, soviel ich weiß. Aber mit Fremdsprachen haben Sie’s ja nicht so. Wenn Sie was wissen wollen, reden Sie mit mir!“ Tatsächlich hörte der Kerl auf und wandte sich mir zu.

      „Interessant. Der vermeintliche Diener meldet sich zu Wort. Wollen Sie mir wenigsten die Wahrheit sagen, mein Herr?“

      „Die Wahrheit haben Sie von Mynheer van Delft schon gehört. Wenn Sie uns nicht glauben, ist das Ihr Pech.“

      „Pech? Da lachen ja die Hühner. Ich schätze, Sie haben Lust, die nächste Tracht zu beziehen. Richtig?“ Er machte eine Drohgebärde. Ich zeigte mich unbeeindruckt.

      „Falsch. Ich bin Kammerdiener und stolz darauf. Im Gegensatz zu Ihnen helfe ich Menschen und verprügele Sie nicht.“ Peng, hatte ich den nächsten Schlag im Gesicht. Der Typ hieb unbarmherzig zu. Ein echter Sadist.

      „Ich werde Ihnen mal was erzählen, Herr Bergmann oder wie immer Sie heißen mögen. Vielleicht hilft es Ihnen auf die Sprünge, wenn Sie merken, dass Sie auf verlorenem Posten stehen. So wie ich das sehe, sind Sie der Befehlshaber Ihres kleinen Expeditionskorps. Ein Offizier der preußischen Armee, der sich in Holland diese beiden ‚Experten‘ engagiert hat, um in Spanien irgendein krummes Ding für seinen König zu drehen. Liege ich richtig?“ Triumphierend blickte er mich an. „Und jetzt wüsste ich gern von Ihnen, was genau Sie vorhaben. Ein Attentat? Geht es um geheime Unterlagen? Gibt es Hintermänner bei Hofe in Madrid? Spannen Sie mich nicht auf die Folter. Wenn Sie kooperieren, finden wir einen Weg, uns erkenntlich zu zeigen. In jedem Fall bleiben dann Ihre Kumpane am Leben. Unser Kaiser ist in kleinen Dingen großzügig. Voila! Jetzt sind Sie dran. Und geben Sie sich keine Mühe, irgendetwas zu vertuschen. Es wird Ihnen nicht helfen. Der spanische Thron gehört uns. Niemals wird in Madrid ein Hohenzollern sitzen. Das kann ich Ihnen versichern. Jetzt reden Sie endlich, Mann!“

      Ich glaube, ich hab den Menschen angesehen, als käme er vom Mond. Ich wusste überhaupt nicht, was der von mir wollte. Und weil ich schwieg, versuchte er mir wohl so etwas wie eine goldene Brücke zu bauen. Er wurde plötzlich ganz höflich.

      „Mein Herr, wenn Sie mir Ihr Ehrenwort als preußischer Offizier geben, nehmen wir Ihnen die Fesseln ab. Sie werden wie ein Kriegsgefangener behandelt. Mit allen angemessenen Ehren. Nun? Nennen Sie mir Ihren Dienstgrad, Ihre Einheit und wir können uns wie Ehrenmänner arrangieren.“

      Ich bin nicht der Hellste, das weiß ich. Aber in dem Moment habe ich wirklich angestrengt nachgedacht. Ich hatte keine Ahnung von der preußischen Armee. Ich wusste nur: Wenn er mir die Fesseln löst, kann ich vielleicht was für meine Kameraden tun. Ich sah zu Mynheer van Delft. Er kam gerade wieder zu sich. Schien starke Schmerzen zu haben. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen:

      „Einverstanden. Aber nur, wenn meine Begleiter ebenso ehrenhaft behandelt werden. Denn Mynheer van Delft hat wirklich nicht gelogen. Er ist ein Händler. Den Doktor hat er aus Island mitgebracht, weil er sich vom Wissen der Kräuterfrau Vorteile verspricht. Für mich sind die Beiden eine nützliche Tarnung. Sie sollten mir helfen, in Spanien Kontaktpersonen zu finden. Und jetzt lassen Sie Mynheer van Delft und Doktor Ingmarson frei!“

      Triumphierend blickte der Franzose in die Runde. Dann winkte er einige der Freischärler zu sich und wies sie an, uns die Fesseln abzunehmen. Seine Männer nahmen ihre Gewehre in Anschlag. Mir war schlecht. Keine Ahnung, wie das weitergehen sollte. Verzweifelt grübelte ich nach einem passenden Namen für mich und log so gut ich konnte.

      „Mein Name und Dienstgrad lauten Hauptmann Herrmann von Zitzewitz.“ Von dem hatte ich mal in einer Zeitung gelesen. „Ich bin beim Generalstab in Potsdam stationiert. Sondereinsatzkommando Spanien.“

      „Ah ja. Dachte ich mir. Herzlich willkommen, Herr Hauptmann!“ Der Kerl nahm Haltung an und salutierte. Ich bemühte mich, ihm so militärisch wie möglich den Gruß zu erwidern.

       Fußnote van Delft, Rotterdam im Januar 1871

      Es war eine merkwürdige Situation. Dem letzten Wortwechsel hatte ich wieder folgen können. Mit Kopfschmerzen zwar aber zumindest nicht mehr im Koma. Fridolin war ein schlechter Lügner. Sein halbmilitärisches Gefasel überzeugte mich ziemlich, dass er kein Spion war. Ob der Franzose ihm die Schmierenkomödie abkaufte, ließ sich schwer sagen. Vielleicht hatte er einfach eine zu vorgefasste Meinung, vielleicht wollte er abwarten, was noch kam.

      Natürlich war es eine ungeheuerliche Behauptung, Fridolin habe mich nur für seine geheimdienstlichen Zwecke missbraucht. Noch dazu in preußischen Diensten. Unter anderen Umständen hätte ich zweifellos Satisfaktion verlangt. In unserer derzeitigen Lage jedoch musste ich ihm dankbar sein. Die schmähliche Beleidigung erfüllte ihren Zweck: Sie nahmen uns die Fesseln ab. Mein Gott, tat das gut! Nicht nur der schmerzenden Gelenke wegen. Natürlich ließen sie uns nicht frei. Das wäre sicher zu viel verlangt gewesen. Aber immerhin, wir hatten unsere Bewegungsfreiheit zurück. Ich war Fridolin für seine Entscheidung sehr verbunden. Was weiter passieren würde, davon hatte ich natürlich ebenso wenig eine Vorstellung wie er. Einerseits beruhigte es mich, dass wir es nicht mit Schergen der Konkurrenz zu tun hatten. Andererseits fand ich es keineswegs erbaulich, ab sofort Kriegsgefangener zu sein. Und das nur, weil sich Bourbonen und Hohenzollern um den spanischen Thron balgten. Da es der Franzose von nun an konsequent ablehnte, mit jemandem anderen als seinem vermeintlichen „Kollegen“ zu reden, will ich Fridolin erneut das Wort erteilen.

       Erinnerungen von Fridolin Bergmann, Rotterdam im Januar 1871

      Wir bekamen Essen. Brot und ein Stück Wildschwein vom Spieß. Und Wasser. Das tat gut. Das junge Frauenzimmer, das sie Esmeralda riefen, bediente uns. Endlich konnte ich Schecki kraulen. Ich gab ihm von meinem Fleisch. Dem kleinen Hund zuzusehen, lenkte mich ein bisschen von meinen Sorgen ab. Dummerweise kam gleich die Alte gerannt und schaffte ihn weg. Nach dem Essen bot mir der Offizier eine Zigarre an. Ich rauche eigentlich nicht. Trotzdem hab ich sie genommen. Um Zeit zu gewinnen. Leider konnte ich mich nicht mit meinem Herrn verständigen. Die Sergeanten standen zwischen uns und verhinderten jeden Kontakt. Sobald einer den Mund aufmachte, hielten sie ihm ein Bajonett an den Hals.

      Irgendwann wurde der Franzmann ungeduldig. Er wollte Details hören. Ich beschloss, stur zu bleiben. Vielleicht konnte ich ihn überreden, uns in eine Stadt zu bringen. Ich hoffte, seine Vorgesetzten wären intelligenter als er.

      „Ich werde nur mit einem Mitglied Ihres Generalstabes reden. Niederen Dienstgraden gegenüber bin ich nicht befugt, Auskunft zu erteilen!“ Er schnappte nach Luft.

      „Herr Hauptmann, sollte ich mich noch nicht vorgestellt haben: Jules de Lafontaine. Leutnant der kaiserlichen Garde. Sonderbevollmächtigter der Geheimpolizei für das südliche Grenzgebiet und als solcher befugt, Auskunft von jeglichem Gegner seiner Majestät zu erlangen. Ganz gleich welchen Dienstranges oder welcher Nationalität.“ „Sonderbevollmächtigter für